„Der Betrachter begegnet seinen eigenen Erwartungen.”
Nika Špan, in Düsseldorf lebende Künstlerin und Vertreterin Sloweniens auf der 60 ten Biennale von Venedig, im Gespräch mit Thomas Majevszki
Hallo liebe Nika. Es ist wirklich schön, spannend und aufregend, Dich hier in Venedig treffen und mit Dir sprechen zu können. Seit längerem ist mit Dir wieder eine Künstlerin aus Düsseldorf für einen Länder-Pavillon, den Pavillon von Slowenien, dieser wahrscheinlich wichtigsten internationalen Kunstausstellung, verantwortlich. Wie und warum bist Du überhaupt nach Düsseldorf gekommen?
Wegen der Kunst! Mitte der 90er Jahre kam ich aus einer der schönsten Gegenden Europas, aus Slowenien. Es ist ein wunderbares Land, das in den neunziger Jahren seinen Aufstieg als junge, unabhängige Nation erlebte. Ich war damals auch jung, na ja, relativ. In Ljubljana hatte ich bereits meinen Abschluss in Malerei gemacht und war gerade dabei, mein Magister-Studium der Bildhauerei zu beenden. Die slowenische Kunstszene war schon immer stark, aber im Verhältnis zur Einwohnerzahl auch klein. Diese Zeit war auch der Beginn der sogenannten „zeitgenössischen Kunst“. In diesen Anfängen habe ich selbst die Grenzen der Kunst und des Kunstwerks ausgetestet und mir wurde klar, dass ich meinen Horizont erweitern musste.
Das bedeutet aber nicht, dass es im Osten Europas keine relevante Kunst oder Kunstbewegungen gab. Im Gegenteil! Jugoslawien hatte sehr innovative 50er, 60er und 70er Jahre. Nur zwei Beispiele: Die Neuen Tendenzen, eine wichtige internationale Avantgardebewegung, hatten ihren Anfang im Jahr 1961 in Kroatien! In der zweiten Hälfte der 60er Jahre wurde in Slowenien die Gruppe OHO gegründet, die auch internationale Bedeutung erlangte. Seit den 1980er Jahren war die Neue Slowenische Kunst (z.B. Künstlergruppe Irwin, Musikgruppe Laibach) in Slowenien sehr stark in der Szene vertreten. Gleichzeitig gab es eine etablierte künstlerische Strömung, die durch die italienische Transavantgarde und die deutschen Neuen Wilden ausgelöst wurde.
Wir kennen Vertreter davon auch aus dieser Gegend: Baselitz, Lüpertz, Penck, Immendorff, … nicht wenige von ihnen waren Professoren an der Akademie in Düsseldorf. In dieser Zeit habe ich Rauminstallationen und Projekte außerhalb von Galerien und Museen gemacht und ich suchte einen anderen Dialog mit dem Betrachter. Meine Sprache war eher konzeptionell und klar. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre verstand das nur eine Handvoll Leute in Slowenien, und das war mir zu wenig.
Hat sich die Rezeption Deiner Arbeiten in Düsseldorf geändert?
Ja, sehr. Das hätte ich selbst so nicht erwartet. Plötzlich befand ich mich unter Menschen, denen ich nicht alles von Anfang an erklären musste. Da sie ähnliche Ansichten hatten, verstanden sie sofort, was ich sagte. Das hat mir sehr geholfen, auch weil meine rudimentären Deutschkenntnisse damals nicht sehr hilfreich waren…
Wo hast Du diese Leute kennengelernt?
An der Düsseldorfer Akademie. Die Akademie hatte damals europaweit den Ruf, eine offene Institution mit hervorragenden Künstlerprofessoren zu sein. Es war großartig, dass ich ein DAAD-Stipendium bekommen habe. Ich stellte mich in der Klasse von Magdalena Jetelova vor und wurde angenommen. Wir kamen aus der ganzen Welt, reisten zusammen nach Japan, Korea und Slowenien. Jetelova war eine unkonventionelle Professorin, sie erwartete von uns, dass wir Künstler und nicht Studenten sind. In dieser Zeit habe ich auch zwei Arbeiten erstellt, die sich mit der Kunstinstitution Kunstakademie auseinandersetzen: „Nika Span – Preis“ und „Kunstakademie Düsseldorf, alles außer readymade“. Letztere wurde in der Kunstzeitschrift Kunstforum International realisiert, die selbst eine Art Institution ist. Eine weitere Institution, SOROS, half bei der Finanzierung dieser Veröffentlichung.
