15. November 2016In 2016/4

„Wer sich mit mir wirklich dialektisch auseinandersetzt, wird der Wahrheit schnell auf die Spur kommen“

Gespräch mit Claude-Oliver Rudolph, Schauspieler, Produzent, Regisseur, Buchautor und Moderator


von Andrea Kleiner

17 Uhr – Düsseldorf – Interview-Termin mit dem Filmbösewicht Claude Oliver Rudolph (COR). Aufgeregt, was mich wohl erwarten wird, klingele ich pünktlich um 17h an der Tür. Ein muskulöser Mann mit silbern gesträhntem Haar und dunkler Ray Ban Sonnen Brille, barfuß, gekleidet einem blau gestreiften Breton Shirt öffnet mir gut gelaunt die Tür „Bonjour Madame“ sagt er mit kurzer Verbeugung und bittet mich höflich einzutreten. Er führt mich in den Salon und bietet mir einen Kamillentee an, den er bereits trinkt. Sofort muss ich an den Film „ Der Wilde“ mit Marlon Brando denken und spreche ihn darauf an. COR, er lacht und mit einer weichen, männlichen Stimme sagt er „ja, der gute Marlon Brando hat diese Shirt auch schon getragen“. Deutlich mehr entspannt nippe ich an meinem heißen Kamillentee und beginne mit dem Interview, da ich von dem Filmbösewicht ja offenbar nichts zu befürchten habe!

Sie sind in den 41 Jahren, die Sie als Schauspieler tätig sind, 170 mal als Bösewicht gestorben. Ihr Publikum kennt und liebt Sie noch immer als den Chinesen-Fiete aus Dieter Wedels Kiezdrama „Der König von St. Pauli“ oder als Dieselheizer Ario aus Wolfgang Petersens Kriegsdrama „Das Boot“. Lange Zeit waren es in den Medien ruhig um Sie. Jetzt sind Sie zurück in einer Rolle, die sich zwar dicht an ihr Image als Schurke der Nation anlehnt, es aber auch konterkariert. Anfang des Jahres haben Sie bei Putins Propagandasender TV-Sender Russia Today (RT ) als Ressortleiter Kunst und Kultur angeheuert. Und schon sind Sie wieder der Bösewicht der Nation: Wie kam es dazu?

Ich habe bei der letzten Berlinale den Deutschlandchef des Senders abgefangen, um ihn davon zu überzeugen, dass dem Programm ein bisschen Kultur nicht schaden könne und dass ich Claude Oliver Rudolph genau der richtige sei, um diese Lücke zu schließen. Und ich habe ihn überzeugt. Er suchte kein angepasstes Arschloch! Mittlerweile drehe ich die dritte Staffel von „Clash“, so heißt das Format, benannt nach der berühmten Punkband. Ein bisschen Talk mit Menschen, die genauso verrückt sind wie ich, dazu ein bisschen Show und Film, Bücher- und Plattentipps.

Sie sind Juror der ersten Stunde beim Hagener Kurzfilmfestival „Eat my Shorts“. Hier treffen sich nationale und internationale Stars wie z. B. Sonja Kirchberger, Nastassja Kinski, Inger Nielson, Ralph Richter und Katy Karrenbauer, um den Filmnachwuchs zu fördern. In diesem Jahr waren Sie nicht nur in der Jury, sondern haben als Laudator den Ehrenpreis an Sunnyi Melles überreicht. Welche Bedeutung hat dieses Festival für Sie?

Das Hagner Kurzfilmfestival wurde vor Jahren ins Leben gerufen, ein impulsgebendes hochkarätiges Festival. Im Rampenlicht stehen bei erfolgreichen Filmen oft nur ein oder zwei Stars, das Handwerk des Filmemachens, welches auch zu meinen Schaffensbereichen gehört, fand bisher eher wenig Beachtung – dabei sorgen die Filmemacher dafür, dass es skurril, abwechslungsreich, verwirrend, kreativ und lustig wird und im besten Fall zum Nachdenken anregt. Die Regionen rund um den Ruhrpott und des Sauerlandes sind bekannt für ihre Industrie, ihr Gewerbe und ihr Handwerk. Oder: Fleiß, Schweiß, Wälder und Curry-Wurst – mal ganz grob zusammengefasst. Dabei tut sich da derzeit so einiges – also warum hinter Bergen und Industrieruinen verstecken, wenn man was zu zeigen hat! Exzellentes Handwerk sind auch die technisch anspruchsvollen Formate unserer jungen Filmemacher, die sich nicht vor „Großprojekten“ verstecken müssen. Dies ist der Ansatz, der hinter „Eat My Shorts“ steckt! Für alle „Englisch-Verweigerer“: „Friss meine Unterhosen!“ (frei nach Bart Simpson). Unsere „Shorts“ sind allerdings nicht die ungewaschenen Bucksen aus dem Korb… unsere „Shorts“ sind kurz. Unsere „Shorts“ sind unsere Kurzfilme. Und die wollen gezeigt werden!

