31. August 2016In 2016/3

„Wir müssen mit unserer Struktur- und Förderpolitik sehr viel stärker auf den innovativen Mittelstand setzen“

Gespräch zwischen NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin und Regierungspräsident a.D. Jürgen Büssow


von Jürgen Büssow

Büssow: In der Presse wurde zuletzt über den Produktivitätsrückstand von NRW berichtet. In der gewerblichen Industrie sind Baden-Württemberg und Bayern mittlerweile sogar stärker. Wie können wir auf so etwas reagieren?

Duin: Wir arbeiten derzeit an einem Jahreswirtschaftsbericht NRW. Es zeichnet sich ab, dass wir Einbrüche im Bereich der industriellen Produktion und bei den Exporten haben. Die Marktanteile unserer Unternehmen, die in der Grundstoffindustrie tätig sind, haben sich deutlich verringert. Das gilt zwar für Gesamtdeutschland. Allerdings hat Deutschland einen Anteil von 18 Prozent, NRW aber von 30 Prozent. Dazu kommt verstärkt das Thema Energiewirtschaft. Der Anteil der konventionell erzeugten Energie ist in den letzten Jahren aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energie massiv zurückgegangen. Von den vier großen Energieunternehmen sitzen alleine zwei in NRW, deshalb spüren wir das auch in besonderer Weise. Auch viele kleinere Unternehmen sind betroffen, bis hinein in die Stadtwerkelandschaft. Zusätzlich gibt es einige wenige Sondereffekte, wie die Schließung des Opel-Werkes und die Restrukturierungen im Einzelhandel – Stichwort Karstadt. Das sind alles Dinge, die andere Länder so nicht haben. Darum hat sich NRW vom normalen Bundesdurchschnitt wieder entfernt. Interessant ist dann die regionale Analyse. Wir haben wirkliche Wachstumsregionen und andere, die schwierig sind. Ostwestfalen-Lippe und Südwestfalen sind ganz hervorragend. Auch das Ruhrgebiet entwickelt sich überraschenderweise überdurchschnittlich. Aber im bergischen Städtedreieck und am Niederrhein sieht die Situation nicht so rosig aus.

Büssow: Nun gut, das ist die Wirtschaftsstruktur. RWE können wir als Entschuldigung auch nicht mehr gelten lassen. Die Energiewende hat sich ja schon länger abgezeichnet.

Duin: Die ist übrigens eine privatwirtschaftliche Struktur. Manchmal wird der Eindruck erweckt, dass wir entscheiden, in welchen Unternehmen in welchen Branchen investiert wird. Baden-Württemberg und Bayern haben den riesigen Vorteil, dass dort sehr innovative und innovationstreibende Industrien sitzen. Die Automobilwirtschaft hat nach wie vor einen großen Anteil und natürlich die Elektronikindustrie, bis hin zur Luftfahrt. Wir haben das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, aber keine Produzenten wie Airbus. Der Branchenmix ist ein grundlegend anderer als in anderen Bundesländern und das führt zu solchen Ergebnissen. Das heiß nicht, dass man das nicht ändern könnte. Sondern genau da muss man ansetzen – und in unserer Struktur- und Förderpolitik nicht auf wenige Große setzen, die früher die Struktur dieses Landes in erster Linie bestimmt haben, sondern sehr viel stärker auf den innovativen Mittelstand. Ein ganz praktisches Beispiel: Es nützt nichts, die Schließung des Opel-Werkes zu betrauern. Entscheidend ist, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass am Tag nach der Schließung der Bagger kommt und Platz macht für Neues.

Büssow: Auf dem Opel-Gelände hat sich nun DHL angesiedelt und die Parkverwalter sind natürlich froh darüber. NRW-Verkehrsminister Groschek sagte kürzlich in einem Interview, Logistik wäre jetzt ganz wichtig für NRW. Aber die Wertschöpfungskette bei der Logistik ist nicht so groß. Wenn wir circa 40 Prozent für die Eigenversorgung brauchen, dann sind 60 Prozent Transferlogistik. Wir stellen Flächen mit Containern zu und werden zum Parkplatz für Rotterdam, weil die Kapazitätsprobleme haben. Der Hafen Duisburg wird auch immer größer und belegt wertvolle Gewerbeflächen. Ist das der richtige Weg für die Zukunft, dass wir den nächsten Schwerpunkt auf Logistik setzen? Ist das nicht wieder eine Monostruktur?

