„Es ist eine Gnade, wenn man von seinem Hobby leben kann“
Interview mit Jochen Busse, deutscher Schauspieler, Kabarettist und Autor
von Dr. Siegmar Rothstein
Sie haben bereits mit 13 Jahren den Entschluss gefasst, Schauspieler zu werden und haben das mit 19 Jahren in die Tat umgesetzt. Wie sind Sie zu dieser Entscheidung gekommen, wo doch in Ihrer Familie kein Kontakt zum Theater bestand? Wie haben Ihre Eltern das aufgenommen?
Mich hat seinerzeit der Schauspieler und Rezitator Joseph Plaut sehr beeindruckt. Er war Gast beim Schauspielstudio Iserlohn und gab den Striese in „Raub der Sabinerinnen“. In seinem Monolog über die Schmiere sagt er – bis heute gültig – alles aus über das Theater. Damals war mir schlagartig klar: das wird mein Beruf. Für meine Eltern unvorstellbar. Es wurde auch nie wieder darüber gesprochen. Erst als ich mit 17 Jahren auf der Waldbühne in Melle, wo ich zur Schule ging, einen sechzigjährigen Butler in dem Stück: „Verwandte sind auch Menschen“ spielte und offensichtlich überzeugte, kamen sie nicht mehr umhin, sich mit meiner Berufswahl abzufinden.
Ihnen wird ein großer Beitrag zum humoristischen Teil der deutschen Theater- und Fernsehgeschichte zugeschrieben. Sie zählen zu den erfolgreichsten Kabarettisten. Wo immer Sie auftreten, sind die Theatervorstellungen schnell ausverkauft. Ihre TV-Karriere ist beeindruckend. Was treibt Sie noch an nach über 60 Jahren auf der Bühne? Wie sehen Sie sich selbst? Man kann kaum glauben, dass Sie, wie Sie gesagt haben, permanent an sich zweifeln.
Es ist eine Gnade, wenn man von seinem Hobby leben kann. Mir ist sie zu Teil geworden. Obwohl ich über etliche Jahre für schlechtes Fernsehen gutes Geld bekommen habe und meine soziale Situation durchaus gesichert ist, lass ich es mir nicht nehmen, meinem Ziel der ultimativen Komik nahe zu kommen. Da das auch immer eine Frage des Geschmacks ist, sind Zweifel eine ganz natürliche Begleiterscheinung.
Ihr Tag beginnt seit 40 Jahren mit 45 Minuten Yoga, Sie unternehmen viel, um Ihre Gesundheit zu erhalte. So trinken Sie 100 Tage im Jahr keinen Alkohol, Sie sind nach Ihren Worten sehr diszipliniert und legen großen Wert auf gutes Benehmen und gepflegtes Aussehen. Ist das Ihre Lebensphilosophie, auf die Sie neben guten Genen Ihre beeindruckende Vitalität und große Schaffenskraft bis ins hohe Alter zurückführen?
Natürlich weiß ich nicht, wie es mir ohne Disziplin und Yoga, 100 Tagen Abstinenz, täglichen 10 Minuten Hula-Hopp-Reifen gesundheitlich heute gehen würde. Vielleicht sogar viel besser, was weiß a Fremder? Aber genau so gehört es inzwischen zu meinem Leben wie das befriedigende Gefühl, nach einer erfolgreichen Vorstellung etwas „geschafft“ zu haben.
Wie verbringen Sie Ihre Zeit in der Corona-Pandemie? Vermissen Sie den Beifall und die Bravos der begeisterten Zuschauer?
Das Ensemble, dem ich gegenwärtig angehöre und das seit beinahe drei Jahren in vielen Theatern Deutschlands mit der Komödie „Komplexe Väter“ von René Heinersdorff gastiert, hat bisher – immer von den unterschiedlichen Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz in den jeweiligen Bundesländern begünstigt – relativ wenig Ausfälle zu verzeichnen. Viel lästiger ist die grundsätzliche Furcht des potenziellen Publikums vor einem Theaterbesuch. Obwohl bisher sich nachgewiesenermaßen noch kein Zuschauer in einem gut belüfteten Theater infiziert hat. Ängste lassen sich zwar schüren, aber nicht beseitigen.
Glauben Sie, dass die Politik bei ihren einschränkenden Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie die Interessen der im Bereich der Kultur tätigen Personen und Veranstalter angemessen berücksichtigt?
Ich glaube, dass Politik grundsätzlich reagiert und nicht agiert. Da wir aber so etwas wie eine Pandemie seit der Spanischen Grippe nicht mehr hatten und sich daran keiner, der heute noch lebt, daran erinnern kann, sieht sich die Politik auf die Erkenntnisse der Wissenschaft angewiesen. Wissenschaft aber ist eine Wissenschaft, die Wissen schafft. Und seit unserer Schulzeit ist uns allen bekannt, wie lange es dauert, gesichertes Wissen zu schaffen.
Sie haben auch des Öfteren „miese“ Rollen übernommen, zum Beispiel einen bösartigen alten Mann dargestellt. Sie waren in Ihrer Karriere nicht selten der Bösewicht. Hätten es nicht besser ausschließlich nette Figuren sein können?
