2. November 2013In 2013/4

Mein Leben in Malta

Malta ist der kleinste EU-Mitgliedsstaat und das dicht besiedelte Land Europas


von Dr. Stefanie Anzinger

Auf einem kleinen Felsarchipel im Mittelmeer, dessen Hauptinsel nur etwa 30 Kilometer lang und 15 Kilometer breit ist, drängt sich etwa eine halbe Million Menschen. Diese bilden eine interessante ethnische Mischung aus Nachkommen von Volksgruppen des Orients und des Okzidents, die sich hier in der jahrtausendealten Geschichte Maltas vermischten. Ebenso bunt präsentieren sich Kultur und Kulinarisches: italienische Feinkost findet sich ebenso häufig, wie typische Gerichte des Nahen Ostens auf der Speisekarte der vielen Restaurants in Malta. Gesprochen wird Englisch und Malti – eine semitische Sprache, die ihre Wurzeln wohl in der phönizischen Besiedlung Maltas hat und durch die vielen Lehnswörter aus dem Italienischen, dem Französischen und dem Englischen wie ein eigenartiger Kauderwelsch klingt. Besonders merkwürdig für Besucher einer der vielen Kirchen des stark katholischen Landes ist die Bezeichnung des katholischen Gottes als Allah. Das Tal heißt wie in vielen arabischen Ländern Wied und der Felsen Gebel, ein Auto ist ein Karozzin und zur Arbeit geht man ins Office oder die Factory.

Zurückzuführen ist dieser interessante kulturelle Mix auf die einmalige Lage der Insel. Das Archipel befindet sich zwischen Sizilien und Tunesien an einer der engsten Durchgangsstellen zwischen östlichem und westlichem Mittelmeer, was Malta eine unglaubliche strategische Bedeutung, verlieh. Kein Wunder also dass, wer das Mittelmeer beherrschen wollte, Malta beherrschen musste. So wechselten sich in den vergangenen sechstausend Jahren hier Phönizier, Karthager, Römer, Goten, Araber, Normannen, Staufer, Spanier, der Johanniterritterorden, Napoleon und die Briten als Herren der Inseln ab. Besondere Bedeutung erlangte Malta vor allem durch den katholischen Johanniterorden, auch Malteserorden genannt, der hier zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert sein militärisches und religiöses Zentrum hatte.

Die Hauptstadt Valletta, unter dem Orden als militärische Festung in einem der tiefsten Naturhäfen des Mittelmeers erbaut, zeugt noch heute mit unzähligen Palästen aus dieser Epoche von dem reichen Erbe des Ordens. Als „letzte Bastion der Christenheit“ im Kampf gegen die Muslime wurde der Malteserorden in der damaligen Zeit nicht nur von Papst und Kaiser, sondern von allen bedeutenden Herrscherhäusern Europas unterstützt. Sie schickten ihre Söhne in den Orden und ließen diesem großzügige Schenkungen zukommen. Leider wurde ein großer Teil des Reichtums später von Napoleons Truppen geplündert und viele der prächtigen Bauwerke fielen den Bomben des zweiten Weltkriegs zum Opfer, als Malta aufgrund seiner strategischen Position zum Flottenstützpunkt der Briten im Mittelmeer wurde.

Von den Zerstörungen merkt man der Hauptstadt Valletta heute kaum noch etwas an und es ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, hier durch die engen Gassen zu streifen, da man fast von überall einen wunderbaren Blick auf das Meer und die geschichtsträchtigen alten Paläste hat. Da Valletta ursprünglich vom Orden als Festungsstadt auf einer Halbinsel im Großen Hafen erbaut wurde, ähnelt die Anordnung der Straßen einer amerikanischen Stadt. Von hier hat man fantastische Ausblicke auf die umgebenden Städte, zum Teil altes Siedlungsgebiet wie die „Three Cities“, die heute eine wunderbare Kulisse vor dem Jachthafen werden und auch schon vielen Historienfilmen als Hintergrund dienten.