Duin: Logistik ist auch aufgrund von Veränderungen in der Industrie zu einem sehr eigenständigen Zweig geworden. Früher war in vielen Industrieunternehmen die Verteilung der Waren Teil des Unternehmens. Das ist sie heute aber nicht mehr. Da ist viel outgesourct worden, was wir jetzt als eigenständige Branche wiedererkennen. Ich glaube, dass die wertschöpfende Logistik ein ganz wesentlicher Bestandteil der Zukunft unseres Landes ist. Wir sind eine Drehscheibe für den ganzen europäischen Raum und es ist nicht so, dass hier nur leere Container stehen. Logistik ist ein neuer Teil der Wertschöpfungskette geworden durch Veränderungen in der Industrie, aber auch im Handel. Wir müssen darauf achten, dass Logistik auf den Flächen stattfinden kann, es aber nicht zu einer Monostruktur kommt. Genau das machen wir zum Beispiel in Bochum, indem die DHL als Ankerinvestor dort auf diese Flächen geht, die Politik aber Sorge dafür trägt, dass nicht die gesamte Fläche ausschließlich mit Logistik zugestellt wird. Es sollen sich auch Industrieunternehmen ansiedeln können und wissenschaftsnahe Ansiedlungen in Kooperation mit der Ruhr-Universität stattfinden. Das gilt nicht nur für Bochum. Diesen Kompromiss kann man vor Ort planerisch gestalten, wir als Landesregierung können ihn begleiten. Das tun wir auch.

Büssow: Düsseldorf ist nun auch ein Start-up-Hub geworden, Köln und Teile des Ruhrgebietes sind in Bewegung. Aber die Start-ups sind hauptsächlich im Dienstleistungsbereich unterwegs. Das ist gut und kommunal kann man da viel helfen. Aber ist das jetzt eine industrielle Erneuerung? Sind das industriebezogene Start-ups? Ich habe den Eindruck, dass was man ‚Disruptive Innovation’ nennt, hier noch nicht so verbreitet ist.

Duin: Viele Start-ups sind nicht so publikumswirksam. Natürlich kennen wir alle Trivago, weil das unseren Alltag betrifft. Wenn jemand aber eine Plattform für den Stahlhandel entwickelt, dann bekommen wir die als Normalbürger nicht zu sehen. Trotzdem ist das die gleiche Innovation, die sowohl das Verhältnis von Industrie zu ihren Kunden als auch die Produktionsprozesse selbst grundlegend verändert. Unser Alleinstellungsmerkmal wird die Nähe zum produzierenden Gewerbe sein. In Berlin gibt es so gut wie kein produzierendes Gewerbe, aber hier noch in weiten Teilen des Landes. Die ersten großen nordrheinwestfälischen Unternehmen gründen ihre Digitalschmieden nicht in Berlin, sondern hier in NRW, wie beispielsweise das Unternehmen SMS aus Düsseldorf. 

Büssow: Voest Alpine errichtet jetzt ein Entwicklungszentrum auf dem Böhlergelände für 3D-Druckverfahren auf Metallbasis.

Duin: Der Chef von Phoenix Contact, einem ganz wichtigen Unternehmen aus NRW und weltweit aktiv im Bereich der Elektroindustrie, hat nach einem USA -Besuch gesagt: „Die Amerikaner haben das Internet, aber wir haben die Dinge.“ Das heißt, wenn es um das Internet der Dinge geht, haben wir einen starken Standortvorteil und können ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal herausbilden. Deswegen haben die Hubs nicht nur die Funktion, ein Ort zum Gründen von Start-ups zu sein. Sie sollen auch dem industriellen Mittelstand, der keine eigene Abteilung und Experten dafür vorhält, die Möglichkeit bieten, sich kundig zu machen. Wir haben hier den Begriff „Rent a Nerd“ geprägt: Man muss den Mittelständlern die Gelegenheit geben, ohne viele Schwellenängste hier vor Ort in Kontakt mit sehr kreativen jungen Leuten zu kommen, die sich das Geschäftsmodell und die Produktion anschauen und sagen, welche Transformationsleistung und Investitionen in den nächsten Jahren benötigt werden.

