Axel Kuhn, Direktor des Görres-Gymnasium in Düsseldorf
„Der Gedanke des Humanismus ist bis heute erfrischend aktuell.”
Axel Kuhn, Direktor des Görres-Gymnasiums in Düsseldorf im Gespräch mit Thomas Majevszki
Das Görres-Gymnasium ist aus meiner Sicht aus vielen Gründen eine ganz besondere Schule, und das auch noch mitten in Düsseldorf, auf der Königsallee.
AK: Mit dem Klischee der Kö gehen wir sehr spielerisch um, zum Beispiel durch den Görres-Merch, der auch in Form einer Modenschau präsentiert worden ist. Wir spielen mit diesen Klischees und formen sie humorvoll um. Vor allem zeichnet sich das Görres durch seine humanistische Tradition und die drei Profilschwerpunkte: musisch-künstlerisch, naturwissenschaftlich, und altsprachlich – und natürlich auch im Anspruch.
Das Görres ist nicht nur eine der ältesten Schulen im deutschen Sprachraum, sondern besitzt auch durch seine eindrucksvolle Bibliothek eine Alleinstellung.
AK: Genau, unsere historische Bibliothek ist die Seele der Schule. Ein ehemaliger Schüler, Professor Dr. Iller, durchforstet einmal in der Woche die 300.000 Bände umfassende Bibliothek und stößt immer wieder auf Erstaunliches. Wir haben beispielsweise ein Buch von Erasmus von Rotterdam, dem Humanisten, in unserer Bibliothek. Er war ungefähr im Jahr 1500 auch selbst bei der Drucklegung zugegen. Er hatte nachts geschrieben und tagsüber wurde es gesetzt. Es ist ein absolut außergewöhnliches Kulturgut. Es handelt sich dabei um griechische Texte, die Erasmus ins Lateinische übersetzt hat. Dabei geht es um sogenannte Paroimiai – Sinnsprüche und Lebensweisheiten, die er als Humanist gesammelt hat. Eine dieser Lebensweisheiten ist mir besonders in Erinnerung geblieben: „sapiens omnia sua secum portat”, was bedeutet, dass der gebildete Mensch alles Wesentliche bei sich trägt – seinen Charakter und seine Bildung; mehr benötigt er nicht. Dies wurde vermutlich im griechischen Original von jemandem gesagt, der aus einer brennenden Stadt fliehen musste und nichts außer seinem geistigen Gut mit sich führte. Dieser kurze Satz liegt im Original vor, von Erasmus ins Lateinische übersetzt. Der Satz verdeutlicht den Wert des Lateinunterrichts als Quelle des Wissens. Wir haben diese Lebensweisheit zum Anfassen und Anschauen in unserer Schule und sie ist ein Teil des Geistes und der Seele der Schule. Es geht um die Bildung des Menschen, also um eine umfassende Menschenbildung, die viele Bereiche abdeckt und zur Charakterbildung beiträgt. Das Motto unserer Schule ist ja auch: „Sapere aude” – wage es, zu denken.
Welche Rolle spielt der humanistische Geist im Görres Gymnasium?
AK: Er spielt eine sehr große Rolle. Der humanistische Gedanke, herauszufinden, auf welcher Grundlage unser Wissen beruht, ist eigentlich der Wendepunkt vom Mittelalter zur Neuzeit. Es musste eine Infragestellung der damaligen Autoritäten – des Glaubens, der Kirche, Gottes – erfolgen, denn dies bildet die Grundlage unseres Wissens. Wenn ich mir heute ein Bild von Donald Trump in Badehose anschaue, sollte ich mich ebenfalls fragen, was die Grundlage meines Wissens ist. Diese Frage stellt man sich heutzutage genauso im Kontext der Künstlichen Intelligenz. Dostojewski würde wahrscheinlich sagen, dass wir die Grundlagen, auf denen unser Wissen basiert, hinterfragen müssen. Der Gedanke des Humanismus ist bis heute erfrischend aktuell.
Eine wichtige Besonderheit des Görres Gymnasiums ist in meinen Augen auch der Stellenwert des Altgriechischen, das man hier bis zum Abitur anbietet, ohne auf einen Zentralkurs angewiesen zu sein. Dies sogar als Leistungskurs. Welche Bedeutung hat das für Sie und die Schule?
