10. November 2016In 2016/4

„Das weltweit kleinste vollimplantierbare Kunstherz ist in der Testphase“

Interview mit Prof. Dr. Paul-Reiner Körfer, Herzchirurg am Evangelischen Klinikum Niederrhein in Duisburg


von Dr. Paul Breuer

Paul Breuer und Paul-Reiner Koerfer
Paul Breuer und Paul-Reiner Körfer
Begegnet bin ich Prof. Dr. Körfer erstmals vor vielen Jahren in Bad Oeynhausen, nicht ahnend, ihn heute interviewen zu können. Wir sind auf dem Weg zur TH Aachen. Prof. Körfer möchte mir die neueste Entwicklung eines Kunstherzens vorstellen, das sich dort in einer Testphase im Helmholz Institut befindet. Die Firmen ReinHeart TAH (total artificial heart) zusammen mit der ReinHeart GmbH arbeiten dort an der Entwicklung des kleinsten weltweit vollimplantierbaren Kunstherzens. Es gibt mehrere Arten von Kunstherzen. ReinHeart TAH hat ein vollimplantier bares Kunstherz entwickelt. Bei dieser Methode wird das menschliche Herz komplett explantiert und durch eine mechanische Pumpe ersetzt. Darüber hinaus wird an einem Herzunterstützungssystem (ReinVAD) gearbeitet, das in den Körper von Patienten mit Herzerkrankungen (Herzinsuffizienz im Endstadium) eingesetzt wird, um damit den Blutkreislauf ausreichend aufrecht erhalten zu können. Das menschliche Herz bleibt dabei erhalten. Diese beiden Unternehmen leisten auf dem Gebiet in Deutschland Pionierarbeit. Prof. Körfer hat mehr als 30.000 Operationen am offenen Herzen selbst durchgeführt. Sein eigenes Herzblut hängt sozusagen daran, ein Kunstherz zu entwickeln, das kleiner und effizienter ist, als alle bisherigen Tieren und Menschen eingepflanzten Kunstherzen. Für ihn ist es eine Herausforderung aber auch ein Traum, ein Kunstherz zu entwickeln, das eine echte Alternative zu einer Herztransplantation ist.

Wie lange arbeiten Sie schon an dieser Entwicklung?

Gedanklich schon seit ich mich mit der Herztransplan tation überhaupt beschäftige. Die Entwicklung bei der Organspende (abnehmende Zahlen) war schon um die Jahrtausendwende absehbar und nach entsprechenden Vorbereitungen arbeiten wir jetzt seit mehr als 10 Jahren an diesem Projekt. Aber neben der Idee braucht man auch finanzielle Investitionen – und diese sind nicht immer ein fach zu beschaffen.

Wir sprechen hierbei von einem vollimplantierbaren Kunstherz, das es bisher auch noch nicht gibt, nicht wahr?

Das ist richtig. Wir wollen ein System entwickeln, dass komplett implantiert wird, wie bei einer Herztransplantation. Das heißt, das menschliche Herz wird komplett durch ein Kunstherz ersetzt mit einem ventrikulären Unterstützungssystem. Das weltweit kleinste vollimplantierbare Kunstherz befindet sich hier in Aachen in der Testphase.

Wie lange dauert die Testphase bevor es einem Tier oder Menschen eingepflanzt wird?

Wir sind in der Testphase bei Kälbern. Der Weg bis zum Menschen ist noch weit und hängt auch hier wieder von den finanziellen Zuschüssen und Spenden ab.

Weshalb bei Kälbern und nicht bei Schweinen?

Das Kalb bietet erhebliche anatomische Vorteile. Es ist vergleichbar mit der Anatomie sowie dem Gewicht des Menschen.

Wie hoch ist die Abstoßungsgefahr beziehungsweise -reaktion des Kunstherzens einzuschätzen und wie in den Griff zu bekommen?

Das Kunstherz ist zwar mit allen seinen Komponenten ein Fremdkörper, wird aber nicht abgestoßen. Bei einem Herzschrittmacher ist das ja genauso.

