22. Mai 2014In 2014/2

In Afghanistan geboren … in Düsseldorf zu Hause

„Meine Heimat ist Afghanistan und heute auch Deutschland und Düsseldorf, wo ich jetzt lebe“


von Nooria Hudalla

Ich wurde als zweitjüngstes von sieben Kindern geboren – fünf Mädchen und zwei Jungen. Leider sind meine Eltern gestorben. Ich habe sie als sehr liebevolle Menschen in Erinnerung und in meinem Herzen.

Mein Vater war ein sehr kluger, weiser und liberaler Mensch und man kann ihn als Schriftsteller und auch als Journalisten bezeichnen. Er schrieb unter anderem jeden Tag eine Kolumne in einer Kabuler Zeitung, die jeden Morgen auch dem damaligen König vorgelegt wurde.

Info: Afghanistan

Afghanistan-Flagge

Binnenstaat Südasiens zwischen Süd- und Zentralasien mit Grenzen zu Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, China und Pakistan, rund 30 Millionen Einwohner. Hauptstadt ist Kabul. Drei Viertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen. Nach dem Einmarsch der Sowjetunion 1979 und den folgenden Kriegsjahren Sieg der von den USA und Saudi-Arabien finanzierten Mudschaheddin. Danach kamen die fundamentalistisch islamischen Taliban-Milizen an die Macht, eine radikale Interpretation des Islam. Sie setzten insbesondere die Scharia mit aller Härte durch. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 wurde das Taliban-Regime gestürzt. Seither bestimmt der Krieg in Afghanistan das Geschehen. Das Land ist seit 2004 eine Islamische Republik und verfügt mit Hamid Karzai über einen gewählten Präsidenten, der am 2. November 2009 für eine zweite Amtszeit bestätigt wurde.

Meine Mutter war eine sehr schöne Frau, die ich trotz ihrer sieben Kinder nie ungeschminkt oder nachlässig gekleidet gesehen habe. Außerdem war sie sehr fröhlich und immer guter  Laune, obwohl die Lebensumstände nicht immer Anlass für Heiterkeit gaben. Sie heiterte uns sowie Gäste und Nachbarn immer wieder auf, was eigentlich für eine afghanische Frau untypisch ist.

Die politische Situation war schon in meiner Kindheit sehr turbulent. Wegen seiner unbequemen liberalen und demokratischen Ansichten war mein Vater lange im Gefängnis.

An einem grauen mit Wolken verhangenen Morgen begannen Schießereien und man sagte es wäre Krieg … Die Russen kamen. Trotz aller Not und großem Elend ging ich weiter zur Schule und besuchte die siebte Klasse, als die Familie mich ungefragt mit vierzehn Jahren verlobte. Natürlich mit einem älteren Man, der recht einflussreich und vermögend war. Mit fünfzehn folgte die Hochzeit und sehr bald auch das erste Kind, meine Tochter Khatera. Welch eine Freude in meinem Leben!

In der folgenden Zeit des Krieges half ich Verwundete zu versorgen, egal von welcher Seite sie waren.

Die politische Situation wurde aggressiver. Das führte dazu, dass meine engagierten Brüder wegen falscher Parteizugehörigkeit ins Gefängnis mussten. Das ist ein schlimmer Zustand in Afghanistan heute wie damals. Ich konnte ihre Not durch frische Nahrung und Kleidung ein wenig lindern.

In der folgenden Zeit schenkte uns der liebe Gott noch vier Jungen. Es waren dann also fünf Kinder! Mein Mann und meine sehr liebevollen Schwiegereltern, die mich wie eine eigene Tochter aufgenommen hatten, ermöglichten mir weiter den Schulbesuch. So konnte ich trotz schwierigster Zeiten mein Abitur machen – für Afghanistan damals absolut selten.

Der Krieg wurde immer heftiger und nahm kein Ende. Nachdem die Russen ein völlig verwüstetes Land hinterlassen hatten, kamen die noch brutaleren Taliban. Uns wurde schlagartig klar: Wir mussten unsere geliebte Heimat verlassen. Sofort, solange es überhaupt noch ging. Ich war 26 Jahre alt, meine fünf Kinder waren 1 bis 9 Jahre alt.

