„Die Attraktivität von Düsseldorf ist ungebrochen“
Interview mit Thomas Geisel, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf
von Dr. Siegmar Rothstein
Sie sind seit nahezu seit fünf Jahren Oberbürgermeister unserer Stadt. Bei Ihren früheren Tätigkeiten in der Wirtschaft konnten Sie weitgehend entsprechend Ihrer eigenen Auffassung allein entscheiden. Die Politik lebt jedoch vom Kompromiss, da in der Regel eine Partei nicht allein regiert. Fällt Ihnen die Umstellung schwer, vor allem, wenn Sie auch Auffassungen berücksichtigen müssen, die Sie eigentlich voll ablehnen?
Nun, ganz so groß ist der Unterschied auch wieder nicht. Wenn Sie etwas erreichen wollen, müssen Sie in der Regel auch andere mitnehmen. Und da kommt es ganz maßgeblich auf die Überzeugungskraft Ihrer Argumente an. Das ist in der Politik nicht grundsätzlich anders als in der Wirtschaft. Natürlich spielen in der Politik bisweilen auch Gesichtspunkte mit, die eher parteipolitisch oder taktisch motiviert sind. Insgesamt aber bin ich mit dem, was wir in Düsseldorf – Verwaltung und Politik gemeinsam – erreicht haben ganz zufrieden. Und bei Auffassungen, die ich voll ablehne, habe ich nach meiner Erinnerung in den letzten fünf Jahren keine Kompromisse gemacht.
Der frühere USA Präsident John F. Kennedy hat nach einiger Zeit in seinem Amt erklärt, er sei doch sehr überrascht, wie wenig er seine persönlichen politischen Ansichten durchsetzen und auf den Gang der Verwaltung Einfluss nehmen könne. Haben Sie als Oberbürgermeister bei Ihrer täglichen Arbeit eine ähnliche Erfahrung gemacht?
Natürlich hat jede Verwaltung ein gewisses Eigenleben. Insofern ist es wichtig, dass man klar signalisiert, was man vorhat und gelegentlich auch einmal durchgreift. Dies ist bei einer Kommunalverwaltung naturgemäß etwas einfacher, als bei großen Verwaltungsapparaten. Soweit ich das beurteilen kann, sind die Verselbständigungstendenzen der Verwaltung in Land und Bund stärker ausgeprägt, als in unserer Stadtverwaltung. Und noch schlimmer dürfte es wohl in der Bundesverwaltung der Vereinigten Staaten sein, unter der John F. Kennedy zu leiden hatte.
Sie regieren in einer Kooperation von SPD, FDP und Grünen. Sind Sie mit der Zusammenarbeit zufrieden? Man kann den Eindruck haben, dass FDP und Grüne Sie nicht unkritisch begleiten, Sie zum Teil sogar heftig kritisieren. Berührt Sie Kritik, wenn Sie sie für ungerechtfertigt halten?
Grundsätzlich bin ich mit der Zusammenarbeit in und mit der Ampel-Ko-operation ganz zufrieden. Gemein-sam haben wir viel erreicht. Dass von Seiten der Grünen und der FDP bisweilen Kritik an meiner Amtsführung geleistet wird, finde ich nicht überraschend. Erfahrungsgemäß haben insbesondere kleinere Parteien und Fraktionen ein besonders ausgeprägtes Bedürfnis, sich hin und wieder zu profilieren. Dass deren Kritik – ich denke insofern an die Rolle der FDP bei der Tour der France oder die Position der Grünen in der Frage des Ed-Sheeran-Konzerts – aus meiner Sicht der Sache nicht gerecht wurde, damit muss man leben. Dass insbesondere vor Wahlen eher das Trennende als das Verbindende he-rausgestellt wird, liegt wohl auch in der Natur der Sache. Im Interesse der Stadt freilich wäre es, wenn die Ampel so lange wie möglich halten würde – jedenfalls solange die CDU sich in erster Linie als Fundamental-opposition versteht.
