27. August 2014In 2014/3

Die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ist sowohl eine Aufgabe der Verwaltung als auch der Gesellschaft. Sie liegt mir besonders am Herzen

Interview mit Annemarie Lütkes, Regierungspräsidentin im Bezirk Düsseldorf und Vizepräsidentin von UNICEF Deutschland


von Dr. Susanne Altweger

Frau Lütkes, meine erste Frage gilt nicht der Regierungspräsidentin, sondern der Frau im Ehrenamt. Sie sind Schatzmeisterin und Vizepräsidentin von UNICEF Deutschland und setzen sich somit für die Rechte von Kindern ein. Wie kam es zu diesem Engagement?

Ich bin in meinem ehemaligen Hauptberuf Rechtsanwältin für Familienrecht und als solche Frauen- und Kinderrechtlerin. Durch eine Schicksalsfügung war ich von 2000 bis 2005 Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend- und Familie und stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Schleswig Holstein. In diesem Zusammenhang ergab sich die Beschäftigung mit Kinderrechten sowohl in der familienrechtlichen Auseinandersetzung als auch einer gesellschaftlichen Aufgabe. In diesem Amt entstand der Kontakt zu UNICEF und ich war als Komitee-Mitglied repräsentativ unterwegs. Für das Kinderhilfswerk war es wichtig, dass wir uns grundsätzlich mit den Rechten der Kinder auseinander gesetzt haben. Kinder müssen als eigenständige Persönlichkeiten von der Gesellschaft akzeptiert werden. Das ist einfach gesagt, aber im persönlichen Leben der Menschen oft schwer umzusetzen. Wir sind beispielsweise  mit dem Kinderschutzbund vor Ort der Frage nachgegangen, wie man Gewalterfahrung von Kindern herausfinden kann. Kinderärzte und andere Fachleute müssen in die Lage versetzt werden, Spuren von Gewalt zu erkennen. Wir haben Leitlinien entwickelt, Kinderrechte so umzusetzen, dass sie den Kindern wirklich zu Gute kommen. Der rote Faden von der Theorie zur Praxis sollte immer durchgezogen werden.  Denken sie an die Frage der Kindertagesstätte am Flughafen Düsseldorf.

Bekanntlich sollte die Kindertagesstätte in einer Lärmzone entstehen. Wir hatten zu prüfen, ob das Versorgungsinteresse einerseits, sowie die geforderten ruhigen Lebensumstände anderseits, in Einklang zu bringen sind. Dies war nicht der Fall und somit haben wir den Antrag abgelehnt.

Sie sehen das Thema der Kinderrechte hat mich seit Schleswig Holstein nicht mehr losgelassen und als ich ins Rheinland kam, habe ich die Arbeit für UNICEF wieder verstärkt aufgenommen. Nach der UNICEF Krise 2008 wurde ich in den Vorstand gewählt.

Eine Frage an die Juristin, die gelernt hat, Sachverhalte analytisch zu prüfen: Der Begriff „Kindeswohl“ hat oft einen fragwürdigen Beigeschmack. Wie sehen Sie das?

Wir machen es uns in der Debatte um die Kinderrechte einfach, indem wir den englischen Begriff der UN-Kinderrechtskonventionen „best interest“ verwenden. Das nützt zwar dem deutschen Rechtssystem nicht, der Begriff „Kindeswohl“ ist bei uns etabliert auch wenn es keine konkrete Übersetzung bedeutet. Jeder Sachverhalt muss einzeln geprüft werden, Tatsache, Schlussfolgerungen und Perfektiven für das betreffende Kind.

Sie haben sich tief in die Materie eingearbeitet. Wie erklären Sie sich, dass ein Land wie die USA – neben Somalia und Süd-Sudan – die UN-Kinderrechtskonvention nicht ratifiziert haben?