Gibt es – ähnlich wie bei einem Auto – dabei auch sogenannte TÜV-Zeiten?

Das System muss so perfekt sein, dass eine Wartung oder Kontrolle nicht notwendig sein wird. Eine Fehlfunktion wäre für den Patienten sicherlich eine Katastrophe.

Wie muss man sich das vorstellen?

Alle Komponenten müssen mehr oder weniger verschleißfrei sein.

Welches Gewicht hat das neue Kunstherz? Zum Vergleich: Das Kunstherz von Alain Carpentier der Firma Carmat in Frankreich soll circa 900 Gramm wiegen.

Unser Kunstherz wiegt unter 800 Gramm. Das Gewicht ist aber nicht so entscheidend. Wichtig ist die räumliche Größe, sodass wir dieses Herz bei mehr als 80 Prozent der in Frage kommenden Personen implantieren können. Bei anderen Systemen ist dies nur bei etwa 20 Prozent der Patienten möglich.

Wie lange schätzen sie die Lebensdauer des Kunstherzens ein?

Die Lebensdauer des Kunstherzens sollte mindestens fünf Jahre wenn nicht noch länger sein. Aber das wird sich dann im natürlichen Verlauf ergeben.

Aus welchem Material besteht das Kunstherz?

Unser Kunstherz besteht aus verschiedenen Komponenten – Titan, Kunststoff, Carbon und anderen Materialien.

Wie wird das Kunstherz mit Energie betrieben und wie wird der Akku wieder aufgeladen?

Es wird elektrisch betrieben und der Akku wird von außen über Induktion aufgeladen.

Welche Leistung bringt der elektrische Motor und wieviel Liter Blut pro Stunde pumpt das Herz?

Der Motor pumpt bis circa acht Liter Blut pro Minute. Zum Vergleich: Ein menschliches Herz pumpt etwa fünf Liter pro Minute.

Bis wann, erwarten Sie, wird die klinische Phase des neuen Kunstherzens abgeschlossen sein?

Die klinische Phase des neuen Kunstherzens wird sich erst dann ergeben, wenn die Tierversuche eine Implanta tion bei Menschen erlauben. Dann sind wir jedoch schon sehr weit.

Könnten Sie uns eine Zeitspanne nennen?

Die Zeit ist schwierig abzuschätzen. Das hängt von den Ergebnissen der klinischen Testphase mit Tieren ab. Ent scheidend sind die finanziellen Mittel, die nicht nur von der EU, sondern auch von engagierten Sponsoren zur Verfügung gestellt werden müssten.

Welcher Patient kommt für eine Kunstherztransplantation in Frage? Wo befindet sich die Verteilerstelle?

Jeder Mensch, der auf eine Herztransplantation wartet, ist sicherlich prinzipiell auch ein Kandidat für eine Kunstherztransplantation. Dies hätte den Vorteil, dass man zu einem elektiven Zeitpunkt die Operation durchführen könnte. Eine Verteilungsstelle für Kunstherzen wäre nicht notwendig, da ja ausreichend Geräte vorhanden sind.

Wann, schätzen Sie, ersetzt der medizinische Roboter den Transplantationsarzt?

Ich hoffe nie. Man kann manche Dinge mit einem Roboter machen. Die Sensibilität einer chirurgischen Hand kann der Roboter aber nie erreichen. Denken Sie an die Automobilindustrie. Die teuersten und besten Autos werden immer noch mit der Hand gefertigt.

Käme bei der Herstellung von Kunstherzen auch ein 3DDrucker in Frage?

Das mag bei dem einen oder anderen Teil möglich sein, ist aber in diesem sensiblen Bereich zur Zeit nicht vorgesehen.

Wie hoch steigt Ihre Herzfrequenz, wenn Sie den frisch operierten Patienten von der Herz-Lungenmaschine abschalten und dieser selbständig mit dem Kunstherzen atmen muss?

Ich hoffe, dass sie – wie bei jedem besonderen und freudigen Ereignis – etwas höher geht und nicht aus Sorge um den Patienten steigt.