Juergen Buessow, , „Wir müssen mit unserer Struktur- und Förderpolitik sehr viel stärker auf den innovativen Mittelstand setzen“
Jürgen Büssow

Büssow: Unser industrieller Mittelstand ist meist in der Zuliefererposition gegenüber Systemherstellern. Wenn das Elektroauto wirklich kommt, werden zwei Drittel der Automotivindustrie überflüssig, denn das Auto wird mit reduziertem Equipment fahren. Wie geht man damit um? Die Mentalität bei uns ist ja die, dass VW sagt, die Kupplung muss billiger sein, sonst sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig. Dann wird der industrielle Mittelstand 10 oder 20 Prozent besser. ‚Disruptive Innovation’ meint aber, dass man bestehende Geschäftsmodelle angreift, um sie zu ersetzen. Diese Mentalität haben wir nicht in Deutschland. Wir wollen alles perfekt machen, aber wir können uns nicht infrage stellen. Heute kommen diese Erneuerungen aus dem Ausland – aus Silicon Valley und zunehmend auch aus Asien. Haben Sie als Landeswirtschaftsminister so etwas im Fokus? 

Duin: Ein Gegenbeispiel: Die Deutsche Post wird ihre Pakete auf der letzten Meile mit Elektroautos ausliefern. Die Post war gezwungen, diesen Street- Scooter selber herzustellen, weil in der Tat große Teile der Automobilindustrie sich nicht in der Lage sahen oder Willens waren, in dieses Geschäft einzusteigen. Das ist sehr destruktiv, denn wenn die Deutsche Post zum Automobilhersteller wird, dann verändert sich etwas in dieser Republik. Das Auto wurde in Aachen entwickelt und wird auf dem Gelände eines ehemaligen Wagon-Werks der Firma Talbot, die den Standort schon geschlossen hatte, hergestellt. Und genauso funktioniert eben Transformation. Büssow: Darüber muss man öffentlich reden. Duin: Deswegen war bei dem ersten Start nicht nur ein Postvorstand, sondern auch der Wirtschaftsminister dabei, denn das ist unser Projekt. Nebenbei ist die Post als ein super starkes Unternehmen auch in NRW beheimatet. Bei der Frage der Elektromobilität bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass sie stark ansteigen, aber es keinen hundertprozentigen Ersatz geben wird. Wir haben mittlerweile bundesweit die meisten Ladesäulen, es geht voran. Trotzdem werden wir auch weiterhin den Diesel und effiziente Benziner haben.

Büssow: Ja, aber wir haben nicht mehr die Größenordnungen, das ist der Punkt. VW macht beim Golf nur 1,7 Prozent Rendite und das nur wegen der großen Absatzzahl. Wenn das reduziert wird, dann kommen auch die in Schwierigkeiten, wenn sie nicht umstellen.

Duin: Deswegen überlegt so ein VW mittlerweile, vielleicht ein eigenes Batteriewerk zu etablieren.

Büssow: Mercedes und Siemens wollen jetzt flachere Hierarchien in 20 Prozent ihrer Unternehmen einführen. Gleichzeitig wollen sie ‚Disruptive Innovation’ zulassen, was bei Google Firmenkultur ist. Das müssten wir verbreiten, diesem Denken müsste man eine Stimme geben. Das könnte ein Wirtschaftsminister ja gut. Er kann das nicht alles finanzieren. Aber diese Vision kann man doch unterstützen.

Duin: Das tun wir auch, aber ohne das bisherige Erfolgsmodell in den Mülleimer zu werfen. Wenn ich mir die erfolgreichen sogenannten Hidden Champions in NRW angucke, da gibt es keine Diskussion über große Veränderungen in den Hierarchieebenen, weil …

Büssow: … die sind schon flach … 

Duin: Und die waren auch schon immer flach. Da haben Sie drei Ebenen: der Chef als Eigentümer, ein paar Abteilungsleiter und die Mitarbeiter. Ich bin fast jede Woche bei solchen Unternehmen – in der letzten Woche bei Bettermann im Sauerland, ein absolutes Welt-Unternehmen, aber mit großer Familientradition in der vierten oder fünften Generation, das sich immer weiter entwickelt und innovativ ist. Die Frage ist eine kulturelle: Will ich Innovation oder den letzten Tropfen aus der alten Zitrone herauspressen? Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten gelegentlich geschaut, was die Zitrone noch hergibt.