Auf der anderen Seite liegt Sliema und die daran angrenzenden modernen Städte. Einst bauten die Briten hier ihre Sommerresidenzen. Nach der Bombardierung siedelte sich dann die aus den zerstörten Städten geflohene Bevölkerung hier an. Leider sind hier die negativen Seiten des wirtschaftlichen Aufschwungs und der zum Teil rasanten Entwicklung Maltas besonders deutlich zu sehen. Vor allem die sogenannte „Seafront“, die dem Meer wie auch dem Hafen zugewandte Seite, besticht durch die Hässlichkeit der ausufernden und unstrukturierten Bausubstanz. Wo sich noch vor 50 Jahren traumhafte Stadtpaläste am offenen Meer aneinanderreihten, thronen nun architektonische Missgestalten verschiedener Jahrzehnte. Im Kontrast zu der stark bebauten Nordosthälfte der Insel steht dagegen glücklicherweise die noch teilweise – vor allem aufgrund der bis zu 200 Meter steil aufragender Felsklippen – unberührte Südküste. Hier erstreckt sich ein Wanderparadies. Allerdings muss man die Wege kennen, Markierungen gibt es keine. Dank der Voraussicht einiger naturverbundener Malteser gibt es zwischenzeitlich auch einige Naturschutzgebiete, in denen vor allem der Bodenerosion durch Neuanpflanzungen Einhalt geboten wird.

Wirtschaftlich haben die Malteser einiges auf die Beine gestellt. Die Inselökonomie floriert, und das, obwohl jegliche Bodenschätze fehlen. Die Insulaner bauen auf ihr althergebrachtes Kaufmannsgeschick. Mit britischer Hilfe wurden sofort nach dem Krieg die ersten Pläne zur wirtschaftlichen Entwicklung entworfen und schon bald in die Tat umgesetzt. 

Mit Hilfe eines attraktiven Anreizpakets wurden Industriebetriebe angesiedelt, da man sich nicht allein auf die Entwicklung des Tourismus verlassen wollte. Der Textilindustrie aus dem europäischen Norden folgte sehr bal Elektronik- und IT-Industrie. Die vielen Flughäfen aus britischer Zeit wurden in Industriegebiete umgewandelt und die Werften und Trockendocks der Briten zivilen Auftraggebern geöffnet.

Heute floriert nicht nur Tourismus und Leichtindustrie, die Film-, IT-, Schiff und Luftfahrtindustrie sondern auch der Banken- und Finanzdienstleistungssektor. Darüber hinaus ist Malta nach dem Weltrisikobericht 2012 der UN das zweitsicherste Land der Welt. 

Seit 1997 lebe ich mit Unterbrechungen immer wieder auf der Insel, wo ich mich sehr wohl fühle. Für mich ist Malta bis heute eine Insel der Kontraste. Tradition und Moderne, Bauwüsten und ländliche Idylle, Ausländer und Einheimische koexistieren harmonisch auf engstem Raum. Schön finde ich, dass ich eine lustige Mischung unterschiedlichster Nationalitäten zu meinen besten Freunden zählen kann, darunter auch viele Malteser. Da auf der Insel ein stetiges Kommen und Gehen herrscht, ist der Freundeskreis heute auch in alle Welt verteilt. Obwohl die Insel doch sehr klein ist und man auch manchmal wirklich den sprichwörtlichen Inselkoller bekommt, ist sie doch internationaler als manche deutsche Großstadt. So lebt die Tochter meines Mannes, die mehrere Monate in Malta verbringt, in einer bunt gemischten WG mit Asiaten, Lateinamerikanern und Europäern zusammen. Nach vielen Jahren sowohl in Malta wie auch in Deutschland fühle ich mich in beiden Ländern wohl, möchte aber das jeweils andere nicht missen. 

In meiner jetzigen Tätigkeit habe ich den derzeit besten Kompromiss gefunden. So leite ich heute das Deutschlandbüro einer maltesischen Sprachschulgruppe, bestehend aus einer Sprachschule für Schüler und Studenten und einem Trainingsinstitut, das gemeinsam mit einem renommierten britischen Partner Sprach- und Kommunikationskurse sowie interkulturelle Trainings für Erwachsene anbietet. Meiner Meinung nach ist Malta dafür die perfekte Umgebung. Dies gibt mir die Möglichkeit, weder Deutschland noch Malta vermissen zu müssen.


Kurzvita

Stefanie AnzingerStefanie Anzinger, Jahrgang 1968, Studium der Soziologie, Kommunikations- und Politikwissenschaften an der Universität Augsburg. Dort auch Promotion Dr. phil. (magna cum laude). 
Malta lernte sie bereits während eines einjährigen Auslandsstudiums kennen. 
Seit 1997 ist sie in Malta mit Unterbrechungen für verschiedene private und staatliche Unternehmen tätig. Seit 2013 leitet sie das Deutschlandbüro eti Malta


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