Es geht um die eindeutige Akzeptanz des Kindes als Rechtsperson. Das ist wohl der Zielkonflikt.
Das ist auch in der BRD noch nicht ausgestanden. Das Bundesverfassungsgericht in Deutschland hat eindeutig festgelegt, dass das Kind ein eigenständiger Träger von Grundrechten ist. Die Ausformung im gesellschaftlichen Leben aber auch im Rechtsystem ist auch bei uns noch nicht gelebter Alltag. Das Aktionsbündnis „Kinderrechte ins Grundgesetz“ bereitet eine neue Offensive vor. Wir hoffen auf viel prominente Unterstützung. Im November feiern wir 25 Jahre Kinderrechtkonvention, das ist ein guter Anlass. Wir dürfen nicht nachlassen, kleine Menschen als eigenständige Menschen zu respektieren. Mir ist jedoch wichtig, dass kein falscher Umkehrschluss gezogen wird. Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten, aber sie sollten keine kleinen Erwachsenen werden müssen. Die Rechtslage und eine gelebte Kindheit schließen sich gegenseitig nicht aus. Sie können ihr Leben nicht organisieren, als seien sie bereits mündig. „Protection“, also beschützen, ist ein Leitmotiv! Bei einer Aktion haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass die vielzitierte kleine Ohrfeige auch eine ungeeignete Erziehungsmaßnahme darstellt. Wir haben „Backpfeifen“ gebacken, wie kleine Weckmänner. Ein gutes Symbol erzählt oft mehr, als gesprochene Theorie.

Sie haben bei den „Düsseldorfer Jonges“ einen vielbeachtlichen Vortrag gehalten und dabei erwähnt, dass Deutschland für die mangelhafte Umsetzung der UN-Kinderrechtkonvention gerügt wurde. Das wundert mich bei einem Land, dem der vorauseilende Gehorsam zugeschrieben wird und das sich gerne als Europas Musterschüler darstellt?

Ja, wir haben ein ganz klares Defizit. Innerstaatliches Recht muss eingehalten werden. Leider gelingt dies nicht immer. Deutschland hat zugestimmt, über die Umsetzung regelmäßig zu berichten. Deutschland bezieht eine Haltung des „Mitlaufen-Lassens“ der Kinderrechtskonvention, anstatt sie auf die Prioritätenliste zu setzen. Nehmen sie jeden Anspruch eines jeden Kindes auf Schutz: Sofort entsteht die Frage, was ein Jugendamt leisten kann. Es besteht die Verpflichtung, dem Kind angemessene Lebensumstände zu garantieren. Wir sind keine Fantasten, aber wir leben in einem hochentwickelten Staat und können nicht nachweisen, dass Flüchtlingskinder ihren Anspruch auf Bildung wahrnehmen können. Das ist peinlich! Wir hätten ein griffiges Hilfsinstrument, das heißt „Schule aus der Kiste“. Darin ist das nötigste Material zum Lernen. Es kann in jedes Flüchtlingslager gebracht werden. Kommen unsere Flüchtlingskinder in Duisburg in diesen Genuss? Dahinter steht leider noch ein Fragezeichen.

In Ihrer Position sitzen Sie an einer Schaltstelle, wo Sie etwas bewirken können.

Wenn man Regierungspräsidentin ist, muss man akzeptieren, in einer Mittelbehörde zu sein. Wir sind Dienstleister, aber wir sind auch Aufsicht für die Gesellschaft. In diesem Spannungsverhältnis können wir Weichen stellen. Es macht Freude, für Düsseldorf und den ganzen Bezirk zu arbeiten. Es ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die mich erfüllt.


Kurzvita

Annemarie LütkesAnnemarie Lütkes wurde 1948 in Bergisch Gladbach geboren. Studium der Rechtswissenschaft in Köln. 1977 Zulassung als Rechtsanwältin. Seit 1990 Mitglied Bündnis 90/DIE GRÜNEN. 2000 bis 2005 Ministerin für Justiz Frauen Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein und stellvertretende Ministerpräsidentin in einer rot-grünen Koalition. Seit 2002 Vorsitzende des Kuratorium des Deutschen Kinderhilfswerks e.V. Seit 2008 Schatzmeisterin, seit 2009 Vizepräsidentin UNICEF. Seit 2010 Regierungspräsidentin in Düsseldorf.


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