Büssow: Es gibt Überlegungen im Düsseldorfer Raum, einen Industriepark zu entwickeln, um ingenieurtechnische Start-ups anzusiedeln, die zusammen mit den ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten Firmen gründen. Dort soll sich aber auch die ansässige Industrie – vielleicht mit kleinen Labors – zeigen. Oben drüber steht groß „Henkel Research Cooperation“ oder „Thyssen Research Cooperation“. Die Konzerne müssen nicht ihre letzten Betriebsgeheimnisse offenbaren, aber sich committen und es unterstützen, indem sie Präsenz zeigen. Dann kommen Gründer und auch Uni-Institute. So könnte man vielleicht politisch etwas anstoßen. Nicht, indem das alles öffentlich subventioniert wird. Risikokapital- Fonds könnten helfen. Die haben wir in Deutschland zu wenig. Im Vergleich: USA 54 Mrd. USD, alleine aus Silicon Valley 26 Mrd. USD, EU 11 Mrd. EUR und Deutschland 3,1 Mrd. EUR. Das ist nicht viel.

Duin: Wir wollen nicht nur über Bochum reden, aber der damalige Rektor der Ruhr-Uni hat in der Phase der Werksschließung dort das Modell „Worldfactory“ mit entwickelt. Uni, Industrie, Handwerk und Start-ups sollen dort unter ein Dach. Da ist richtig Druck dahinter, dass wir dieses Ding umsetzen. So etwas brauchen wir nicht nur an einem Ort, denn wir sind ein polyzentrisches Land …

Büssow: Wir brauchen das in Duisburg,

Duin: … in Düsseldorf, in Aachen …

Büssow: Und die können und sollen sich untereinander vernetzen.

Duin: Absolut. Das müssen Orte sein, wo es viel Freiheit gibt. Das ist ganz wichtig, um Dinge auszuprobieren. Das können wir mit anschieben, auch durchaus in der Anfinanzierung. Wir liegen mit öffentlichen Investitionen für Innovationen quasi auf Bundesschnitt. Wir liegen bei den privaten Investitionen meilenweilt hinter beispielsweise Baden-Württemberg oder Bayern. Ich bin gerne bereit, mir jede Schuld aufzuladen, die hier auch korrekterweise abzuladen ist, aber wenn ich mir dieses Investitionsverhalten nordrheinwestfälischer Unternehmen angucke, dann ist das auch deren Verantwortung. 

Büssow: Da ist eine ganz große Kluft zwischen nordrheinwestfälischen Unternehmen und eben den süddeutschen.

Duin: Ein Bereich, in dem wir ganz gut sind, ist zum Bespiel die Pharmazie bzw. Spezialchemie. Der Bayer-Konzern befasst sich mittlerweile nicht mehr mit der klassischen Chemie. Bayer hat noch zwei Sparten, nämlich Düngemittel/Landwirtschaft und Pharmazie. Und da investieren sie zum Beispiel in Wuppertal. Es geht um eine millionenschwere Investition in ein neues Forschungslabor für ein neues Medikament. Der Vorstand konnte entscheiden zwischen Berkley in den USA und Wuppertal. Die Strategie von Evonik ist auch, Spezialchemie herzustellen. Wir brauchen diese Spezialisierung. Und genau dasselbe macht Bayer im Landwirtschaftsbereich – Stichwort Monsanto – auch wenn das gesellschaftlich immer wieder umstritten ist. Das sind diese innovativen Bereiche und wir müssen dafür genügend Lehrstühle bereithalten und die entsprechenden Institute hier ansiedeln, damit Nachwuchs entsteht. Das sind die Zukunftsaufgaben.

Büssow: Es wäre gut, wenn die ansässige Großindustrie mitmacht, nicht unbedingt alles finanziert, aber sich committed, dass sie diese Kultur unterstützt. Damit neue Geschäftsmodelle, neue Prototypen entwickelt und hier im Land ausprobiert werden können und nicht aus den USA oder Asien kommen müssen. Solche Parks müssten sogar international angelegt werden, damit sich auch Start-ups aus China oder Tel-Aviv interessieren. Wichtig ist auch, dass IT und Konstruktionsingenieure zusammenarbeiten. Auf der Hannover-Messe habe ich gesehen, dass der deutsche Maschinenbau in der Robotisierung ziemlich gut ist. Es war aber auch zu sehen, dass immer mehr IT-Steuerungsprogramme aus Amerika kommen. Microsoft sucht den Kontakt zur Deutschen Industrie. Es ist gut, wenn internationale Software-Häuser mit deutschen Herstellern zusammenarbeiten, aber wir dürfen die Steuerungsfähigkeit über die eigenen Produkte nicht verlieren, meine ich. 