AK: Für uns ist das ein charakteristisches Merkmal. Es handelt sich um eine Tradition, die wir weiterführen. Ich finde, dass die Wahl der Fächer Latein und Griechisch, obwohl sie zugegebenermaßen seltener ist, hier bei uns ganz normal ist, mit etwa 20 Schülerinnen und Schülern im Lateinunterricht. Es wird hier nicht als besonders ungewöhnlich wahrgenommen. Das passt also gut in die Bildungslandschaft Düsseldorfs. Es gibt in Düsseldorf 22 Gymnasien und es ist nur passend, dass es eine Schule im Herzen der Stadt gibt, die älteste Schule, an der diese traditionellen Fächer unterrichtet werden. Die griechische Philosophie hat die lateinische Philosophie hervorgebracht. Diese sind eigentlich die Grundlagen der klassischen Philosophie, die im eigentlichen Sinne in Griechenland stattfand. Ich halte das für essentiell. Manchmal habe ich den Eindruck, dass gerade die griechischen Texte besonders spannend und keineswegs unmodern sind, denn sie behandeln immer wieder aktuelle Themen der Pädagogik, wie beispielsweise die Frage „Was verdirbt den Menschen?”.
Natürlich steht das Görres-Gymnasium nicht nur für Latein und Griechisch, sondern auch für musische Aktivitäten, für die es in der Stadt auch sehr bekannt ist, sei es der Chor oder die Theater-AG. Welche Rolle spielt das?
AK: Im Theater haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und vielfältige Erfahrungen zu sammeln. Es ist entscheidend, dass sie ihre Gefühle vollständig erleben und ein tiefes Verständnis sowie Bewusstsein für diese entwickeln. Dies ist besonders wichtig für ihre persönliche Entwicklung. Jugendliche befinden sich in einer intensiven Phase der Selbstfindung und entdecken oft neue Facetten ihrer Persönlichkeit. Das Theater spielt dabei eine wesentliche Rolle, indem es ihnen hilft, diese Aspekte zu erkennen und anzunehmen.
Welche Bedeutung haben die naturwissenschaftlichen Fächer an der Schule?
AK: Die naturwissenschaftlichen Fächer ergänzen unser humanistisches Profil hervorragend, insbesondere, wenn es um die Grundfragen des Wissens geht. Das Görres-Gymnasium strebt danach, sich sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft zu verankern. Ich würde sagen, die Naturwissenschaften richten unseren Blick in die Zukunft, während die alten Sprachen uns mit unseren Wurzeln und der Vergangenheit verbinden. Die Künste wiederum spiegeln die Gegenwart wider.
Wie wird das Konzept des Görres in der Stadt angenommen? Wie entwickeln sich die Anmeldezahlen?
AK: Die Anmeldezahlen haben sich seit 2020 insgesamt positiv entwickelt. Wir hatten 101, dann 108, jetzt plötzlich 116 Anmeldungen. Insgesamt ist die Tendenz sehr positiv. Es tut mir immer leid, wenn ich Schülerinnen und Schüler abweisen muss. Mein Ziel ist es, so viele Schülerinnen und Schüler wie möglich aufzunehmen. Es gab ja auch Zeiten, wo es genau anders war. Vor einigen Jahren galt das Humanistische, das Altsprachliche als verstaubt und man wollte möglichst Chinesisch lernen. Und es gab 80 Anmeldungen, teilweise sogar nur 70.
Also lässt sich sagen, dass der altsprachliche Schwerpunkt gut angenommen wird?
AK: Gerade jetzt sieht man, wie gut man das Deutsche durch das Lateinische lernt. Der grundsätzliche Ansatz, diese alte Sprache als Basis für das Sprachenlernen insgesamt zu betrachten, wird als wertvoll erachtet. Ich spreche immer wieder mit Eltern, die gesagt haben, dass Latein in der fünften Klasse ihr Kind in Deutsch gerettet hat. Ich glaube, es war eine gute Entscheidung die Fokussierung auf das Altsprachliche beizubehalten, wobei alle anderen Dinge auch stattfinden. Auch die Lage mitten in der Stadt mit ihren zahlreichen Möglichkeiten, wie z.B. dem winterlichen Eislaufen auf der Kö, trägt sicherlich zur Beliebtheit des Görres bei.
Lieber Herr Kuhn, vielen Dank für das Gespräch.