„Unsere Steuerpolitik trägt mit Sicherheit wirtschaftsliberale Züge“
Interview mit Daniel Zimmermann, Bürgermeister der Stadt Monheim
von Siegmar Rothstein
Sie wurden im Jahre 2009 zum Bürgermeister in Monheim am Rhein gewählt als Kandidat für die Jugendpartei PETO. Mit 27 Jahren waren Sie dann der jüngste Bürgermeister in NRW. Diese Wahl wurde allgemein als Sensation empfunden. Hat das Ergebnis auch Sie ein wenig überrascht? Erinnern Sie sich doch einmal, wie Sie diesen Erfolg geschafft haben.
Ja, die mediale Aufmerksamkeit war enorm. Den Exotenstatus als jüngster Bürgermeister in NRW habe ich allerdings vor allem im Blick von außen. Hier in Monheim am Rhein haben mich die Leute ja nicht wegen meines Alters gewählt, sondern wegen meines Programms und sicher auch, weil sie mich für glaubwürdig hielten. Die damaligen Kandidaten der CDU und der SPD kamen beide nicht aus Monheim am Rhein. Ihnen hing der Ruf an, das Amt hauptsächlich aus Karrieregründen anzustreben. Das war mein Vorteil.
Nach fünfjähriger Tätigkeit wurden Sie 2014 mit 94,64 Prozent Zustimmung wiedergewählt, ein sicher einmaliges Ergebnis bei Kommunalwahlen in NRW. Was ist ihr Erfolgsgeheimnis? Was machen Sie anders, als die etablierten Parteien, die bis auf die Grünen im Hinblick auf das zu erwartende Ergebnis nicht einmal eigene Kandidaten für das Bürgermeisteramt aufgestellt haben? Was haben Sie in Monheim in dieser Zeit erreicht?
Auch dieses Ergebnis wäre sicher nicht denkbar gewesen ohne den taktischen Fehler von CDU und SPD, keine eigenen Kandidaten aufzustellen. Die Parteien haben sich ausschließlich auf die Stadtratswahl konzentriert. Hinzu kommt aber auch die besondere finanzielle Situation. Bei meinem Amtsantritt war die Stadt mit 120 Millionen Euro verschuldet. Heute sind wir rund 250 Millionen Euro im Plus. Monheim am Rhein ist seit 2013 schuldenfrei. Das hat uns natürlich enormen Handlungsspielraum verschafft. Der Stadtrat konnte die Kitagebühren komplett abschaffen. Für viele Eltern ist das je nach Einkommensgruppe eine Entlastung von mehreren Hundert Euro pro Monat. Die Stadt investiert ohnehin sehr viel in Bildung und Chancengleichheit. Das ist den meisten Menschen wichtig und wurde bei der Wahl entsprechend honoriert.
Durch die Schuldenfreiheit der Stadt Monheim hat sich der finanzielle Spielraum erheblich vergrößert, der den wirtschaftlichen Erfolg ermöglichte. Ihnen liegt aber offenbar auch am Herzen, dass Kunst und Kultur gefördert werden und sich im Stadtbild wiederfinden. Vor einigen Wochen wurde als neues Wahrzeichen Monheims, die von Prof. Markus Lüpertz geschaffene große Skulptur „Leda“ aufgestellt, eine Interpretation der Gänseliesel aus dem Wappen der Stadt Monheim am Rhein.
Eine Stadt sollte sich um mehr kümmern als darum, dass die Müllabfuhr reibungslos funktioniert und Schu len und Straßen saniert werden. Jede Kommune hat auch eine kulturelle Verantwortung. In Monheim am Rhein lernen zum Beispiel 60 Prozent aller Grundschüler ein Musikinstrument. Wir machen im Ulla- Hahn-Haus Angebote im Bereich der Sprach- und Literaturförderung. Und wir investieren in Kunst im öffentlichen Raum, weil diese Kunst für alle da ist. Jeder kann sie betrachten, ohne sich eine Eintrittskarte für ein Museum oder eine Ausstellung kaufen zu müssen.
Die erhebliche Reduktion der Gewerbe- und Grundsteuer wird Ihnen als unfairer Steuerwettbewerb vorgeworfen. Wie begegnen Sie dieser Kritik?
Zum einen ist in Deutschland der Wettbewerb zwischen den Kommunen gewollt. Wenn das nicht so wäre, dürfte man es den Städten und Gemeinden nicht überlassen, ihre Steuersätze selbst festzulegen. Zum anderen lohnt ein Blick über die Landesgrenzen hinaus: Nicht Monheim am Rhein ist zu günstig, sondern die meisten anderen Kommunen in NRW sind zu teuer. Die durchschnittliche Steuerbelastung für Unternehmen liegt in NRW bei 32,0 Prozent. In den Niederlanden sind es nur 25,0 Prozent. Da sind wir mit unseren 24,6 Prozent einfach deutlich konkurrenzfähiger. Läge Monheim in Bayern, in den Niederlanden oder in Brandenburg, würde unser Steuersatz überhaupt kein Aufsehen erregen. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Kommunen in NRW gelänge, wieder Anschluss an den internationalen Steuerwettbewerb zu gewinnen. Auf diesem Level sind wir nämlich wirklich keine Steueroase, sondern gerade mal gesundes Mittelfeld.