Es gab eine Zeit, da war ich das beliebteste Arschloch des deutschen Fernsehens. Meine Freundin Elisabeth Volkmann pflegte zu sagen: Besser ein solches Image als gar keins.
Sie haben fast alles gemacht, um Menschen zum Lachen zu bringen, haben aber auch ernste Rollen besetzt, wie etwa im Film über die Wannseekonferenz. Sie können auch Polit-Satire, mit Hennig Venske haben Sie „Inventur“ gemacht, das war geradezu ein politischer Rundumschlag von der Demokratieverdrossenheit bei den alten Griechen bis zu den Wahlschlachten unserer Tage. Die Auftritte in glänzender Form sind in der Presse gefeiert worden.
Der unentbehrliche Charakterzug eines Mimen ist die Eitelkeit. Ich wollte eben immer „gut“ sein.
Das politische Geschehen hat Sie stets interessiert, Sie betrachten es von einem linken Standpunkt aus, Gerhard Schröder haben Sie im Wahlkampf unterstützt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung, dass unsere rechtsstaatliche Demokratie zur Zeit durch rechtspopulistische Strukturen und die sogenannte Querdenkerszene sehr stark unter Druck geraten ist und ihre Funktionsfähigkeit in Zweifel gezogen wird. Sind Sie besorgt?
Ich bin einmal angetreten, politisches Kabarett zu machen mit dem Ziel, ein für alle Mal faschistische Tendenzen undenkbar werden zu lassen. Ich bin Kriegskind und mein Vater war Nazi. Sollte das etwa die Voraussetzung dafür sein, ein Radikaldemokrat zu werden?
Wenn Ihr Wirken auch überwiegend äußerst positiv aufgenommen wird, sind Sie doch gelegentlich heftiger, nicht gerechtfertigter Kritik ausgesetzt gewesen und haben sich sogar körperlichen Angriffen ausgesetzt gesehen. Wie gehen Sie damit um?
Der körperliche Angriff eines offensichtlich verwirrten Menschen ist erst ein Jahr nach seinem Geschehen an die Öffentlichkeit gelangt. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, wie ich mit derlei umgehe.
Sie waren viermal verheiratet. Nach Ihrer Ansicht läuft eine Ehe wie sie läuft, man kann alles für sie tun, solange sie funktioniert, doch man kann nichts für sie tun, wenn die Luft raus ist. Warum war bei Ihnen die Luft viermal raus?
Offensichtlich bin ich nur aus einer gewissen Distanz liebenswert. Ich habe lange genug gebraucht, um das zu lernen.
Sie wohnen seit einiger Zeit in Düsseldorf, was hat Sie in unsere Stadt, Ihren neuen Lebensmittelpunkt geführt?
Düsseldorf liegt genau zwischen den Städten, in deren Komödien ich frequentiert spiele. Köln, Essen, Bonn und eben das Theater an der Kö. Ich hatte mir Düsseldorf ausgesucht, weil ich diese Stadt seit meiner jüngsten Jugend kenne – für Menschen aus dem Sauerland ist das die große Welt und „undamussich ich na Paris ganichmehr hin, woll?“ Architektonisch hat diese Stadt seit den siebziger Jahren alles richtig gemacht und hört damit auch nicht auf. Außerdem bleibt sie bei allem Ehrgeiz gemütlich.
Sie haben verraten, dass Sie mit einem langen Leben rechnen, das wünschen wir Ihnen und können also darauf hoffen, Sie noch lange, auch in Düsseldorf, als Schauspieler bewundern zu können. Haben Sie noch Träume?
Nein, ich war immer schon Realist.
Kurzvita
Jochen Busse wurde 1945 in Iserlohn geboren. Vor dem Abitur verließ Busse die Schule und ging nach München, um sich ganz der Schauspielerei zu widmen. Ohne finanzielle Hilfe von Zuhause musste er sich zunächst mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, erste Bühnenerfahrung hatte er als Statist an den Münchner Kammerspielen. Busse wurde sehr bald ein populärer und anerkannter Kabarettist. Von 1976 bis 1979 gehörte er zum Ensemble des Köm(m)ödchens in Düsseldorf, im Anschluss daran war er bis 1991 eine Säule der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Auch beim Fernsehen blickt er auf eine große Karriere zurück, in Erinnerung sind „Nur für Busse“, „Das Amt“ und „Sieben Tage sieben Köpfe“. Er drehte Filme, führte Regie und inszenierte, als Schauspieler ist er bis zum heutigen Tag sehr oft aufgetreten und hat sein Publikum begeistert, auch in Düsseldorf. In diesem Jahr ist er viele Wochen mit dem Stück seines Freundes René Heinersdorff „Komplexe Väter“ in Deutschland unterwegs. Er hat auch Bücher geschrieben, z.B. seine Memoiren unter dem Titel „Wo wir gerade von belegten Brötchen reden“. Busse hat viele Auszeichnungen erhalten, so 1998 den Bambi, 2000 und 2004 den Deutschen Comedy Preis, 2010 Kleinkunstpreis, 2011 Jürgen von Manger Preis und 2021 den Bayrischen Kabarettpreis. Er hat praktisch alles gewonnen, was man gewinnen kann. Busse war viermal verheiratet, hat einen Sohn Jan und wohnt seit einiger Zeit in Düsseldorf-Pempelfort.
© Fotos: DJournal
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