„Bei meiner Kunst gebe ich mein Bestes und suche die Vollendung“
Interview mit dem Maler und Bildhauer Markus Lüpertz
von Dr. Paul Breuer
Zwei schlaksige Jungen, so um die 14 Jahre, bewegten sich von der Realschule Mönchengladbach nach Hause in Rheydt. Immerhin fünf bis sechs Kilometer Fußmarsch. Markus mit der Zeichenmappe unterm Arm, und ich mit der typischen, vollgepackten Schultasche, die man damals in der Hand und nicht auf dem Rücken trug. Das Gewicht der Bücher brachte meinen schmächtigen Körper fast in Schieflage. Kurz bevor sich unsere Wege trennten, fragte ich Markus, was denn in der Zeichenmappe zu sehen sei. Etwas zögerlich öffnete er sie und zeigte mir einige Bleistift-/Kohlezeichnungen. Es waren männliche Aktzeichnungen. „Wahrscheinlich vor dem Spiegel gezeichnet“, schoss es mir durch den Kopf. Nachdenklich und leicht irritiert ging ich nach Hause. Und das sollte Kunst sein? Meine frühesten Erinnerungen an dieses Fach reichten in die Zeit mit Ernst Fuchs zurück, dem österreichischen Maler, der zeitweise bei uns Zuhause in Wien wohnte und der als 16-Jähriger eine Reihe Portraits, unter anderem von mir, dem Fünfjährigen, in Kohle zeichnete. Markus trug schon damals einen Ohrring – so wie zum Beispiel Seeräuber in alten Illustrationen dargestellt wurden. In dieser verklemmten Zeit und in diesem jugendlichen Alter mit einem Ohrschmuck herumzulaufen, setzte Mut voraus, starkes Selbstbewusstsein sowieso. Dass viele Jahre später er als einer der bekanntesten deutschen Maler und Bildhauer, umstritten wie bewundert, mir zum Interview gegenübersitzen würde, konnte keiner von uns auf dem Schulweg damals voraussehen. |
Welche Erinnerungen hast du an die Fünfziger Jahre?
Resopalbeschichtete Nierentische, Milchbars. Ein ‘Born to be wild”-Gefühl im Bauch. Ich weiß, der Film Easy Rider kam erst Ende der 60er-Jahre in die Kinos, aber irgend-wie entsprach dieser Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang meinem jugendlichen Übermut schon in den Fünfzigern. Ich war halt immer schon meiner Zeit voraus. (Lacht) Ich will nicht, wie so viele ältere Menschen, in ein ‚früher war alles besser’, verfallen. Jede Zeit erzielt an Mehrwert nur, was die Menschen aus ihr machen. Deshalb ist mein Blick nach vorne gerichtet. Ich komme nirgendwo an und suche meinen Ort stets in der Zukunft, bin auch jetzt voller Pläne und jage immer noch dem Bild aller Bilder hinterher.
Was reizte dich, nach der erfolgreichen Zeit als Rektor der Kunstakademie in Düsseldorf, das Epizentrum zeitgenössischer Kunst in Deutschland – wie manche behaupten – zu verlassen und für längere Zeit nach Berlin zu gehen?
Ich war immer in Berlin präsent und hatte dort auch ein Atelier. Berlin hat gewisse Ankerpunkte. Michael Werner, mit dem ich seit vielen Jahrzehnten zusammenarbeite, hat dort seine Galerie. Und nicht zuletzt leben viele Freunde dort. Beim Fall der Mauer machte sich die Muse auf und davon und kehrte der Stadt den Rücken. Berlin selbst gefällt sich darin, anderen Großstädten zu gleichen. Man hechelt einer gelangweilten und Amüsement süchtigen Klientel hinterher und verliert darüber völlig die eigene Identität und Individualität aus den Augen. Ein Zeitphänomen.
Es hieß: Berlin sei nach der Wende auf dem Weg, sich als Kunsthauptstadt Europas zu mausern. Hat sich das bewahrheitet oder war es ein „Kunstfehler“?
