„Das Kom(m)ödchen ist für mich das zweite Wohnzimmer“
Interview mit Heiko Seidel, Kabarettist und Schauspieler
von Björn Merse
Wie viel Heiko steckt in Ihren Rollen?
Ich liebe es, in Figuren zu schlüpfen, die sehr weit von mir weg sind, sei es physisch oder charakterlich. Ich habe das Gefühl, je diametraler, desto einfacher ist es für mich, diese Charaktere zu bedienen. All diese Leute trifft man in der Stadt, sind mir in meinem Leben begegnet oder mit mir verwandt. Ich versuche, diese Typen so fein wie möglich zu beobachten und schlussendlich zu imitieren. Und ich muss oft selber herzlich drüber lachen, es ist verrückt. Ich glaube, dass in vielen auch viel Heiko drinsteckt! Das macht Spaß, darin kann ich all das tun und sagen, all diese versteckten Facetten und Macken hervorkramen, die man sonst zu verbergen versucht. Ein Riesengeschenk, dass Arbeit und Privatleben bisher so lange zusammen einhergehen durften.
Sie gelten als „Rampensau“ auf der Bühne. Die Theaterbesucher erwarten ja förmlich den nächsten Gag. Wie passt das zu Ihrer Beschreibung eines eher zurückhaltenden Menschen?
Es ist vorteilhaft für jeden, eine Rampensau zu sein, wenn man einen Beruf hat, in dem viel und am besten frei geredet werden muss! Das gilt für Lehrer, Pfarrer, Reiseführer und eben auch Schauspieler. Der Begriff „Leidenschaft“ gefällt mir besser! Wenn ich auf die Bühne gehe, dann gibt es keine „halbe Kraft“, da will und muss ich zu einhundert Prozent am besten mit jeder Faser meines Körpers da sein! Das geht laut, aber auch leise. Ich behaupte mal, ich bin eine sensible Rampensau! Schließlich hat man noch Kollegen auf der Bühne. Wir nehmen uns gegenseitig nichts weg!
Wenn Sie entscheiden müssten: Kabarettbühne oder TV. Wie würde Ihre Wahl ausfallen?
Beides hat seinen großen Reiz. Ich habe primär auf der Bühne gearbeitet, mit Publikum fast zum Anfassen nah. Der Zuschauer ist der unmittelbare Mitspieler, der sofort reagiert – oder auch nicht. Er bestimmt oft das Timing und den Rhythmus, dem man sich fügen muss! Was gibt es Schöneres, als Menschen zum Lachen zu bringen, die vor einem sitzen. Ich glaube das Fernsehen ist kurzlebiger. Man steht unter einem größeren Druck, das Verfallsdatum ist schneller abgelaufen. Ich kann mir vorstellen, dass man schneller verbrannt ist, als einem lieb ist. Es gibt sehr viele gute Spieler im TV. Dort noch einen Platz zu finden, ist schwer. Vielleicht bin ich auch gar kein Fernsehtyp. Ich wurde nicht so oft angefragt!
Sie spielen jetzt im 16. Jahr im festen Ensemble des Düsseldorfer Kom(m)ödchens. Was bedeutet dieses Haus für Sie?
Das Kom(m)ödchen ist für mich das zweite Wohnzimmer. Es ist für mich ein Abenteuerspielplatz, auf dem ich mich von Anfang an sehr wohl gefühlt habe. Hier ist so viel entstanden, wurde so viel erzählt und gesagt, gespielt, hier habe ich viel dazugelernt und mich sicher auch entwickelt. Und man hat mich gelassen. Es macht mich stolz, ein Teil dieses geschichts-trächtigen und erfolgreichen Hauses zu sein, dem auch ich vielleicht bisher mit meinem Tun etwas Unverwechselbares geben konnte! Außerdem ist das Haus ein kleiner Betrieb, der sich wie eine Familie anfühlt! Das ist die Familie Lorentz, die Leute an der Theke im Foyer, im Büro, an der Kasse, oder die Frau am Staubsauger! Dort sind und arbeiten Menschen, die man über Jahre kennt und liebgewonnen hat! Und das betrifft auch die kreative Arbeit mit der Regie und den Autoren! Der große Vorteil besteht darin, dass man sich künstlerisch so nah ist und auch mag!
Schon mal Anfragen bekommen, aus der Sequenz „The Sun of Meerbusch“ ein eigenes Format zu machen?
Das wurde ich schon sehr oft gefragt. Ja, das wäre sehr reizvoll, ein Programm mit vielleicht mehreren meiner „Typen“ zu machen! Gerade solche wie „Hubert Köllekes“ aus „Freaks“, oder „Elmar“ aus „Couch“ habe ich sehr liebgewonnen, und es ist eigentlich schade, dass sie viel zu selten ausgepackt werden, oder? Andererseits habe ich großen Respekt davor, einen Abend ganz alleine zu gestalten und zu stemmen! Dem bin ich vielleicht nicht gewachsen. Ich glaube, ich bin kein Solist und brauche die Mitspieler an meiner Seite! Ich habe es aber auch noch nicht ausprobiert!
