18. Februar 2022In 2022/1

„Wenn ich mich verkaufe, dann gut und nicht als Mittelmaß“

Interview mit der Herzchirurgin Dr. Dilek Gürsoy

von Dr. Susanne Altweger


Frau Dr. Gürsoy, wir haben uns in der Pop-Up Galerie des Vereins Kunst. Neuss kennengelernt und ein interessantes Gespräch über Kunst geführt. Deshalb meine erste Frage: Woher kommt Ihr Interesse an Kunst, und wie begannen Sie zu sammeln?

Mein Bruder wohnt in Mönchengladbach und im selben Haus befindet sich eine Galerie. Da entdeckte ich ein Bild von Heinz Mack und war sofort begeistert. Ich habe es 2015 gekauft, es war meine erste Investition in Kunst. So begann mich die Künstlergruppe Zero zu interessieren. Jetzt bin ich auch im Besitz je eines Bildes von Günther Uecker und von Otto Piene. Ein Bild muss mich einfach ansprechen. 

Ja, die Kunst muss Herz und Seele ansprechen. Und so kommen wir zu Ihrem zentralen Thema, dem Herzen. Sie haben Ihr Leben der Herzchirurgie gewidmet und auch ein Buch geschrieben, mit dem Sie überregional bekannt wurden. Seither sind Sie auch ein gern gesehener Talkshow Gast. Der Titel ist eine positive Provokation: „Ich stehe hier, weil ich gut bin. Allein unter Männern.“ (Eden Books, Berlin 2020) Es beinhaltet auch Ihr zweites großes Lebensthema, sich in einem ungewöhnlichen Fach in der Männerwelt durchsetzen zu müssen. Setzen Sie als Frau neue Maßstäbe? 

Viele interpretieren den Titel falsch, als würde da stehen: „Ich bin die Beste“. So möchte ich das nicht interpretiert wissen. Aber ich versuche immer mein Bestes zu geben, als Chirurgin, als Mensch, als Freundin, als Schwester und Tochter, also in den wesentlichen Rollen meines Lebens. Es wirkt auf viele Menschen in Deutschland irritierend, wenn eine Frau sich selbstbewusst gibt und ihr Licht nicht unter den Scheffel stellt. 

Ich wurde zu mehreren Talkshows geladen, zuerst zu Bettina Böttinger, dann zu Markus Lanz, die FAZ und die ZEIT schrieben über mich. So kamen immer mehr Anfragen, warum ich denn kein Buch schreibe. Und dann habe ich einen Impulsvortrag bei der Messe „HerCareer“ in München gehalten und ihn mit den Worten eröffnet: „Ich bin hier, weil ich gut bin“. Durch diese Messe wurde mein Netzwerk größer und so kam der Verlag auf mich zu. Natürlich brauchte ich eine Co-Autorin, denn wenn man täglich praktiziert, fehlt einfach die Zeit. Ich war sehr dankbar, Doreen Brumme begegnet zu sein. Wir verstanden uns auf Anhieb. Sie ist eine Vierfachmutter aus Hamburg, und bald hatten wir auch einen großen Artikel im Wiener Standard. Es ist nicht so, dass ich das alles für mein Ego bräuchte, aber ich muss sagen, ich bin stolz für viele Frauen zum Vorbild und Rollen-Modell geworden zu sein. 

Das sind Sie natürlich noch in weiterer Hinsicht: als Gastarbeiterkind aus der Türkei mit einer Mutter, die Analphabetin war. Es ist eine klassische Aufsteigerinnengeschichte. Das beeindruckt natürlich. 

Ja, meine Lebensgeschichte gehört zu mir, aber sie ist nicht mein zentrales Thema. Im Buch habe ich ihr ein Kapitel gewidmet. 

Die meisten Menschen begegnen der Herzchirurgie mit der größten Ehrfurcht. Das Herz ist sicher das Organ, das wir emotional am stärksten besetzen. Ihre große Mission im Leben ist das Kunstherz. Wie kam es dazu? 

Ich hatte das Glück, im größten Herzzentrum Europas, in der Spezialklinik Bad Oeynhausen, 2003 als junge Assistenzärztin zu beginnen. Sofort wurde ich auf der Herztransplantations-Station eingesetzt. Ich werde es nie vergessen: Bei der normalen Visite fragte ich einen schwer kranken Patienten, wie es ihm heute geht. Mit genervter Stimme antwortete er auf meine Frage: „Wann kommt endlich mein Herz?“ Mit meinen 26 Jahren antwortete ich spontan: „Da muss vorher jemand sterben“. Mir wurde schlagartig klar, dass die Forschung beim Kunstherzen vorangehen muss. Ich habe 2010 mit meiner Arbeit daran begonnen, jetzt haben wir 2022 und es gibt immer noch kein perfektes Kunstherz, welches das Herz eines Verstorbenen ersetzen kann. Somit fehlt die optimale Alternative zu einer Transplantation. Seither beschäftige ich mich damit, bin neben meiner Praxis in der Forschung tätig und habe natürlich auch an Tieren experimentiert. Es gibt auf diesem Gebiet nur ganz wenige Experten, und vor allem fehlt Geld für die Forschung, um die Marktreife zu erlangen. Grundsatzforschung kostet einfach sehr viel Geld. Denken Sie an die Firma Biontech. Durch den großen Erfolg bei der Impfung gegen COVID 19 konnte nun auch Geld für die weitere Forschung an einem Impfstoff gegen Krebs eingesetzt werden. Deutschland und die EU geben natürlich Geld in die Forschung, aber immer vergleichbar nur kleine Beträge, zwei, drei Millionen. Um ein ausgereiftes Kunstherz auf den Markt zu bringen, bräuchte man 150 Millionen, das sind natürlich unglaubliche Dimensionen. In Frankreich und in Amerika gibt es mehr private Investoren, die an die Sache glauben. Ich mache sehr viel Werbung und versuche die Menschen aufzuklären, aber seien wir ehrlich: die Pandemie hat uns die Show gestohlen. 