Die Kommunen beschäftigen sich zur Zeit intensiv mit der Verkehrspolitik, auch für die Stadt Monheim am Rhein sicher eine Herausforderung. Der stark gewachsene Autoverkehr wird auch im Hinblick auf den notwenigen Klimaschutz kritisch betrachtet, der öffentliche Personennahverkehr soll gefördert werden. Sie beabsichtigen, den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr einzuführen und autonom fahrende Busse zwischen Busbahnhof und Altstadt anzuschaffen. Wie werden diese Pläne aufgenommen? Haben Sie weitere Aktivitäten im Auge?
Die meisten Monheimer begrü.en diese Entwicklung. In der Verkehrspolitik unterscheidet man zwischen den so genannten „Push“- und „Pull“- Faktoren. „Push“ bedeutet Zwang, indem Sie etwa Innenstädte für Autos sperren oder Fahrverbote verhängen. Das führt natürlich zu Unfrieden. „Pull“-Faktoren dagegen sind eine Einladung, andere Verkehrsmittel zu nutzen, indem man sie attraktiver macht. In diesem Bereich setzen wir an. Wir haben schon in den letzten Jahren begonnen, das örtliche Nahverkehrsangebot erheblich auszuweiten. Als ich Bürgermeister wurde, ist unser städtisches Nahverkehrsunternehmen jedes Jahr 1,3 Mio. Kilometer gefahren. Heute sind es 2,1 Mio. Kilometer. Von der Innenstadt zum S-Bahnhof bieten wir tagsüber einen Fünf-Minuten-Takt an. Auch in den Abendstunden und am Wochenende wurde das Angebot ausgeweitet. Nur so kann der ÖPNV eine echte Alternative zum Auto darstellen.
Die Stadt Monheim am Rhein befindet sich offenbar in einem sehr guten Zustand. Das Schweizer Fernsehen spricht vom Wunder von Monheim. Ihrem Erfolgt wird bundesweit Strahlkraft bescheinigt. Gibt es überhaupt noch eine Problemzone in Monheim? Wo sehen Sie Ihre Stadt in der Zukunft?
Es gibt keine Probleme, die es nicht auch woanders gäbe. Eins davon ist die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt. In NRW fehlen 400.000 Wohnungen. In Monheim am Rhein sind es mindestens 1.000, gerade auch im unteren bis mittleren Preissegment. Aus diesem Grund hat die Stadt eine eigene Wohnungsbaugesellschaft gegründet. Wir bauen 450 eigene Wohnungen. Und natürlich unterstützen wir auch die Bautätigkeit im privaten Wohnungsmarkt. Doch diese Prozesse brauchen Zeit, die wir leider nicht haben. Ein zweites großes Thema ist die Innenstadtentwicklung. Durch Konkurrenz aus den Nachbarstädten und den Online-Handel steht unser Einzelhandel in der Innenstadt unter Druck. Im Moment gelingt es uns, nur 90 Prozent der vor Ort vorhandenen Kaufkraft zu binden. Das wollen wir durch eine millionenschwere Neugestaltung der Innenstadt verändern. Wir investieren außerdem sehr stark in Onlinesysteme, die dem stationären Handel helfen, im Internet präsent zu sein.
PETO wurde als Jugendpartei gegründet. Inzwischen gibt es ein Programm auch für die ältere Wählerschaft. Sie haben im Stadtrat nahezu eine Zweidrittel-Mehrheit. Kann man Ihre Partei politisch einordnen? Sind Sie links, rechts, sozialistisch, konservativ, alles oder nichts von allem?
Unsere Steuerpolitik trägt mit Sicherheit wirtschaftsliberale Züge. Mit den hohen Einnahmen haben wir andererseits eher sozialdemokratisch agiert – siehe zum Beispiel die Abschaffung der Kitagebühren. Auch grüne Themen wie der Umwelt- und Klimaschutz spielen eine große Rolle. Ich glaube, es ist eine große Chance, in der Kommunalpolitik immer wieder mit den Bürgerinnen und Bürgern aushandeln zu können, was das Beste für die Stadt ist, ohne dieser Politik ein bestimmtes Siegel geben zu müssen. Diese Politik muss jedoch humanistisch orientiert sein, damit sie am Ende nicht beliebig wird.
Ihre Partei ist politisch ausschließlich in Monheim am Rhein aktiv. Haben Sie schon einmal überlegt, die Aktivitäten über ihre Stadt hinaus auszudehnen?
Dazu fehlte uns bisher vor allem die Zeit.