Jetzt bist du schon lange in Deutschland, die ganze Zeit in Düsseldorf?
Ja, sogar als alle nach Berlin gingen, bin ich hier geblieben. Nun, einige von ihnen sind bereits wieder zurück! Es scheint, dass Düsseldorfs reiche und turbulente künstlerische Vergangenheit irgendwie in der Stadt verankert ist. Sie ist da. Irgendwie präsent. Denken wir nur an den avantgardistischen Fluxus, der seine deutschen Anfänge in Düsseldorf mit Cage und Nam June Paik hat, an die Künstlergruppe ZERO, an Yves Klein, Beuys und seine Akademiezeit… und wenn wir noch weiter zurückblicken: an die Düsseldorfer Malerschule. Ich bin mir nicht sicher, ob das bekannt ist, aber die erste australische Kunstakademie wurde nach dem Konzept der Düsseldorfer Akademie gegründet! Viele hervorragende Künstler sind auch jetzt hier! Möglicherweise ist dies in der Stadt nicht direkt sichtbar, aber es ist spürbar. Und es offenbart sich, wenn wir hier die Tempel der Kunst betreten. Diese sind immer gut besucht. In letzter Zeit nutzten jedoch manche Häuser dieses breite Interesse aus und setzen Kunst und Populär-Kultur gleich. Das ist ein Fehler und führt zu Missverständnissen.
Du hast auch das letzte Galerieprojekt im Parkhaus im Malkastenpark gemacht?
Ja, Charly (Karl-Heinz Rummeny) und ich waren uns einig, dass EAU DE PARKHAUS das letzte sein sollte.
Wie siehst Du die aktuelle Düsseldorfer „Kunstlandschaft“?
An diesen Institutionen zeigt sich, dass die Stadt und die Region über Ressourcen verfügen und diese auch für Kultur und Kunst einsetzen, weil sie deren Bedeutung erkennen. Hier hatte ich die Gelegenheit, äußerst gute, große und anspruchsvolle Ausstellungen zu sehen. Das ist Lebensqualität und Luxus! Gleichzeitig gibt es auch eine wichtige und ständige Parallele: die Düsseldorfer Off-Szene. Die hat mich überrascht, als ich ankam. Mir wurde klar, wie wichtig diese Off-Szene für den Raum ist, den die Akademie mit so vielen Künstlern füllt. Ich gehörte selbst nicht zu dieser Szene, hatte aber vor allem durch das Parkhaus einen sehr direkten Kontakt. Kruno (Stipešević), mein Lebenspartner und ebenfalls Künstler, und ich waren von Anfang an eng mit diesem Ort verbunden, da wir durch den Malkasten dort aktiv waren. Wir sind wieder zurück bei der starken Tradition Düsseldorfs – dem Künstlerverein Malkasten, einem der ältesten Vereine Deutschlands. Ich bin auch Mitglied und in diesem Jahr haben wir fast einstimmig den neuen 1. Vorsitzenden gewählt.
Wie sah Deine Arbeit im Parkhaus genau aus?
Ich kannte diesen Ort und den Park, in dem er lag, sehr gut. Die Architektur selbst hatte eine hochwertige Bescheidenheit und war wunderbar mit der Natur verbunden. Es war eine Art besondere Symbiose von Kultur und Natur, die letztendlich auch die Ausstellungen beeinflusste und die ich schließlich bewahrt, konserviert habe. In der Galerie habe ich mit einem Entfeuchter mehr als hundert Liter Wasser aufgefangen und in 336 Bierflaschen abgefüllt. Auf diese Flaschen habe ich den Titel gestempelt, und die Linie, die die Titel umrandet, hat die Form des Grundrisses der Galerie. Alles ist spiegelverkehrt, sodass man durch das Glas und die Flüssigkeit schauen muss, um es richtig lesen und sehen zu können. Das Ganze hatte noch eine zusätzliche Bedeutung, da dieses Nebengebäude des Malkastens später abgerissen wurde. An dieser Stelle steht nun ein neues Gebäude, in dem bald die erste Ausstellung eröffnet wird.