Was heißt hier „Kunstfehler“? Ich höre da einen leicht ironischen Unterton heraus. Nach der Wende haben sich viele Galerien gerade aus dem Rheinland für einen Umzug in die neue Hauptstadt entschlossen, weil man sich frischen Wind von der allgemeinen Aufbruchsstimmung versprach. Das hat sich jedoch alles wieder schnell abgekühlt, inzwischen gibt es gar Rückkehrer. Berlin fehlte und fehlt es an Sammlern und was noch mehr ins Gewicht fällt, an Hinterland. Nach der Wiedervereinigung spekulierte man auf eine Öffnung Richtung Osten. Die blieb aus. Ökonomisch unbedeutend, für die Kunst wurde es schwierig zu überleben.
Inzwischen bist du temporär wieder zurückgekehrt nach Mönchengladbach-Rheydt, die Stadt deiner Jugend. Was gab den Ausschlag für diese Entscheidung? Zurück aus Sentimentalität zu den Wurzeln deiner künstlerischen Prägephase?
Es verhält sich ganz simpel: Ich habe ein Haus in Rheydt. Als das Hinterhaus frei wurde, bin ich von Düsseldorf in mein eigenes Refugium gezogen. So einfach ist das und weit entfernt von sentimentalen Anwandlungen. Mönchengladbach hat viel an Charme eingebüßt. Städtebauliche Sünden soweit das Auge reicht. Und doch fühle ich mich, wenn ich dort weile, ganz wohl. Denn in der Regel geschieht das nur, wenn ich an Skulpturen in der Gießerei Schmäke, auf deren Gelände ich ein eigenes Atelier habe, in Düsseldorf arbeite.
Was bedeutet dir der Begriff „Heimat“ in dem Zusammenhang?
Sprache ist für mich Heimat. Die Sprache öffnet der Poe-sie die Welt, hier entstehen Welten; Welten, die man entwirft, um in sie einzutauchen und darin zu leben und sein Schaffen zu situieren. Es gilt, Atmosphären zu entwerfen. Auch ich in Arkadien! Jedoch ein Arkadien, das ich aufrufe, das ich in die Welt setze. Das habe ich in meinem Arkadienbuch versucht. Ich schaffe mir mit und in der Sprache Aufenthaltsräume, in denen meine Werke entstehen und in denen sie zur Geltung kommen.
Du bist Maler und Bildhauer, schreibst Gedichte und machst Musik. Viele deiner Künstlerkollegen besitzen vielseitige Eigenschaften. Wie geht man mit einer „Multi-begabung“ um? Läuft man nicht Gefahr, sich zu verzetteln?
Ich bin keine „Multibegabung“. Ich bin ein Maler. Und alle Aktivitäten außerhalb der Malerei erklären sich bei mir aus der Malerei. Um sie kreist mein Leben. Die Ausstellung, die dieses Frühjahr im Heinrich-Heine-Institut gezeigt wurde, verdeutlichte das nachdrücklich. Gezeigt wurden Lithographien von mir, die sich mit den sogenannten „Ignudi“ den „Nackten“, die Michelangelo unter die Decke der Sixtina setzte, beschäftigen. Ein Zwiegespräch, das ich, der Malerbildhauer, über die Jahrhunderte hinweg mit dem Bildhauermaler Michelangelo führe.
Deine Kunst wird gelegentlich als provokant bezeichnet. „Provokation muss mit Provokation beantwortet werden“, meinte ein selbsternannter Kritiker zur Mozart-Skulptur in Salzburg, um sie über Nacht zu Teeren und zu Federn. Steckt in deiner Kunst nicht manchmal auch die Absicht zu provozieren? Steckt vielleicht auch ein Stück Heinrich Heine in dir, wie die erfolgreiche Ausstellung im Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf zeigte?
