„Mein Leben ist voll von schönen Erinnerungen. Aber ich lebe ganz im Hier und jetzt“
Interview mit Wolfgang Reinbacher, Schauspieler
von Dr. Susanne Altweger
Herr Reinbacher, Sie sind fast 60 Jahre am Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert. Eine solche Treue zu Düsseldorf kann kaum ein anderer Künstler vorweisen.
Ja, ich bin selbst erstaunt, wo die Zeit geblieben ist. Ich war nicht ausschließlich in Düsseldorf. Dazwischen gab es auch Engagements in München, Wien und Basel. Aber nächsten August werden es tatsächlich 60 Jahre. Am 1. August 1960 um 7 Uhr früh stand ich am Düsseldorfer Hauptbahnhof.
Mit welchen Hoffnungen sind Sie gekommen?
Ich war vollkommen optimistisch! Karl-Heinz Stroux war nach Wien ans Reinhardt Seminar gekommen. Beim Vorsprechen zeigte er Interesse an mir. Kurz darauf bekam ich einen Dreijahresvertrag für das Schauspielhaus Düsseldorf. So fing alles an. Ich hatte in meinem letzten Jahr am Reinhardt Seminar schon viele kleine Rollen am Burgtheater gespielt, da gab es 200 Schilling pro Vorstellung. Das war damals unheimlich viel Geld. Ich kam mir vor wie ein kleiner Krösus, wenn man bedenkt, dass ein Viertel Wein sechs Schilling kostete. Hier bekam ich dann 450 DM Gage, aber in diesem Alter spielte Geld keine Rolle. Ich wollte spielen. Sofort an einem so guten Theater zu landen, war wunderbar. Das Schauspielhaus war unter seinem Intendanten Gustaf Gründgens und besonders durch die 17-jährige Intendanz von Karl-Heinz Stroux berühmt geworden. Was mich noch interessiert hätte, waren die Münchner Kammerspiele und das Residenztheater. An beiden durfte ich zwischendurch mehrere Jahre spielen. Es waren aufregende Zeiten. Manchmal probte ich vormittags in Düsseldorf und flog dann nach Wien, wo ich abends Vorstellung hatte.
Was hat Sie zum Theater gebracht? Gab es schon früh den Wunsch, Schauspieler zu werden?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe zwei Semester Jura in Graz studiert, nebenbei als Statist am Stadttheater gearbeitet. Ein guter Freund, Kollege aus der Schulzeit, war dort Statistenführer. An der Schauspielschule Graz habe ich ein wenig dilettiert, Märchen gespielt. Mich begann die Welt des Theaters, die so ganz anders war als die Universität, zu faszinieren. Das Reinhardt Seminar war die erste Adresse und ich dachte mir, nur so hat man eine Chance, vorne zu landen. Ich habe niemandem etwas gesagt und bin statt zur ersten Staatsprüfung Jura zur Aufnahmeprüfung ans Reinhardt Seminar. 1957 habe ich die Aufnahmeprüfung bestanden.
Gehörten Sie zu diesem legendären Jahrgang, aus dem so viele Berühmtheiten hervorgingen?
Ja, da waren all diese zauberhaften Frauen: Senta Berger, Erika Pluhar, Heidelinde Weis, mit der ich heute noch befreundet bin, und die wunderschöne Marisa Mell. Ich habe noch alte Programmhefte aus dem Schönbrunner Schlosstheater. Unglaublich diese Besetzung, zum Beispiel von „Was ihr wollt“! Alle sind berühmt und erfolgreich geworden: Neben den bereits genannten Damen etwa Achim Benning, der spätere Leiter des Wiener Burgtheaters, oder Klaus Wildbolz, mit dem ich auch ein Leben lang befreundet geblieben bin.
Sie blicken auf ein sehr geglücktes Künstlerleben zurück. Hat sich der Beruf aus Ihrer Sicht in den 60 Jahren verändert?
Das ist schwer zu sagen, weil ich so im Jetzt lebe. Aber als ich mit der Schauspielerei begann, habe ich die vorherigen Generationen in ihrer Art zu sprechen und zu spielen als sehr veraltet erlebt. Die damals berühmten Burg-Schauspieler zelebrierten ihre Texte. Heute beklagt sich das Publikum oft, dass die Schauspieler nicht gut verständlich sind. Auf Atem und Stimmführung wird leider nicht mehr so viel Wert gelegt. Man verlässt sich auf die moderne Technik und den Mikroport. Das war für uns noch undenkbar, die Stimme musste tragen. Bei Stroux lernten wir zielgerichtet zu sprechen, mit der Sprache zu attackieren.
Sie haben hier schon viele Intendanzen erlebt. Gab es Hoch- und Tiefpunkte?