Duin: Ja, und deswegen sind solche Projekte wie „it’s OWL“ in Ostwestfalen- Lippe so wichtig. Da ist verstanden worden, wie Industrieunternehmen mit Universitäten und Start-ups erfolgreich kooperieren und Wissen teilen. Das ist für die deutsche Unternehmenskultur kompliziert, für Familienunternehmen erst recht – aber nur so entstehen Innovationen. Sie erfordern gemeinsame Plattformen, über die man sich austauscht. Dafür ist „it’s OWL“ wirklich eine Blaupause. Ein sehr plastisches Beispiel ist Claas. Der Landmaschinenkonzern stellt nicht nur auf der Hannover-Messe aus, sondern auch auf der Cebit, weil die Steuerung eines landwirtschaftlichen Gerätes, eines Treckers oder eines Mähdreschers mittlerweile satellitengesteuert ist. Das denke ich mir nicht alleine im Kreis Gütersloh aus, sondern das mache ich, indem ich mir viele hoch-potente Partner suche. Diese Satellitensteuerung, die am Ende bei uns auf den Kohlfeldern zum Einsatz kommen kann, ist auch deswegen sehr wichtig, weil sie uns Exportchancen eröffnet. Das Thema Welternährung ist ein totales Mega-Thema.

Büssow: Da sind wir aber schnell im Bereich der Bio-Genetik.

Duin: Noch sind wir bei der Steuerung eines Treckers. Der weiß, wann der nächste Regenschauer kommt. Das ist für den Landwirt eine enorme Erleichterung. Es verteuert das Endprodukt kaum, macht diese Technologie aber sehr attraktiv. Ostwestfalen ist da echt ein Vorbild für andere, weil es um Kooperation geht, um das Teilen von Wissen.

Büssow: Kollaboration nennen die das jetzt. Zum Stichwort Biogenetik: Wir haben mit dem Max-Planck-Institut in Köln eines der besten Pflanzungsforschungsinstitute der Welt. Aber es gab auch große Akzeptanzschwierigkeiten wegen ihrer Forschung in der Öffentlichkeit.

Duin: Wir werden uns entscheiden müssen, ob wir glauben, dass wir angstfrei den Wohlstand erhalten sollen. Es geht nicht darum, in unkalkulierbare Risiken hineinzugehen. Aber es geht schon um ein bisschen mehr Freude am Probieren, am Erforschen neuer Dinge …

Büssow: Und was wir damit machen, ist ja auch eine zweite Frage.

Duin: Ja klar, da können wir immer noch politisch klare Grenzen setzen. Die Atomkraft ist ein gutes Beispiel dafür, wie man politisch Sachen für erledigt erklären kann. Aber die Forschung gerade in Bereichen wie Gentechnik …

Büssow: Ich finde es auch besser, dass sie hier in Deutschland stattfindet, wo es Veröffentlichungspflichten gibt, und wo wir darüber diskutieren können, ob wir die Forschungsergebnisse auch anwenden wollen als wenn diese Forschung etwa in Nordkorea oder in Russland erfolgt. Worüber wir gerade reden, löst bei den Menschen auch viele Befürchtungen aus, was die Globalisierung und die Automatisierung der Arbeitswelt angeht, wenn befürchtet werden muss, dass viele Arbeitsplätze nicht mehr gebraucht werden. In solche Innovationsparks gehören eigentlich auch Sozialwissenschaftler und Arbeitsrechtler. Neue Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitmodelle müssen entwickelt werden. Die Sozialwissenschaften sind nicht nur die Hilfstruppe der Ingenieurwissenschaften, sondern sollen auch den Entstehungsprozess begreifen und mitgestalten. Würden Sie auch dafür plädieren?