Ihre Zukunft hätte auch die Rolle des Zirkusclowns sein können. Sind Sie froh, dass es nicht das Leben im Wohnwagen geworden ist?
Ich bin kein Freund von ständiger Veränderung. Es ist für mich ein großer Luxus, nicht alle paar Jahre in eine andere Stadt ziehen zu müssen, um dann dort zu arbeiten. So geht es nämlich den meisten Schauspielern an den Stadttheatern.
Welche Kabarettisten sehen Sie gerne?
Oh, ich ziehe den Hut vor vielen aktiven und nicht mehr aktiven Bühnenschaffenden. Ich vermisse Georg Schramm. Ich liebe Jochen Malmsheimer. Ich verneige mich vor Andreas Rebers und Thomas Pigor. Aber auch ein Antonio Albanese, ein sehr politischer Clown aus Italien, bringt mich beispiellos zum Lachen. Wenn ich ein Vorbild nennen würde, dann sicher auch Robin Williams. Das war für mich auf der Bühne einer der begnadetsten und aufrichtigsten Spieler unserer Zeit!
Wie muss man sich den gemeinsamen Arbeitsprozess vorstellen, bis ein neues Programm fertig ist?
Als erstes wird das Programm geschrieben. Da nehmen wir, die auf der Bühne stehen, nicht so großen Einfluss, was Inhalt oder Form angeht! Natürlich wird uns der kreative Denk- und Schreibprozess in Abständen mit-geteilt, wo geht es hin, machen wir ein Nummernprogramm mit wechselnden Figuren, oder ein Stück mit durchgängigen Charakteren und so weiter, aber meistens bekommen wir ein fertiges Buch vorgelegt. Das lesen wir dann und freuen uns! Ehrlich! Wir lachen schon Tränen bei der ersten Lesung. Wir nehmen uns sechs Wochen Zeit, in denen wir meist fünf bis sechs Tage die Woche proben. Meistens habe ich beim Lesen schon direkt eine Idee, wie könnte der neue Typ sein, den ich spielen werde, wie könnte der sprechen, welche Körperlichkeit könnte der haben. Manchmal liegt man komplett daneben, und es braucht eine lange Reise durch die Proben bis man die Wahrheit gefunden hat! Wir probieren viel aus und werfen es wieder über den Haufen. Es fühlt sich immer, aber auch wirklich immer zäh an, wie Kaugummi! So als würde man den ersten Tag auf der Bühne stehen. Man fühlt sich wie ein Anfänger. Das ist ein normaler Prozess, und das wissen wir, und wir sind beruhigt. Je besser der Text im Laufe der Zeit sitzt, desto mehr Land und Stück sehen wir am Horizont. Nach fünf Wochen kommen die ersten sogenannten „Try-Out‘s“ vor Publikum außerhalb der Stadt, wo wir die fast fertige Arbeit präsentieren! Nach diesen Abenden wissen wir, wo sind die Lacher, was funktioniert, was nicht, und an welcher Stelle ist es zu lang. Und dann ist die lang ersehnte Premiere im Kom(m)ödchen.
Nennen Sie fünf gute Gründe, wesshalb Sie gerne in Düsseldorf arbeiten?
Fünf? Also drei habe ich: Düsseldorf war meine erste Stadt, nachdem ich der DDR den Rücken gekehrt habe. Hier kannte ich niemanden, hier wollte ich eigentlich nicht sein, aber diese Stadt hat mich nicht gehen lassen! In Düsseldorf begann 1990 mein professionelles Schauspielerdasein. Hier bekam ich das erste Mal Geld für das, wofür ich mich entschieden hatte – 50 DM pro Abend. Hier begann ich mit großartigen Leuten auf der Bühne zu arbeiten, hier fing ich an, wirklich Schauspieler zu werden.
Fast täglich, auf dem Weg von Köln dorthin, stelle ich fest, dass die Landeshauptstadt ein wenig aufgeräumter ist! Düsseldorf ist eine lebenswerte und schöne Stadt! Für mich war es wie bei einem großen Gemälde: Ich musste ein ganzes Stück zurückschreiten, um dies alles zu erkennen! Das Düsseldorf, wo alles begann.
Was sind Ihre beruflichen Pläne für die Zukunft?
Ich schaue, was das angeht, gar nicht so weit nach vorne. Oft bin ich ein-fach so irgendwo „reingefallen“, dann sollte es so sein! Es ist spannend, was die Zukunft bringt! Aber eins ist sicher, was Max Reinhardt einmal gesagt hat: „Schauspieler sind Menschen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzuspielen!“
Kurzvita
Heiko Seidel wurde geboren am 12. April 1966 in Dresden. Er ist ein deutscher Kabarettist und Schauspieler und gehört seit 2002 zum festen Ensemble des Kom(m)ödchen in Düsseldorf. Ausgebildet wurde er unter anderem auf der Folkwangschule Essen, im Bauhaus Dessau, arbeitete mit dem Théatre du Soleil in Paris und dem Theater der Klänge in Düsseldorf. Sein Sohn Leon Seidel ist ebenfalls Schauspieler.
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