Der Weg führte uns nach Deutschland, weil dort bereits Familienangehörige und Freunde lebten. Was für ein Kulturschock! Von einem Leben als „Prinzessin aus dem Morgenland“ mussten wir uns mit extrem bescheidenen Umständen zurecht finden. Und die wärmenden Sonnenstrahlen fehlten uns jeden Tag.

Viele liebeswerte Menschen haben geholfen, dass wir nach und nach zurecht kamen und uns einleben konnten. Es war Gott sei Dank auch keine Zeit, zu überlegen, was man vermisst. Jeden Tag aufs Neue brauchte ich meine ganze Kraft, um die täglichen Herausforderungen zu meistern.

Mein in Afghanistan sehr angesehener Mann folgte uns nach einem Jahr und kam hier in Deutschland überhaupt nicht mit der neuen Situation klar: Ein Gefühl völliger Wertlosigkeit und Null Respekt machten ihm schwer zu schaffen. Die aus dieser Situation entstandenen, teils sogar gewalttätigen Spannungen in unserer Ehe nahmen so dramatische Folgen an, dass nur noch eine Scheidung als Ausweg blieb. Die allerschlimmste Zeit in meinem Leben. Aber es musste weiter gehen.

Als nunmehr alleinerziehende Mutter von fünf Kindern wollte und musste ich arbeiten, um eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland zu bekommen und um nicht weiter als Asylant tatenlos und ohne Wertgefühlt dahin zu vegetieren. Allen Widerständen zum Trotz machte ich eine Umschulung zur Bürokauffrau und später noch eine Komplett-Ausbildung zur Ganzheits-Kosmetikerin.

Das Leben ging also weiter, die Kinder wuchsen heran und verließen nach und nach die gemeinsame enge kleine Wohnung. Und ich schlug mich in Bonn teilweise mit drei verschieden Jobs parallel durch und kam gar nicht zum Nachdenken, um eventuelle persönliche Wünsche und Ambitionen zu verwirklichen.  

Und dann eines Tages schickte mir mein Meister einen blonden Ritter: meinen Marcellino Hudalla. Eine Belohnung für den langen steinigen Weg? Mehr als ich je zu träumen gewagt hätte! Ich zog schon bald nach Düsseldorf und fühlte mich sofort herzlich willkommen und großartig aufgehoben. 2008 kam dann die unvergessliche Hochzeit. Ich schau mir das wunderschöne 4-Stunden-Video jede Woche an und weine vor Glück.

Glück sollte man teilen, das spürte ich schon früh. Marcellino’s Charity „Pane e Vino e.V.“ ermöglichte mir schon bald, das eigene Glück weiter zu geben: Ich wurde aktive Charity-Botschafterin. Was muss man sich darunter vorstellen?

Ich organisiere Veranstaltungen, auf denen wir für unsere Projekte Geld sammeln. Aber mehr noch: Ich betreue persönlich krebskranke todgeweihte Kinder, helfe deren Müttern, mit dieser schlimmen Situationen klar zu kommen, kümmere mich persönlich um alte Menschen in Not, die so allein nicht mehr ein noch aus wissen.

Es ist für mich ein großer Luxus, dass ich meinem Herzenswunsch folgen kann, ohne dass ich mir für meinen Lebensunterhalt täglich Sorgen machen muss. Ich umarme Dich 1.000 Mal dafür, mein geliebter Marcellino.


Kurzvita

Nooria HudallaNooria Hudalla wurde 1964 in Kabul/Afghanistan geboren. Nach dem Abitur bis 1989 Tätigkeit als Grundschullehrerin. Heirat, 5 Kinder. Dann Übersiedlung nach Deutschland. Hier Erlernen der deutschen Sprache in Wort und Schrift.
Ab 1995 selbstständige Eventmanagerin in Bonn, später Umschulung zur Bürokauffrau in Brühl. Berufliche Tätigkeit in Düsseldorf und weitere Ausbildung an der Berufsfachschule für Ganzheitskosmetik.
Nach Scheidung Eheschließung in Düsseldorf mit dem Herausgeber von Marcellino’s Restaurant & Hotel Report. Ehrenamtliche Tätigkeit als Charity-Botschafterin für Pane e Vino e.V.
Sie lebt mit ihrer Familie in Düsseldorf.


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