Sie sind auch sozial sehr engagiert. So waren Sie schon ein zweites Mal für die Initiative des Bad Salzufler Vereins „Brückenschlag“ in der Ukraine, um dort schwierige Herzoperationen kostenlos durchzuführen und um die dortigen Ärzte zu unterstützen. Welche Unterstützung erhalten Sie dabei von unserer Politik und/oder anderen Institutionen?

Ich bin nicht im Auftrag der Politik oder anderen Institutionen in der Ukraine gewesen. Insofern gab es keine Unterstützungen der öffentlichen Hand. Das ganze beruht auf privater Initiative.

Ein großes Hobby von Ihnen ist Fußball. Sie sind Aufsichtsratsvorsitzender des Fußballclubs Borussia Mönchengladbach. Seit mehr als 20 Jahren sind Sie dort Mitglied. Fiebern Sie immer noch mit der Mannschaft, wie zu Anfang Ihrer Fußballleidenschaft? Wie hoch schlägt Ihr Puls, wenn ein Tor für die Borussia fällt?

Ich messe normalerweise nicht meinen Puls, wenn ein Tor für Borussia fällt. Aber gehen Sie davon aus, dass die Herzfrequenz ansteigt. (Lacht) Sie sind auch mit der bildenden Kunst eng verbunden. Wir haben kürzlich zusammen mit Ihrer Frau den Foto- und Videokünstler Kanjo Také in Düsseldorf besucht.

Empfinden Sie solche Besuche als Ausgleich zu Ihrem anstrengenden, aufregenden Beruf und Ihrem Engagement für Borussia Mönchengladbach?

Ich bin sicherlich kein Experte in der Kunstszene, das kann meine Frau viel besser. Aber ich lerne durch Besuche und entsprechende Interpretationen eine ganze Menge, was ich dann auch ganz gerne an meine Mitarbeiter weiter gebe. Ich brauche eigentlich keinen Ausgleich zu meiner Arbeit als Herzchirurg, da es ja nicht Schöneres als eine Herzoperation gibt.

Danke für das Gespräch. Es war für mich eine spannende und faszinierende Reise in die Welt der Kunstherzen. Ich habe hochmotivierte und hochprofessionelle medizinisch/ technische Wissenschaftler und Mitarbeiter kennengelernt. Viele Fragen sind offen geblieben oder nicht gestellt worden. Wir werden das Gespräch aber in der folgenden Ausgabe fortsetzen und uns die Zeit nehmen, um über den Standort, die Unterstützung und Zukunft, aber auch Sorgen der Mitarbeiter im Aachener Forschungsinstitut zu berichten.


Siehe auch das Gespräch in Heft 1/2017


Kurzvita

Paul-Reiner KörferPaul-Reiner Körfer studierte Medizin an der Universität Bonn und promovierte 1969 an der Medizinischen Hochschule in Ulm. Nach dem Einstieg als Allgemeinchirurg in Oberhausen folgte 1972 der Wechsel an die Universität Düsseldorf, wo er ab 1975 in der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie als Oberarzt tätig war. Seine Habilitation erfolgte 1979 und seine Ernennung zum Professor für Chirurgie 1983. Ab 1984 wurde er Ärztlicher Direktor des neugegründeten Herzzentrum NRW in Bad Oeynhausen. Er war maßgeblich am Anschluss dieser Klinik an die Universität Bochum beteiligt. Nach seiner Emeritierung arbeitete er noch 2 Jahre in dieser Position und wechselte dann als Direktor in die Klinik für Herzchirurgie am Internationalen Herz- und Gefäßzentrum Rhein-Ruhr in Essen. Da er dort seine Pläne nicht durchsetzen konnte, ging er zum Evangelischen Klinikum Niederrhein in Duisburg und baute hier eine Abteilung für die Therapie der terminalen Herzinsuffizienz und Kunstherzversorgung auf. Im Übrigen ist er Ehrenbürger der Stadt Bad Oeynhausen, Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse der BRD und des Verdienstordens des Landes NRW. Darüber hinaus erhielt er viele weitere Ehrungen und engagiert sich in mehreren sozialen Projekten.


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