Garrelt Duin, , „Wir müssen mit unserer Struktur- und Förderpolitik sehr viel stärker auf den innovativen Mittelstand setzen“
Garrelt Duin

Duin: Wir sind das einzige Land, das eine Allianz „Wirtschaft und Arbeit 4.0“ hat. Als Landesregierung wollen wir mit drei Gruppen diskutieren: den Wissenschaftlern, also auch Arbeitswissenschaftlern und Sozialwissenschaftlern, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften. Diese deutschlandweit einmalige Institution macht es sich zur Aufgabe, mit solchen Fragestellungen sehr intensiv umzugehen: Wie verändert sich die Arbeitswelt? Wie verändert sie sich dahingehend, dass wir gar nicht viel weniger Leute brauchen, aber ganz andere Qualifikationen? Mit welchen Abschlüssen und welchen Qualifikationen kann ich diesen Herausforderungen künftig gerecht werden? 

Büssow: Welche anderen Arbeitszeitmodelle haben wir? Wie ist das mit den Sozialversicherungen, den Rentenversicherungen? Ob wir eine Maschinensteuer brauchen oder eine andere Steuer, wird man sehen.

Duin: Das einzige, was ich für mich selbst ausschließen würde, ist das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens. Ich glaube, dass Arbeit einen Wert hat, der über das Erzielen von Einkommen hinausgeht.

Büssow: Dann müssen wir Arbeit aber auch anbieten. Dann muss Arbeit für alle da sein. Wenn man jetzt kein Ingenieur ist und als junger Mensch in die Arbeitswelt geht, dann werden sehr häufig erst einmal Zeitverträge angeboten. Und das auch von der Landes- und den Kommunalverwaltungen Das ist natürlich auch kein tolles System. Das macht viele junge Leute unsicher. Wie wollen junge Frauen eine Familienplanung machen, wenn sie nur Zwei-Jahres-Verträge maximal bekommen?

Duin: Das verstehe ich. Ich glaube, dass sich das in den nächsten Jahren umkehren wird. Wir werden einen Arbeitnehmermarkt bekommen und alle Arbeitgeber, inklusive des öffentlichen Dienstes, werden sich mit großer Flexibilität um die zur Verfügung stehenden Menschen bemühen müssen.

Büssow: Wenn die Unternehmen dann nicht drohen auszulagern.

Duin: Ich mache jetzt seit 17 Jahren hauptberuflich Politik, Sie noch länger. Die Liste an Gründen, mit denen Unternehmen mit Abwanderung gedroht haben, ist lang. Das langweilt mich.

Büssow: Mit der Robotisierung wird das Lohnargument auch nicht mehr so wichtig. Es sei denn, dass die Unternehmen in den Auslandsmärkten präsent sein müssen.

Duin: Wir haben auch in den siebziger Jahren einen Riesenschub an Automatisierung in den Betrieben gehabt. Ich selber komme aus der Region Emden. Ich weiß sehr genau, wie viele Menschen dort vor der Einführung der Roboter gearbeitet haben und wie viele heute dort beschäftigt sind, nachdem wirklich ein maximaler Grad an Automatisierung vorhanden ist. Die Arbeit hat sich komplett verändert und die Produktivität ist natürlich massiv gestiegen. Die Anzahl der Beschäftigten dort ist aber nahezu gleich. Insofern sollte man nicht so viel Angst vor Robotisierung haben. Viele Tätigkeiten, die vorher körperlich kaum durchzustehen waren, werden natürlich auch deutlich erleichtert.

Büssow: Wir müssen halt nur die Arbeit richtig und gerecht verteilen, damit die Menschen von ihrer Arbeit leben können.

Duin: Unbedingt.

Büssow: Bundeswirtschaftsminister Gabriel hatte Ende 2015 vorgeschlagen, einen Infrastrukturfonds zu bilden. Für die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur brauchen wir – je nach Institut – 136 bis 200 Mrd. EUR in den nächsten fünf Jahren. Unsere Ruhrgebietskommunen sind unterfinanziert und können nicht einfach Geld aufnehmen. Hillary Clinton hat im Wahlkampf angekündigt, dass sie als Präsidentin 247 Mrd. USD investieren möchte, weil die Infrastruktur in den USA ebenfalls marode ist. Sollte man Herrn Gabriel nicht politisch unterstützen? Das könnte auch korrespondieren mit der Nullzins-Politik von Herrn Draghi. Das Kapital wird angelegt, und wir erleben eine Modernisierung. Warum packen wir das nicht an?