Ein weiteres großes Thema in Ihrem Leben ist die Gender-Medizin und Ihre Rolle als Frau, die bei bester Ausbildung und hoher Durchsetzungskraft trotzdem mehrfach an die gläserne Decke gestoßen ist. Nun sind Sie aber letztlich doch Chefärztin geworden, und zwar in der Privatklinik „Clinic Bel Etage“ in Düsseldorf. Erzählen Sie darüber. 

Einige Chefärzte konnten nicht damit umgehen, dass ich durch meine Interviews sehr bekannt wurde. Das war schon suspekt. Außerdem habe sehr erfolgreich operiert, und es fiel auf, dass es bei mir kaum Komplikationen gab. Auch das ist nicht unbedingt förderlich für das männliche Ego. Im bestehenden System war ich der Störenfried. Ich suchte nach einer Stelle, die meiner würdig ist und bin leider nicht fündig geworden. Das schlimmste Totschlagargument war dann immer, ich sei zu überqualifiziert, ich würde Unruhe ins Team bringen, entsprechende Stellen seien schon besetzt. Ich war dann einige Zeit auf der Suche nach einem Job und begann mir ernsthafte Sorgen zu machen. Und so habe ich mich entschlossen, eine private Praxis zu eröffnen. So bin seit 2020 im Medical Center Pradus auf der Reichsstraße 59 in Düsseldorf niedergelassen. Ich wusste, in der Privatklinik gibt es auch OP-Säle, ich kann also eventuell operieren. Und so wurde ich eben Chefin einer Privatklinik. Ich versuche Kooperationen zu akquirieren, meine Popularität und dass ich 2019 Medizinerin des Jahres wurde, hilft mir natürlich dabei. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Vor allem eine große mediale Präsenz meines Themas Kunstherz. Nur so kann es gelingen, Sponsoren dafür zu begeistern und die nötigen Forschungsgelder aufzutreiben. Ich würde mir auch wünschen, dass sich in der Gesundheits-Szene etwas ändert, vor allem, dass die Hierarchien an Krankenhäusern flacher werden. Es stört mich wirklich, dass ein Chefarzt – ist er erst gewählt – für Jahrzehnte an der Macht sein kann und niemand hinterfragt, wie er seine Mitarbeiter*innen behandelt. Der Anteil an Frauen in Chefpositionen ist in den Kliniken immer noch verschwindend gering. Ein solches Ungleichgewicht gibt es in anderen Bereichen längst nicht mehr. Dass die Gleichstellung definitiv noch nicht angekommen ist, macht mich wirklich traurig und wütend. Frauen werden in den Chefetagen gebraucht, denn sie bringen auch die Empathie in die Medizin. 


Kurzvita 

Dilek Guersoy Portrait, , „Wenn ich mich verkaufe, dann gut und nicht als Mittelmaß“Geboren 1976 in Neuss, deutsche Medizinerin mit Schwerpunkt Herzchirurgie. Nach dem Abitur am Neusser Quirinus-Gymnasium studierte sie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Humanmedizin. Danach war sie an verschiedenen Arbeitsorten Assistenz-, Fach- und Oberärztin im Team des Herzchirurgen Reiner Körfer, an dessen laufender Forschung an einem Kunstherz ohne externem Kabel und Antriebssystem sie beteiligt ist. Sie ist Expertin auf dem Gebiet der mechanischen Kreislaufunterstützungssysteme und führte 2012 als erste Frau in Europa bei einem Patienten eine Kunstherz-Implantation durch.
2019 war sie an einer Kampagne des Familien- und Integrationsministeriums NRW #IchDuWirNRW als Vorbild und positives Beispiel für die erfolgreiche Einwanderungsgesellschaft beteiligt. Daneben engagiert sie sich in diversen Vereinigungen, unter anderem als Mentorin bei der Initiative Women into Leadership. und als Kampagnenbotschafterin in der Deutschlandstiftung Integration. Im September 2020 erschien Gürsoys Buch „Ich stehe hier, weil ich gut bin“, in dem sie ihren Lebensweg skizziert und aus dem Alltag in Klinik und OP berichtet. Seit Dezember 2020 arbeitet Gürsoy in ihrer eigenen Privatpraxis für Herzchirurgie in Düsseldorf. 


© Foto: DJournal

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