29. April 2015In 2015/2

„Als Künstler muss ich unruhig bleiben“

Interview mit Martin Schläpfer, Direktor und Chefchoreograph des Balletts am Rhein


von Dr. Susan Tuchel

Man liest über Sie, dass Sie ursprünglich Biobauer werden wollten. Gegensätzlicher könnten Berufswünsche kaum sein: von der Hände Arbeit zu der Füße Tanz.

Das stimmt auch nur zum Teil, denn auf die Idee Biobauer zu werden, bin ich erst mit 27 Jahren gekommen und habe sie dann auch nicht weiter verfolgt, denn zu dieser Zeit tanzte ich beim Stadttheater in Basel. Und auch das mit der Herkunft aus einer Appenzeller Bauernfamilie, die durch das Netz und die Presse geistert, stimmt nur insofern, als mein Großvater Bauer war. Mein Vater war Stahlhändler, meine Brüder sind Herzchirurg und Psychoanalytiker.

Also kein besonders kunstaffines Elternhaus?

Nein, eher ein politisches und naturverbundenes Haus. Aber ich hatte schon als kleiner Junge den Traum, Klavier zu spielen. Stattdessen bekam ich mit sieben Jahren eine Geige zu Weihnachten geschenkt, auf der ich dann vier Jahre mehr schlecht als recht spielte.

Und wie entdeckten Sie den Tanz für sich?

Über den Eiskunstlauf. Beim Eisschaulauf wurde ich mit 15 Jahren von der Ballettmeisterin Marianne Fuchs entdeckt – also ein verhältnismäßig später Einstieg für den Balletttanz.

Was ist denn das ideale Einstiegsalter? Es gehört ja heute schon fast zum guten Ton, Mädchen im Grundschulalter auf eine Ballettschule zu schicken.

Das ideale Einstiegsalter liegt bei zehn bis elf Jahren. Früher halte ich das entwicklungsphysiologisch für nicht geboten und wie Sie an mir sehen können, ist auch ein Einstieg mit 15 Jahren noch gut möglich.

Ihre Karriere als Balletttänzer war kometenhaft. Im Basler Ballett von Heinz Spoerli waren Sie Erster Solist, also das Pendant zur Primaballerina. Sie tanzten in Kanada, in New York und Paris. Wie kamen Sie zur Choreographie?

Dazu kam ich mehr oder weniger automatisch, als ich 1994 Ballettdirektor am Stadttheater Bern wurde. In dieser Funktion muss man einfach Spielzeiten programmieren. Beseelt war ich von der Idee, den Spitzentanz weiterzuentwickeln und ihn neu in der neoklassischen Tanzkunst zu positionieren.

Ihnen ist schon jetzt ein Platz auf dem Olymp der zeitgenössischen Choreografen gesichert. Andererseits heißt es, dass Sie sich als künstlerisch heimatlos empfinden und nach wie vor auf der Suche nach einer Ästhetik für das 21. Jahrhundert sind.

Heimatlos würde ich nicht sagen. Als Künstler ist man per se ein ruheloses Wesen und muss unruhig bleiben. Deshalb kann man einfach nie angekommen sein, sondern ist immer auf der Suche – in meinem Fall auf der Suche nach neuen tänzerischen Ausdrucksformen, nach neuen Formen des Umgangs mit der klassischen Musik, die immer noch 60 Prozent meiner Inszenierungen ausmacht. Dazu lese ich alles, was ich über die Zeit der Komponisten in Erfahrung bringen kann. Denn ich muss etwas mit Mozart oder Brahms tun, dafür muss ich mich in den Geist der Epoche einfühlen.

Aktuell wird in Düsseldorf das Programm b.23 gespielt, Premiere war im März. Sie eröffneten das Programm mit Ihrer Choreographie zu Mozarts g-Moll-Sinfonie KV 550. Es folgten eine Uraufführung mit dem Musikensemble Flamencos en route und Brahms‘ Violinkonzert Rättika in der Choreographie von Mats Ek. Die Ballettinszenierungen mit dem kleinen b und einer fortlaufenden Zahl sind Ihr Markenzeichen und zugleich Publikumsmagnet. Bei den Düsseldorfern sind Sie also in jeder Hinsicht angekommen. 2013 lehnten Sie ein Angebot des Berliner Staatsballetts ab und 2014 wurden Sie von center-tv in der Rubrik „Kultur“ zum „Düsseldorfer des Jahres“ gekürt. Sind Sie schon Wahl-Düsseldorfer?

Ich habe fast immer am Rhein gewohnt, in Basel und in Mainz. Der Rhein ist für mich ebenso Heimat wie die Schweizer Berge. Ich fühle mich in Düsseldorf auf jeden Fall schon viel heimischer. Ich mag den Hafen und bin gerne zu Hause in meinem Garten, das ist mein persönlicher Schutzraum. Die Entscheidung, in Düsseldorf zu bleiben, war auch mit dem Neubau des Balletthauses am Steinberg verbunden, das im August fertig werden soll. Dort haben wir dann fünf statt der bisherigen drei Ballettstudios und Ruheräume für die Tänzer.

Wie sieht die Kompanie aktuell aus, mit der Sie umziehen?

Wie schon in den Tanzschulen, haben auch wir einen Frauenüberschuss. Insgesamt besteht unsere Kompanie aus 46 Tänzerinnen und Tänzern, die zwischen 21 und 46 Jahre alt sind.

Was bedeutet der Tanz für Ihr Leben?

Er ist für mich die conditio humana. Tanz ist für mich das, was wir teilen können, um das Leben auszuhalten. Der Tanz gibt Freude und Energie und kann viel auslösen, wenn man den Kopf ausschaltet. Das gilt sowohl für die Tänzer als auch für das Publikum.


Kurzvita

Martin SchläpferSein Talent als Tänzer wurde entdeckt, als Martin Schläpfer 15 Jahre alt war. Eine Frau holte ihn an ihre Ballettschule in St. Gallen. Ein Studium an der Royal Ballet School in London folgte. Mit 18 Jahren gewann Martin Schläpfer beim Prix de Lausanne seine erste Auszeichnung. Heinz Spoerli engagierte ihn am Basler Ballett. Eine Spielzeit tanzte Schläpfer beim Royal Winnipeg Ballet in Kanada. 1994 wurde er Direktor des Berner Balletts. Von 1999 bis 2009 leitete er das ballettmainz. Seit der Spielzeit 2009/10 ist Schläpfer Direktor und Chefchoreograph des Balletts am Rhein Düsseldorf Duisburg. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2002), den Tanzpreis der Spoerli Foundation (2003), den Prix Benois de la Danse (2006), zwei Mal den Theaterpreis Faust in der Kategorie Choreografie: 2009 für das Ballett Sinfonien zur Musik von Wilhelm Killmayer und 2012 für das Ballett „Ein Deutsches Requiem“ zur Musik von Johannes Brahms, außerdem den Schweizer Tanzpreis (2013) und den „Taglioni“ – European Ballet Award in der Kategorie „Best Director“ (2014).


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