Zur Zeit ist in aller Munde die Klage über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum insbesondere in den Städten. Sieht die Stadt Düsseldorf Möglichkeiten und – gegebenenfalls – welche, einen Beitrag zur Beseitigung der Unterversorgung zu leisten? Geben Sie in Grundstückskaufverträgen vor, ob und wie der Käufer zu bauen hat?
Sie haben völlig recht: In Düsseldorf gibt es in der Tat eine Unterversorgung. Und deshalb können wir den Preisanstieg bei den Mieten nur dadurch eindämmen, dass wir bei anhaltend hoher Nachfrage auch das Angebot deutlich erhöhen. Des-halb haben wir den Wohnungsbau in den letzten fünf Jahren drastisch angekurbelt. Mittlerweile erreichen wir das Ziel, nachhaltig jedes Jahr 3.000 neue Wohnungen dem Wohnungsmarkt hinzuzufügen, und im letzten Jahr haben wir erstmals seit Jahrzehnten mehr Sozialwohnungen gebaut, als aus der Sozialbindung herausgefallen sind – und uns da-mit vom Negativtrend anderenorts abgekoppelt.
Ganz einfach ist das nicht, denn bei praktisch jedem größeren Wohnungsbauvorhaben regt sich Widerstand, der entweder gar keine Bebauung zulassen möchte oder lediglich eine deutlich geringere Anzahl an Wohnungen. In punkto bezahlbaren Wohnraums stellen wir durch das „Handlungskonzept Wohnen“ sicher, dass bei allen Wohnungsbauprojekten mindestens 40 Prozent Wohnungen im preisregulierten Segment, also als Sozial-wohnungen oder Wohnungen mit preisgedämpften Mieten, errichtet werden. Hinzu kommt, dass wir die städtische Wohnungsbaugesellschaft deutlich gestärkt haben und sie prioritär berücksichtigen, wenn städtische Grundstücke veräußert werden. Wohnungen im kommunalen Eigentum haben den großen Vor-teil, dass sie langfristig dem Gemein-wohl verpflichtet bleiben.
Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie in Aussicht gestellt, sich besonders mit der Verkehrspolitik zu beschäftigen, insbesondere das Fahrradfahren und den öffentlichen Nahverkehr zu fördern. Sie haben einiges auf den Weg gebracht, dennoch wird Ihnen vorgeworfen, Sie hätten es bei wachsendem Verkehr nicht geschafft, die dringend notwendige Verkehrswende zu beginnen, es fehle am Generalplan für den Verkehr. Andererseits wird kritisiert, dass der Fahrradverkehr zu Lasten des Autoverkehrs zu stark begünstigt wird. Auf welche Verkehrspolitik darf man sich in Zukunft in Düsseldorf einstellen?
Die Verkehrswende gehört in der Tat zu den dickeren Brettern, die es in der Kommunalpolitik zu bohren gilt, zumal dann, wenn diejenigen, die sich über zu langsame Fortschritte beklagen, häufig die größten Bremser sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die Diskussion über Anliegerparken und Parkraumbewirtschaftung oder über sogenannte „protected bike lanes“ erinnern. Aus meiner Sicht hat Ideologie in der Verkehrspolitik nichts zu suchen. Deshalb machen wir keine Anti-Auto-Politik. Allerdings kann sich niemand der Erkenntnis verschließen, dass der motorisierte Individualverkehr, also das Auto, nicht mehr das Verkehrsmittel der Wahl sein kann in einer Metropole, die einerseits immer dichter bebaut wird und andererseits immer größeren Wert auf die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum legt. Deshalb muss es Ziel unserer Verkehrspolitik sein, die Infrastruktur und das Angebot für Fahrrad, Bus und Bahn so weiter zu entwickeln, dass die Menschen auf das Auto verzichten können. In diesem Zusammenhang erweitern wir das Stadtbahnnetz um die U 81, investieren in neue Straßenbahnen und moderne Busse, verdichten wir den Takt bei Bus und Bahn und bauen das Radwegenetz weiter aus.