Nein, ich strebe keine Provokation an. Das ist unter meinem Niveau. Ich gebe nur mein Bestes und suche die Vollendung. Wenn dieser Weg als provokant empfunden wird, dann ist das ein Problem des Betrachters und nicht mein Problem. Was Heine betrifft: Sein Widerspruchsgeist liegt mir nahe. Ebenso seine Idee vom Kunstgenie, dem er die Fähigkeit zuspricht, seinem Schaffen eigene Regeln zu geben. Das spricht mir aus der Seele. Vor einigen Jahren habe ich zusammen mit Heinrich Heil einen Gesprächs-band herausgebracht mit dem Titel „Der Kunst die Regeln geben“. Was wir dort im Gespräch entwickeln, bewegt sich erstaunlich nahe an der Skizze, die Heine in seinen Besprechungen der Pariser Kunstsalons vom Künstlergenie zeichnet.
Die Beschreibung deiner Person von einigen Kritikern und Kollegen als Künstler reichen von „Selbstdarsteller“, „Modestenz“, „Dandy“ bis „Genie“, um nur einige zu nennen. Dein Outfit in der Öffentlichkeit ist von ausgesuchter Perfektion. Treffen solche Etikettierungen zu oder verletzen sie Dich?
Es ist doch erstaunlich, dass sich die Öffentlichkeit darüber mokiert, auf einen gut gekleideten älteren Herrn zu treffen. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit. Da ich bei meiner Arbeit in Farbe und Gips wühle, habe ich anschließend das Bedürfnis, mich anständig zu kleiden und aufzutreten.
Eitelkeit wird von dir als Tugend und nicht als Beleidigung empfunden. Eitel zu sein, setzt eine gewisse Disziplin voraus und zieht eine ständige Reflektion nach sich, die danach fragt: „Wer bin ich? Und was will ich?“
Etwas auf sich halten, bedeutet aufmerksam zu sein und bewusst mit seiner Erscheinung umzugehen. Ich empfinde es als Zumutung, in welcher Nachlässigkeit viele herumlaufen. Dicke Bäuche, Farbkombinationen ohne Gefühl, Sinn und Verstand, ausgebeulte Jogging-Hosen und Jacken – ein Grauen, eine Unverschämtheit ohne Ende.
Die Motivation, ein bestimmtes Kunstprodukt besitzen zu wollen, kann auf reiner Spekulation beruhen oder auch auf der weitgehend geistigen Identifikation mit dem Künstler. Lässt einen lebenden Künstler so etwas kalt oder möchte er doch gerne wissen, wer seine Kreation kauft?
Wenn ein Gemälde oder eine Skulptur das Atelier verlässt, und ich mich davon trenne, habe ich damit abgeschlossen. Die Spekulationen des Marktes und der Sammler interessieren mich nicht. Allerdings ist es aufregend, dem eigenen Schaffen – etwa bei einer retrospektiven Ausstellung – wieder zu begegnen. Dann nehme ich sofort das Gespräch auf, und ich fühle mich heimatlich, denn ich bewege mich auf der eigenen Spur.
Wann werden wir eine Retrospektive deiner Arbeiten in unserer Region sehen können?
Demnächst. Aber entschuldige, dass ich bei laufenden Verhandlungen aktuell keine genaueren Angaben machen kann und will.
Kurzvita
Markus Lüpertz (* 25. April 1941 in Reichenberg/Liberec) siedelte als Siebenjähriger mit der Familie aus der damaligen Tschechoslowakei nach Rheydt im Rheinland über. 1956 nahm er ein Studium an der Werkkunstschule Krefeld auf. In dieser Zeit Reisen nach Südfrankreich und Studienaufenthalt im Kloster Maria Laach. Im Winter 1960 zieht er als freischaffender Künstler nach West-Berlin. Lüpertz gründete mit 13 weiteren Künstlern die Galerie Großgörschen 35, eine von 1964 bis 1968 bestehende Selbsthilfegalerie Berliner Künstler. Die 1. Biennale Berlin organisierte er 1974. Von 1971 bis 1986 folgte die Professur für Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karls-ruhe. Von 1988 bis 2009 Rektor der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. 2009 wurde er in die Nordrhein-West-fälische Akademie der Wissenschaften und Künste gewählt. Lüpertz arbeitet in Berlin, Karlsruhe und Düsseldorf.
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