Erzähle bitte etwas zu Deiner Arbeitsweise und Deiner Ausstellungshistorie.
Ich stelle generell nicht besonders viel aus, was auch meine Arbeitsweise widerspiegelt. Mein vielleicht repräsentativster Beitrag in Düsseldorf war 2006, als ich mit dem Förderpreis ausgezeichnet wurde. Teil der Auszeichnung war eine Ausstellung im Kunstraum, wo auch die Preisverleihung stattfand. Ich habe mich mit dem Verleihungsritual vertraut gemacht und ihm einen visuellen Rahmen gegeben. In dieser Rauminstallation überreichte uns der damalige Oberbürgermeister Joachim Erwin die Auszeichnungen. Anschließend wurde während der Ausstellungszeit ein Video mit den Namen der Preisträger abgespielt, ähnlich wie der Abspann eines Films.
Im Kunstraum, der für junge Künstler sehr wichtig ist, habe ich schon zuvor auf Einladung von Michael Voets ausgestellt. Gemeinsam waren wir auch in der Partnerstadt Chongqing in China, um dort Künstler aus Düsseldorf zu vertreten. Unser Aufenthalt war als Workshop konzipiert. Meine Arbeit trug den Titel „Der dritte Schuh“. Dafür habe ich in Düsseldorf mein Lieblingspaar Schuhe getrennt. Den linken Schuh habe ich per Post nach China geschickt, den rechten mitgenommen. In Chongqing habe ich den fehlenden linken Schuh von einem Schuster nach dem rechten Schuh kopieren lassen, was ein Kommentar zur chinesischen „Kopierkultur“ war. Dabei passierten einige unvorhersehbare Dinge – so brachte die Post den originalen linken Schuh genau am Tag vor der Eröffnung. Die Erfahrungen, die ich durch die Umsetzung von Projekten in unterschiedlichen Umgebungen sammle, sind für mich sehr wertvoll.
Wo stellst Du meistens aus?
Ich hatte die Gelegenheit, an sehr interessanten Projekten in Österreich teilzunehmen und habe am meisten in Slowenien ausgestellt. Dort habe ich gute Beziehungen zu verschiedenen Kunstinstitutionen und zur Kunstszene aufgebaut. Über einen langen Zeitraum hinweg hatte ich intensiven Kontakt zur Moderna Galerija in Ljubljana, insbesondere zu Igor Zabel, der leider 2006 tragisch verstarb. In seiner Funktion als Kurator vernetzte er die gesamte slowenische Kunstszene und war zugleich deren Chronist. Auch international war er sehr bedeutend.
Wie kam es dazu, dass Du den Slowenischen Pavillon für die Biennale 2024 in Venedig verantwortest?
Die Moderna Galerija ist nun auch Produzent des Slowenischen Pavillons. Ich war überrascht von der Entscheidung, aber wenn man weiß, wie die Auswahl getroffen wurde, erscheint sie logisch. Die Kommissarin des slowenischen Pavillons Martina Vovk, die auch Direktorin der Moderna Galerija in Ljubljana ist, hat Vladimir Vidmar eingeladen, den Pavillon zu kuratieren. In den letzten acht Jahren habe ich mit Vidmar an mehreren anspruchsvollen Projekten in Slowenien gearbeitet. Dass er mich als Künstlerin ausgewählt hat, beruht auf dieser Zusammenarbeit.
Zunächst muss ich sagen, dass Slowenien keinen permanenten eigenen Pavillon hat und immer wieder einen geeigneten Raum finden und mieten muss. Denke nur mal an den deutschen Pavillon! Es ist ein riesiges Gebäude an der repräsentativsten Stelle der Giardini. Deutschland hat seit 115 Jahren einen festen Platz in den Gärten der Biennale von Venedig. Diese Art der Repräsentation entstand mit den modernen Nationalstaaten und reflektiert auch die geopolitischen Verhältnisse und nationalen Interessen im Kulturbereich. Auch Jugoslawien hatte einen Pavillon auf dem Gelände, doch nach dem Zerfall des Staates hat Slowenien keinen Platz mehr in den Gärten.