Düsseldorf befindet sich in einem sehr befriedigenden Zustand. Es hat den Lebensstandard gehalten und sogar verbessert, die Stadtentwicklung ist auf einem sehr guten Weg. In diesem Jahr wollen Sie weniger ausgeben als einnehmen. Wo sehen Sie Düsseldorf in der Zukunft? Was sollten die Prioritäten in den nächsten Jahren sein?
Die Attraktivität von Düsseldorf ist ungebrochen. Deshalb wird unsere Stadt weiter wachsen. Mir ist es wichtig, dass alle Stadtteile Düsseldorfs an dieser insgesamt sehr positiven Entwicklung teilhaben. Des-halb werden wir in allen Stadtteilen Wohnungen bauen, in Schulen und Kindergärten investieren und die soziale, kulturelle und Verkehrsinfrastruktur weiter entwickeln. Natürlich wird es auch in Zukunft in Düsseldorf städtebauliche Leuchtturmprojekte geben. Eines davon ist der sogenannte „blau grüne Ring“, ein anderes die Weiterentwicklung des Düsseldorfer Hafens. Und natürlich hat Düsseldorf den Anspruch, bei der digitalen Transformation Maß-stäbe zu setzen. Wir wollen uns zu einer Smart City entwickeln mit einer vorbildlichen digitalen Infrastruktur, einer bürgerfreundlichen – besser gesagt: kundenorientierten – Verwaltung und einem barrierefreien und emissionsarmen integrierten Mobilitätssystem.
Sie sind bis September 2020 gewählt und haben erklärt, sich der Wiederwahl zu stellen. Der Land-tag hat mit den Stimmen der CDU/FDP Koalition die Stichwahl abgeschafft. Es kommt also nicht mehr zu einem zweiten Wahlgang, bei dem die beiden bestplazierten Kandidaten antreten. Ihre Partei will die Entscheidung des Landtages gerichtlich überprüfen lassen. Ist aber nicht die jetzt gefundene Regelung für Sie von Vorteil, weil der sogenannte Amtsbonus Ihnen helfen könnte, im Ergebnis die meisten Stimmen zu erhalten? Bei der letzten Wahl wäre Ihr Amtsvorgänger Oberbürgermeister geblieben, weil er im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hat und erst im zweiten Wahlgang unterlegen war.
Es trifft wahrscheinlich zu, dass durch die Abschaffung der Stich-wahl der Amtsinhaber tendenziell begünstigt wird. Dennoch halte ich die Abschaffung der Stichwahl nicht nur für einen schweren Fehler, sondern für einen Bärendienst an der Demokratie. Zum einen finde ich die Vorstellung schwer erträglich, dass ein Oberbürgermeister gewählt sein kann, der vielleicht gerade einmal etwas mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnte. Vor allem aber befürchte ich, dass sich die Parteien durch die Ab-schaffung der Stichwahl veranlasst sehen könnten, sich zu politischen „Lagern“ zusammenzuschließen, um mit einem gemeinsamen Kandidaten bessere Chancen zu haben. Im Ergebnis würde dies dazu führen, dass die Kandidatenauswahl das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Parteifunktionären wird. Ein völlig unbekannter Kandidat, wie ich es 2014 war, hätte dabei, befürchte ich, keine Chancen.
Sie haben sich zu dem Grundsatz bekannt, erst die Stadt dann die Partei. Kürzlich wurde der Vorstand Ihrer Partei neu gewählt. Sie haben sich nicht zur Wiederwahl gestellt. Hier gab es Spekulationen, dass Ihr Rückzug nicht freiwillig, sondern auf Druck der Genossen erfolgt sei.