Sie üben eine anspruchsvolle, erfolgreiche, sehr zeitaufwändige Tätigkeit aus. Ihnen wird viel Sympathie entgegengebracht. Sie haben es geschafft, Vertrauen zu gewinnen. Andererseits erleben Sie sicher nicht nur Beifall. Trifft Sie Kritik, insbesondere dann, wenn Sie sie nicht nachvollziehen können? Haben Sie Hobbies und persönliches Umfeld, die Ihre Arbeit erleichtern?
Mit Kritik umzugehen, ist sicher die schwierigste Herausforderung, mit der man in der Politik konfrontiert wird. Ich bin nicht wirklich gut darin, unsachliche oder persönliche Kritik an mir abprallen zu lassen, selbst wenn ich sie für unbegründet halte. Meistens motiviere ich mich dann mit den inhaltlichen Zielen. Und natürlich sind meine Parteifreunde und unsere absolute Mehrheit im Stadtrat eine große Stütze. Privat genieße ich es, von Zeit zu Zeit aus der Stadt herauszukommen. Das schafft innere Distanz, und es ist auch mal ganz angenehm, auf der Straße nicht gegrü.t zu werden.
Seit einiger Zeit wird in der Öffentlichkeit erörtert, dass politisch Verantwortliche insbesondere Kommunalpolitiker Beleidigungen und sogar körperlichen Angriffen ausgesetzt sind. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke wurde sogar ermordet. Haben Sie eine Erklärung für derartiges Verhalten? Haben auch Sie Erfahrungen in diesem Zusammenhang gemacht? Man muss ja befürchten, dass sich immer weniger Menschen finden, die sich insbesondere im kommunalen Bereich einsetzen.
Mir fallen viele Hürden ein, die Menschen davon abhalten, sich politisch zu engagieren. Den Rechtsterrorismus, den wir im Fall Lübke erlebt haben, sehe ich eher als grundsätzliche Gefahr für unsere pluralistische Gesellschaft. Auch Vereine und Initiativen, die sich für Flüchtlinge engagieren, selbst Kirchen und Gewerkschaften erleben den Hass, der von der AfD in sozialen Netzwerken befördert wird. Persönlich habe ich das erfahren, als ich mich vor zwei Jahren dafür stark gemacht habe, den beiden Monheimer Moscheegemeinden Grundstücke für ihre Gemeindezentren zur Verfügung zu stellen. Intoleranz ist durch die AfD gesellschaftsfähig geworden. Dem kann man nur begegnen, indem man Rassismus als solchen benennt. Und wir müssen Anlässe zum Kennenlernen und zur Begegnung schaffen. Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne Behinderung, Alt und Jung müssen sich besser kennenlernen. Durch Projekte der interkulturellen Bildung fördern wir in Monheim am Rhein eine starke Stadtgesellschaft, in der Vielfalt und Unterschiede nicht nur ausgehalten, sondern wertgeschätzt werden. In solch einem Umfeld findet man dann auch Menschen, die sich kommunalpolitisch engagieren.
Sie sind bis September 2020 gewählt. Werden Sie wieder kandidieren oder haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, nach 11 Jahren Tätigkeit als Bürgermeister eine andere Aufgabe zu übernehmen?
Ich werde noch einmal kandidieren. Sollte es mir gelingen, wiedergewählt zu werden, dann hätte ich auch nach meiner dritten Amtszeit noch 24 Berufsjahre vor mir – genug Zeit also, um andere spannende Dinge zu tun.
Kurzvita
Daniel Zimmermann wurde 1982 in Düsseldorf geboren. Abitur am Otto Hahn Gymnasium in Monheim. 2001 ab 2002 Studium an der Universität Köln in den Fächern Französisch und Physik für das Lehramt in der Sekundarstufe I und II, das er im Dezember 2008 mit dem ersten Staatsexamen abschloss. Während seines Studiums und im Anschluss studentische und später wissenschaftliche Hilfskraft im Romanischen Seminar der Universität. Zimmermann gründete während seiner Schulzeit 1998 mit vier weiteren Jugendlichen die Jugendpartei PETO (lateinisch: ich fordere), bis 2004 war er deren Vorsitzender und von 2004 bis 2009 für diese Partei Mitglied im Rat der Stadt Monheim, zeitweise als Vorsitzender der siebenköpfigen PETO-Fraktion.
Im August 2009 wurde er zum Bürgermeister der Stadt Monheim gewählt. Er war der jüngste hauptamtliche Bürgermeister NRW’s. Bei der Kommunalwahl 2014 wurde er für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt. Zimmermann ist Ehrenbürger der polnischen Partnerstadt Malbork. Er erhielt 2015 vom Wirtschaftsverband „Die jungen Unternehmer“ den Preis der nächsten Generation für sein politisches Engagement. Vorsitzender oder Mitglied in zahlreichen Vereinen und Gesellschaften hat er bereits eine Autobiographie mit dem Titel „Ich kann Bürgermeister“ veröffentlicht.
Daniel Zimmermann ist ledig, kinderlos und wohnt in Monheim.
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