14. November 2017In 2017/4

„Ich könnte den Beruf gar nicht ausüben ohne Hilfe von vielen Menschen“

Ein sehr persönliches Gespräch mit Opernsängerin und Weltstar Camilla Nylund


von Caroline Merz

Finnland, unendliche Weiten, Bäume und Wasser …. wir sind auf dem Schiff von Travemünde nach Helsinki. Dort treffe ich Anton Saris, Tenor und Ehemann von Camilla, und die Kinder Isabel und Mailin. Ich bin mit Mann und meinen Kindern Anastasia und Pamina unterwegs – gemeinsame Ferien in Finnland. „Es ist ein Abenteuer“, mit diesen Worten hat Camilla uns eingeladen. Seit Jahren machen wir gemeinsam Ferien, aber ich war noch nie so nah an ihrem Leben, denn das Privatleben hält sie so gut wie es geht unter Verschluss. Verständlich, bin ich doch mit einem der zur Zeit größten Weltstars am Sopranhimmel verabredet.

Nach der Ankunft und einem großen Hallo fahren wir nach Vaasa, eine schwedische Enklave in Finnland. Daher spricht die ganze Familie mehrere Sprachen fließend: finnisch, schwedisch, niederländisch (Anton ist Niederländer), englisch und natürlich deutsch. Seit Jahren lebt die Familie in Dresden.

Wir fahren gemeinsam ins grüne Nirgendwo und kommen nach Stunden und einem Ausflug über das Haus von Jan Sibelius – wunderschön – auf einem Feldweg an. Camilla, die mit mir fährt, ist aufgeregt. Sie fragt mich dauernd, ob ich weiß, was ich da jetzt bei ihr in der Wildnis mache. Wir lachen viel auf der Fahrt, haben uns wie immer jede Menge Neuigkeiten zu erzählen. Trauern über tote Kollegen, sprechen über die Erziehungsmethoden unserer fast erwachsenen Töchter Isabel und Anastasia und überlegen, was wir heute Abend essen und, dass die Kinder mit Anton angeln müssen.

Endlich sind wir da. Es ist ein sehr schönes Holzhaus mit einer riesigen Veranda und einem Saunahäuschen. Ihr Vater hat es selbst gebaut, die Mutter liebevoll eingerichtet. Der Blick auf die Ostsee ist spektakulär. Schnell wird uns Erstlingsfinnen klar, waschen gibt’s nur in der Ostsee oder im Saunahäuschen – und: man muss alles selber machen. Abwaschen mit Regenwasser, Heidelbeeren fürs Frühstück pflücken, im Wald steht ein Toilettenhäuschen mit Herzchen in der Tür und Donnerbalken. An der Tür ein Schild, Achtung vor Schlangen!

Camilla lacht herzlich über den Witz ihres Vaters an dem Häuschen, bei uns regen sich erste Zweifel. Pamina jedenfalls entschließt sich dazu, nur noch in die Heidelbeeren zu gehen, wir anderen sind noch unentschlossen. Und dann machen wir Abendessen. Es ist mittlerweile 23h. Aber so hell wie 18h., wir haben die Zeit gar nicht bemerkt. Nach dem Essen fallen die Kinder wie Tote ins Bett, unsere Männer natürlich auch, und so ist es wie immer, wir beide bleiben übrig.

Gewappnet mit einem Liter Tropenspray sitzen wir auf dem Steg und genießen die Ruhe, die Stechmücken, den Wein und die Landschaft. Wir haben selten solche Momente, fast ist es wie im Studium in Salzburg am Gaisberg.

Uns so begann auch unsere gemeinsame Geschichte. Dort haben wir uns kennenglernt, am Mozarteum zusammen studiert. Sie bei Prof. Illes und ich bei Prof. Lazarska. Wir haben uns von Anfang an gemocht: sie, die bildschöne blonde Finnin mit der edlen, lyrischen Traumstimme und ich, italienischer dunkler Typ mit einer angeborenen Theatralik. Also ein echtes Dreamteam. Komischerweise waren wir nie eifersüchtig aufeinander, vielleicht, weil wir schon damals zu unterschiedlich in den Fächern waren.