Duin: Erste Frage: Warum soll ich als Staat, der sich von allen Marktteilnehmern am besten refinanzieren kann, Private in diese Finanzierung mit hineinnehmen, die dann natürlich irgendeine Form von Rendite erwarten? Zweite Frage: Gibt es tatsächlich bei der klassischen Infrastruktur zur Zeit ein Finanzierungsproblem? Angesichts eines durchfinanzierten Bun desverkehrswegeplanes, der so dick ist wie noch nie zuvor – mit dem größten Anteil für NRW nebenbei gesagt. Das heißt, die Projekte sind finanzier bar. Aber wir haben ein anderes Problem. Es dauert alles viel zu lange. Das Geld ist da, aber es kann gar nicht abfließen, weil Genehmigungs- und Planungsverfahren zehn Jahre dauern. Ich sehe das als das dringendste Thema an. Es muss – auch im internationalen Vergleich – möglich sein, zwischen Idee und Fertigstellung einen Zeitraum von nur wenigen Jahren vergehen zu lassen.

Büssow: Von sechs Monaten!

Duin: Wir sind ein Rechtsstaat und deswegen muss auch jeder seine Einwendungen machen können. Es muss aber in einer Instanz schnell entschieden werden, ob es irgendwelche ökologischen oder anderen Einflüsse gibt, und dann muss das zügig gehen.

Büssow: Können wir da nicht einmal eine Enquete-Kommission beauftragen? 

Duin: Da braucht man keine Enquete- Kommission, sondern das muss man einfach nur durch entsprechende Initiativen im Bundesrat – die Herr Groschek übrigens gerade vorbereitet – auf den Weg bringen.

Büssow: Bei den Bauordnungen auch. Wir haben eine Bundesbauordnung. Darunter haben wir noch Länderbauordnungen, die diese noch einmal verschärfen.

Duin: Es ist der nackte Wahnsinn, was wir uns erlauben. Ich bin sehr offen für öffentlich-private Partnerschaften und kann mir das in manchen Bereichen durchaus vorstellen. Die Infrastruktur-Kommission von Herrn Gabriel hat auch verschiedene Modelle ermöglicht. Mir ist nur wichtig, dass das am Ende nicht Modelle sind, bei denen sich eine im Ausland gesteuerte AG alle Aufträge unter den Nagel reißt. Wir brauchen auch eine Mittelstandskomponente, denn die Bauwirtschaft ist mittelständisch und die muss daran partizipieren können. Was die kommunale Infrastruktur betrifft, legen wir jetzt gerade ein Programm für die kommunalen Schulen auf. 2008/2009 gab es bereits zwei große Konjunkturpakete. Um die noch vorhandenen Lücken zu schließen, werden wir in den nächsten vier Jahren zwei Milliarden Euro an die Kommunen geben. Aktuell sehe ich eher das Problem der zu langen Genehmigungsverfahren als das der zu schlechten Finanzierung.

Büssow: Auch der Brandschutz und die Wärmedämmungsvorschriften sollten einmal evaluiert werden. Wir geben bis 2050 dafür 200 Mrd. EUR aus. Das könnte man auch in Batterietechnologie investieren. Aber da stehen Lobbygruppen dahinter und die verteuern den Wohnraum.

Duin: Es muss unser Ziel sein, dass wir – sowohl was Genehmigungsverfahren als auch Standards angeht – die Rahmenbedingungen so entschlacken, dass wir schnell bezahlbaren Wohnraum bekommen.

Büssow: Damit die einkommensschwächere Bevölkerung nicht an die Stadtränder verdrängt wird.

Duin: Das ist erkannt und die dafür zur Verfügung gestellten Mittel wurden jetzt auch noch einmal aufgestockt. Wir haben zum Beispiel um den Landesentwicklungsplan lange gestritten. Ich weiß, dass sich da manche noch mehr gewünscht hätten, aber wir haben immerhin eine Flexibilität von 20 Prozent eingebaut, die nicht an irgendetwas gebunden ist für die Suchräume. Das war schon ein harter Kampf.

Büssow: Wenn Leben und Arbeiten wieder ein bisschen mehr zusammenkommen, ist das auch schön.

Duin: Ich glaube, dass das Thema Stadtentwicklung lange unterschätzt wurde in Bezug auf die Art und Weise, wie qualitativ hochwertig unser Leben eigentlich ist.


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