Der Tiefpunkt war der Wechsel von Stroux zu Ulrich Brecht. Menschlich war er prima, aber ideologisch dem Zeitgeist verpflichtet. Das waren die 68er-Jahre. Meine verstorbene Frau Eva Böttcher und ich hatten Glück. Wir spielten eine wunderbare Aufführung von Pavel Kohut‘s „Armer Mörder“ und wurden damit auf Tournee geschickt. In der Stadt kam Brecht überhaupt nicht an. Die Förderer und Gönner zogen sich blitzschnell zurück, sein Vertrag wurde nicht verlängert und dann kam Günter Beelitz. Er hat das Theater wieder hochgerissen. Ich habe dann an den Münchner Kammerspielen und in Basel gespielt, wo meine Freundschaft mit Friedrich Dürrenmatt entstand.
Hat sich das Theater vom extremen Regietheater wieder erholt?
Das ist eine interessante Frage. Jede Generation hat Lust und Recht, Neues zu erfinden. Es gibt immer weniger gute neue Stücke. Dafür werden literarische Texte für das Theater adaptiert, oder ein klassischer Text wird mit anderen Texten angereichert. Mein aktuelles Stück von Axel Hacke „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“ ist so ein Fall. Eine Erzählung, die in ein zwei Personen Stück verwandelt wurde. Wir haben schon 50 Vorstellungen gespielt. Ich spiele das sehr gerne. Heute wird Gott sei Dank wieder lustvoll gespielt, statt wie in den 70er-Jahren endlos bei den Proben zu diskutieren. Das hat mich wahnsinnig gemacht: Reden statt spielen.
Was würden Sie heute als Höhepunkte Ihrer Karriere betrachten?
Alle besonderen Erfolge hingen damit zu zusammen, dass auch die anderen Beteiligten sehr gut waren. Zum Beispiel „Kasimir und Karoline“ in Basel. Ich wurde von den Kolleginnen und Kollegen in meiner Rolle getragen. Oder „Minna von Barnhelm“ unter der Regie von Dieter Dorn in München. Und in Düsseldorf „Der Tod des Handlungsreisenden“. Mein Leben ist voll von schönen Erinnerungen. Rückblickend denke ich, manchmal zu stur gewesen zu sein und mich zu wenig auf die Visionen der Regisseure eingelassen zu haben. Mit zunehmendem Alter habe ich Schablonen verlassen und bin offen für alles geworden.
Was möchten Sie jungen Menschen, die heute noch den Beruf des Schauspielers ergreifen, mitgeben?
Erstens: Bei sich bleiben! Zweitens: An guter Sprache arbeiten!
In Kürze spielen Sie an der Düsseldorfer Oper den Frosch in der „Fledermaus“. Eine sehr berühmte Rolle mit großer österreichischer Tradition.
Ja, hier wird die Fledermaus vom deutschen Regisseur Axel Köhler inszeniert und natürlich ist mir das sprachlich ein wenig fremd. Aber ich konnte ihn dafür gewinnen, ein Wiener Lied einzufügen. Das passt einfach gut. Mit diesem Wiener Lied kriegt die Rolle etwas Trauriges. Der Frosch ist ja Gefängniswärter, da kann man schon leicht dem Alkohol verfallen. Die Arbeit in der Oper ist sowieso reizvoll. Das ist noch mal eine ganz andere Welt gegenüber dem Schauspiel. Ich freue mich sehr darauf und bin gespannt wie die Operette hier ankommt. In Duisburg hatten wir jedenfalls einen großen Erfolg.
Welchen Wunsch haben Sie für die Zukunft?
Dass ich weiterarbeiten kann! Ich war 50 Jahre mit meiner Frau Eva Böttcher sehr glücklich verheiratet. Aber ich darf sagen, sieben Jahre nach ihrem Tod stehe ich voll im Leben und im Beruf.
Kurzvita
Wolfgang Reinbach wurde geboren in Kapfenberg/Steiermark (Österreich). Er erhielt seine Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. 1960 holte ihn der damalige Intendant Karl Heinz Stroux nach Düsseldorf. Er spielte hier unzählige wichtige Rollen. Weitere Engagements führten ihn unter anderem an das Wiener Burgtheater Wien, das Bayrisches Staatsschauspiel München, die Münchner Kammerspiele und an das Stadttheater Basel. Aktuell kann man ihn am Düsseldorfer Schauspielhaus in „Terror“ von Ferdinand von Schirach, „Die Tage die ich mit Gott verbrachte“ von Axel Hacke und in „Fanny und Alexander“ nach dem Film von Ingmar Bergmann sehen. Ab Januar 2020 spielt er an der Deutsche Oper am Rhein in „Die Fledermaus“.
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