Einmal machten wir zusammen einen Wettbewerb in Italien. Das war definitiv unser lustigster Ausflug. Wir fuhren mit meinem Golf und der Mitkommilitonin Wilma Maller. Sie studierte bei Prof. Lipp. So war das Trio vollständig. Eine Lyrische, eine Dramatische und eine Kollorateuse. Wir hatten Bettwanzen, wir brachten in Sulmona die Männer zum Kochen, und wir kamen ins Finale. Und landeten später alle an der Staatsoper in Wien. Ich als erste mit viel Mozart in den Neunzigern, Wilma dann im Staatsopernchor, in dem sie bis heute ist. Und Camilla singt seit 10 Jahren regelmäßig die schönsten Partien in Wien.

Und trotzdem, wir beide wissen, was so ein Beruf kostet. Ich frage sie, wie sie das macht: 250 Tage im Jahr ist sie mindestens nicht zu Hause. Da leidet natürlich die ganze Familie unter der Abwesenheit. Aber Anton schmeißt den Laden. Dafür ist sie ihm unendlich dankbar.

„Weißt Du, ich könnte den Beruf gar nicht ausüben ohne Hilfe von vielen Menschen. Und da ist natürlich Anton. Er kann wegen meiner Karriere natürlich nicht so viel singen, und er hat viele Angebote. Aber wie sollen wir das machen? Einer muss ja bei den Kindern bleiben. Nur wegen Anton konnte und kann ich den Beruf so konzentriert ausüben. Und um die Welt jagen. Ich freue mich riesig auf nächstes Jahr New York, Galakonzert mit Jonas Kaufmann- schon jetzt restlos ausverkauft.

Und so geht es immer dahin. Die ganze Familie muss Rücksicht nehmen. Denn zu Hause brauche ich meine Ruhe und muss neue Rollen lernen. Und dann kommt alle 10 Minuten ein Kind ins Zimmer und will etwas von mir. Und dann die Abschiede. Jetzt ist Mailin 11 Jahre alt, langsam begreift sie meinen Beruf. Aber wie oft haben meine Kinder weinend dagestanden, wenn ich wieder weg musste. Oft muss ich mich fast zerreißen und hetze für einen Abend nach Dresden zu einer Schulfeier oder so. Ja, einfach ist das nicht, für keinen von uns. Ich bin deshalb auch oft sehr traurig.

Aber Singen ist mein Leben, es ist der schönste Beruf der Welt. Man kann in den Rollen auch selbst soviel erleben und sich ganz neu kennenlernen. Es macht einfach riesigen Spaß.“

„Na ja“, werfe ich ein, „wir haben auch viele Kollegen, für die ist das kein Spaß, vor allem wenn die Stimme nicht mehr so kann oder will. Und es gibt eine riesige Arbeitslosigkeit unter Opernsängern. Theater schließen, Orchester besetzen keine Stellen mehr nach etc.. Also ich rate fast niemandem mehr zu dem Beruf des Musikers, außer, er hat ein unfassbares Talent.“

Darin sind wir uns beide einig. Leicht ist der Beruf nicht, krank werden darf man auch nicht. ‚Dann wird Ersatz angefordert‘ – wir lachen – ‚nachher ist er womöglich besser, als man selbst ist …‘

Wir trinken unsere Gläser leer und schauen still auf die wunderschöne Stimmung der Ostsee. Es liegen noch tolle Ferien vor uns, da sind wir sicher. Und ich freue mich auf morgen. Da treffe ich zum ersten Mal ihre Familie und gehe in die Kirche, in der sie getauft wurde und geheiratet hat. Sie ist aus Holz, finnischem Holz, und ich bin froh, dass eine meiner nettesten Freundinnen auch aus diesem Holz geschnitzt ist. Bodenständig, lustig, klug und auf einer Wellenlänge. Es ist immer noch hell, als wir schlafen gehen, die Mücken habe uns trotz Tropenspray aufgefressen, der Wein ist getrunken, die Kinder träumen von Ferien im Astrid Lindgren Style, unsere Männer schnarchen schon seit Stunden …


Kurzvita

Camilla NylundCamilla Nylund wurde in Vaasa, Finnland, geboren und ist eine finnische Opernsängerin (Sopran). Ihre Spezialisierung auf das Genre Dramatischer Sopran erklärt den Schwerpunkt auf ihre Rollen in Werken von Richard Wagner, Ludwig van Beethoven, Giuseppe Verdi oder Richard Strauss. Engagements weltweit. Sie lebt mit ihrem Mann Anton Saris und 2 Kindern in Dresden.


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