Das ist – mit Verlaub – Quatsch. Als Oberbürgermeister kann ich an allen Gremiensitzungen meiner Partei teilnehmen, auch ohne ein formelles Parteiamt zu bekleiden. Und ganz ehrlich: Mein Terminkalender ist durchaus so gefüllt, dass mir nicht danach ist, mich in zusätzliche Auf-gaben und Funktionen zu drängen.
Es wird berichtet, Ihr Vater sei skeptisch gewesen, dass Sie es als Schwabe im Rheinland nicht leicht haben würden. Sie wohnen schon lange im Rheinland. Hatten Sie irgendwann einmal den Eindruck, als Schwabe nicht angenommen zu werden? Schlägt Ihr Herz gelegentlich noch ein wenig schwäbisch?
Meine Familie und ich haben uns vom ersten Tag an in Düsseldorf sehr wohl gefühlt. Natürlich gibt es keinen Grund, meine schwäbische Herkunft zu verleugnen und Maultaschen und Spätzle gehören nach wie vor zu meinen Leibspeisen. Umso mehr schätze ich, dass unsere Stadt so weltoffen ist, dass sie einen Oberbürgermeister mit schwäbischem Migrationshintergrund gewählt hat (lacht).
Sie üben ein anspruchsvolles politisches Amt aus, das sicher nicht selten heftig an Ihren Kräften zehrt, so zum Beispiel, als Sie nach einer Talkrunde bei Anne Will von Berlin nach Mitternacht in fünf Stunden im PKW nach Düsseldorf gefahren werden mussten, da am nächsten Tag ab 8 Uhr wichtige Termine auf Sie warteten. Auch Ihre Freizeitgestaltung ist nicht gerade gemütlich: Sie laufen einen Marathon in Bos-ton und nach knapp zwei Wochen einen Halbmarathon in Düsseldorf. Wie schaffen Sie all Ihre Aktivitäten? Wie verkraften Sie Ihre hohe Schlagzahl? Verraten Sie uns die Quelle, worauf Sie Ihre hohe Vitali-tät zurückführen?
Der liebe Gott hat mich glücklicherweise mit guter Gesundheit und guter Kondition und einem nicht sonderlich ausgeprägten Schlaf-bedürfnis ausgestattet. Und noch wichtiger für dieses Amt ist vielleicht die Fähigkeit, auch einmal abschalten zu können. Wenn ich bei meiner Frau und meinen Kindern bin, bin ich eben nicht Oberbürgermeister, sondern ein Familienvater, der das Glück hat, eine großartige Frau und fünf wunderbare Töchter zu haben. Das ist ein Segen.
Kurzvita
Thomas Geisel wurde 1963 in Ellwangen/Ostalbkreis geboren. Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in Freiburg, Genf und USA, Master of Arts der Georgetown University in Washington USA, Master in Public Administration der Harvard University, 1994 zweites juristisches Staatsexamen. Geisel hat als Manager in diversen Wirtschaftsunternehmen gearbeitet. Er war zwischen 1994 bis 1998 bei der bundesunmittelbaren Treuhandanstalt in Berlin tätig, von 1998 bis 2000 beim Energieunternehmen Enron in London und von 2000 bis 2013 bei der Ruhrgas AG in Essen, dieses Unternehmen wurde zu dieser Zeit von E.ON übernommen. Eintritt in die SPD am Tag des Abiturs 1983, Referent der SPD Fraktion in der ersten freigewählten Volkskammer der DDR und danach des SPD Bundesgeschäftsführers Karl-Heinz Blessing. Thomas Geisel ist seit September 2014 Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf, in dieser Funktion Vorsitzender oder Mitglied in zahlreichen Aufsichtsgremien. Er ist sportlich sehr aktiv, läuft Ski und Marathon. Zu seinen Hobbies gehört das Spiel der Querflöte. Thomas Geisel ist verheiratet und hat fünf Töchter. Seit 2003 lebt er in Düsseldorf.
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