Der Nachwuchs wird es Ihnen danken. Herr Rudolph, fühlen Sie sich eigentlich verkannt? Immer wieder will man Sie als Schläger abstempeln, und auch in den Feuilletons haben Sie keinen leichten Stand? Dabei haben Sie ein Einser-Abitur gemacht, mit 15 wurden sie am Bochumer Schauspielhaus von Werner Schroeter entdeckt und mit 18 von Peter Zadeck nach Berlin geholt. Eine geniale Leistung – und das während der Schulzeit.

Wer sich mit mir wirklich dialektisch auseinandersetzt, wird der Wahrheit schnell auf die Spur kommen. Wer jedoch nur bei Bild und Bunte recherchiert, hat den Klischee-Artikel schnell geschrieben. Künstlerisch sieht es genauso aus. Ein Beispiel: Das Theaterstück „Mein Freund Hitler“ von dem japanischen Autor Yukio Mishima, welches ich am Brandenburger Theater inszenierte, haben die Kritiker gnadenlos verrissen. Im Spiegel jedoch gab es eine Hymne, in Frankreich auch, selbst in israelischen und holländischen Zeitungen wurde das Stück gefeiert. Bloß die deutschen Feuilletons haben es größtenteils nicht verstanden oder wollten es nicht verstehen.

Sie sind ja nicht nur Schauspieler, sondern auch Produzent, Regisseur, Moderator und Buchautor, sozusagen ein künstlerisches Multitalent. Gerade haben Sie ein Drehbuch für ein Musical mit dem Titel „Der letzte Rebell“ geschrieben. Ich durfte Auszüge lesen und war sofort begeistert.

Ja, ich habe die ganzen Rechte von Hans Albers gekauft. Für Biographie und Namensschutzrechte, Musical und den Film „Der blonde Rebell“ über den einzigen sauberen Star aus der Nazizeit, der seine jüdische Frau nicht in den Arsch getreten hat. Allein dafür gebührt dem größten Sohn Hamburgs (und nicht etwa Helmut Schmidt) schon eine Hommage. Das Drehbuch „Der blonde Rebell“ hat übrigens den Drehbuchpreis der Stadt Hamburg gewonnen. Mit Frank Otto habe ich in Hamburg eine Firma, mit der wir gerade das Musical vorbereiten. Auch Tim Mälzer ist mit im Boot.

Sie sind ein Hans Dampf in allen Gassen. In Düsseldorf haben sie vor Kurzem die künstlerische Inszenierung der Weltpremiere von „Das Liebesverbrechen“ von Nicole Rösler auf ihrem legendären Rosenfest durchgeführt. Eine sehr unkonventionelle Inszenierung mit vielen Höhepunkten und Überraschungen. Die Gäste waren begeistert. Wie kam es zu dieser Inszenierung?

Ich kenne die Autorin Nicole Rösler seit vielen Jahren. Ihr Werk „Das Liebesverbrechen“, dem fulminanten Abschluss ihrer „Sechsologie der Sinne“, greift das Thema “häusliche Gewalt“ auf, und das ist mir eine Herzenssache. Allein im Jahr 2015 wurden nur in Deutschland laut Spiegel 643.000 Frauen Opfer häuslicher Gewalt und 327 wurden getötet – ein Drittel von ihrem eigenen Ehemann. Die Dunkelziffer über die weltweite Opferrate ist eine Bombe, die auf der ganzen Welt für Aufmerksamkeit sorgen wird. Seit den Kölner Übergriffen an Sylvester 2016 führe ich Kampfkurse für Frauen durch.