Mein Projekt für die Biennale in Venedig trägt den Titel „Garden Secret for You“ und greift dieses Thema auf. „Garden Secret for You“ ist gleichzeitig eine Skulptur, Architektur und ein slowenischer Pavillon. Er befindet sich in einem wunderschönen Garten entlang der Viale Garibaldi, ganz in der Nähe der Giardini, wo sich 28 Länder in ihren nationalen Pavillons präsentieren.
Der Pavillon sieht wirklich anders aus als die anderen Pavillons. Gleichzeitig hat er alles, was ein Pavillon haben sollte, sogar einen Garten… Als der Kurator und ich im September letzten Jahres begannen, über das Projekt nachzudenken, waren wir uns einig, dass wir aus der Position heraus, in der sich Slowenien innerhalb der Biennale und Kunst-Machtverhältnisse befindet, ein klares Statement abgeben müssen. Wir waren nicht daran interessiert, Werke aus dem Atelier in die Ausstellung zu bringen oder eine Kunstpraxis zu präsentieren, auch nicht die Erwartungen des Kunstmarktes zu erfüllen. Also startete ich das Projekt „von Grund auf“. Beim Nachdenken und Recherchieren stieß ich im Internet auf ein Foto eines Objektes, das zum Ausgangspunkt des gesamten Projekts wurde.
Dieses Objekt ist ein Readymade, ein in Polen hergestellter Fertigkeller. Zu Beginn wusste ich nicht, was dieses Objekt eigentlich darstellt. Als ich mir diese Frage stellte, fand ich schließlich die Antwort: Dieses Objekt entzog sich ständig einer klaren Benennung und verfügte gleichzeitig über besondere formale Qualitäten. Diese Seltsamkeit und Unkenntlichkeit passte perfekt zum übergreifenden Thema der Biennale „Foreigners Everywhere“. Wir haben diesen Keller zunächst nach Slowenien und dann nach Venedig gebracht. Jetzt steht er so im Garten, wie er transportiert wurde, auf einem Anhänger. Die logistischen Komplikationen und Genehmigungen möchte ich gar nicht erst erwähnen.
Nun, es ist jetzt da: Ein Keller in einer Stadt, in der Keller nicht möglich sind!!! Inmitten eines wunderschönen venezianischen Gartens, erhoben auf einer mobilen Plattform. Da wir diesen Keller nicht betreten können, weil er nicht in die Erde eingegraben ist, sondern draußen auf einem mobilen Sockel steht, mussten wir eine Brücke bauen. Wir haben in der Stadt der Brücken noch eine weitere Brücke errichtet, eine von Hunderten Brücken in Venedig, und die einzige, die zu einem Keller führt.
Bei dem gesamten Projekt geht es tatsächlich um den kreativen Prozess und die Schaffung eines Kunstwerks sowie um dessen Wahrnehmung und das Erleben. Es ist der Weg, der zählt – der Weg des Objekts in die Kunst und der Weg des Betrachters, den er gehen muss, um das Werk zu erleben. „Garden Secret for You“ unterstreicht dies konzeptionell, visuell und sogar physisch. Der Betrachter muss zunächst die Treppe zur Spitze der Brücke hinaufsteigen und dann ins Innere hinabsteigen. Das Innere unterscheidet sich völlig von seinem Äußeren. Und dort trifft er auf etwas, mit dem er nicht gerechnet hat.
Vielleicht lässt es sich am besten so beschreiben: Der Betrachter begegnet seinen eigenen Erwartungen. Der schwierigste Teil des gesamten Projekts bestand möglicherweise darin, das Innere des Objekts nicht zu einem Ausstellungsraum zu machen. Es war entscheidend, dass alle Elemente ein Ganzes bilden – sowohl das Werk selbst als auch der slowenische Pavillon. Im Inneren sollte es keinen zentralen Punkt geben.
Ich hatte das Glück, mit einem großartigen Sounddesigner, Julij Zornik, zusammenzuarbeiten. Der von uns geschaffene Sound ist sowohl hörbar als auch physisch spürbar. Das Objekt fungiert hier als Klangkörper, der den Schall auf den Körper des Besuchers überträgt. Die Erfahrung des Innenraums lässt sich weder beschreiben noch dokumentieren – sie muss erlebt werden. Der Betrachter muss den gesamten Weg in das Kunstwerk zurücklegen, um es zu erleben und durch eigene Erfahrungen zu vervollständigen.