Sind sie Anarchist?

Ja, das bin ich. Die Anarchie war immer die Geisteshaltung der intellektuellen Elite. Deshalb gibt es keine rechten Intellektuellen, es gibt nur dumme Rechte. Es findet sich einfach kein ernst zu nehmender Geist, der sich vor den rechten Karren spannen lässt. Und das bestätigt nur meine Haltung, die nicht irgendeinem Klischee entspringt, sondern tiefer Überzeugung. Auch deshalb habe ich noch nie einen Vertreter der Judikative oder Exekutive gespielt. Meine Rollen sind Gangster oder politisch motivierte Gewalttäter.

Treten Sie für irgendetwas ein?

Ja, für die Entrechteten, für die, die keine Stimme haben!

Dann kann man Ihre Prügeleien als Einsatz für die gute Sache interpretieren?

Ja, sicher. Ich bin kein Schläger, sondern ein Robin Hood. Wer genau hinguckt, sieht das. Wer waren denn meine Gegner? Ein gewalttätiger Zuhälter, der Bodybuilder, der Dopingmittel verkaufte. Einen Physikstudenten habe ich noch nie in die Mangel genommen.

Fressen, rauchen, saufen, im Augenblick leben? Sucht oder Genussmensch versus eiserne Disziplin?

Das trifft beides auf mich zu. Ich liebe lange Abende mit interessanten Menschen und guten Gesprächen bis tief in die Nacht. Dazu guten französischen Wein und gutes Essen – ich koche leidenschaftlich gerne – und viele Gitanes. Gerne immer zu viel von allem und ganz extensiv. Aber nur in arbeitsfreien Zeiten. Sobald ich spiele, schreibe, moderiere oder produziere ist Kamillentee, gesundes Essen und Sport angesagt. Es fällt mir nicht schwer von einem Extrem ins andere zu fallen. Viele Jahre Übung!

Frankreich hat Gerard Depardieu, wir haben Claude Oliver Rudolph. Ein Vorbild?

Gerard Depardieu ist einer der ganz Großen, genau wie Marlon Brando und Charles Bronson. Ein genialer Schauspieler, Lebemann, Genussmensch, und er schert sich einen Dreck um die Medien und über das, was man über ihn sagt und schreibt. 

Es ist spät geworden. COR begleitet mich zur Tür. Er nimmt die Brille ab, bedankt sich für das Interview und verabschiedet sich bei mir mit einem Handkuss. Der Bösewicht ist ein Gentlemen durch und durch!

Kurzvita

Claude-Oliver RudolphClaude Oliver Rudolph ist Sohn eines gutbürgerlichen wohlhabenden Elternhauses – Vater Pelzgroßhändler, Mutter gebürtige Französin – 1956 in Bochum geboren, bis zur Einschulung wuchs er bei seiner Großmutter in Frankreich auf. Am Bochumer Gymnasium lernte er Herbert Grönemeyer kennen, begann mit ihm seine Schauspielkarriere am Schauspielhaus Bochum. Entdeckt wurde er mit 15 Jahren von Werner Schroeter und spielte mit 18 Jahren in Bochum und Berlin bei Peter Zadek. Nach dem Abitur Studium der Philosophie, Psychologie und Romanistik an der Ruhr-Universität Bochum; Theaterwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Film und Regie am Musischen Zentrum. Anschließend Regievolontariat bei Jiří Menzel und ein Seminar bei Lee Strasberg in Bochum. In dem Theaterskandal „Unter Aufsicht“ von Rainer Werner Fassbinder spielte Rudolph mit Volker Spengler die Hauptrolle. Im James-Bond-Film „Die Welt ist nicht genug“ hatte er eine Rolle an der Seite von Pierce Brosnan. Dem deutschsprachigen Publikum ist er vor allem bekannt durch den Film „Das Boot“ und den TV-Mehrteiler „Der König von St. Pauli“, in dem er den ruchlosen Schläger Chinesen-Fiete spielt. Claude-Oliver Rudolph betreibt Kampfsport, ist Mitglied des Kampfsportverbands Budo Akademie Europa und I-Defense und trainiert Judo und All-Style.


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