Erinna König – Spiel des Lebens
Als für Erinna König am 6. Oktober 2021 der Vorhang fiel, war sie gerade mitten im Satz. Bildlich, denn sie hatte gerade die Ebene gefunden, auf der sie ihr Werk am Besten zeigen konnte. 2020 durch ihre Einzelausstellung in der Thomas Schütte Stiftung Skulpturenhalle Neuß und 2021 durch den Kontakt mit dem von der Heydt Museum in Wuppertal.
Im ‘Squash’ Satz, ebenso. Denn Erinna König arbeitet mit der Wand, die trägt, schützt, den Rahmen bietet; trennt, darstellt und den Ball zurückpfeffert. Werke, oft skulpturell gedacht und doch meist wandbezogen, als Malerei von der Künstlerin selbst verstanden, auch wenn sie schneidet, sägt, umdreht, hämmert, nagelt – oder leimen, lasieren, lackieren lässt. Es geht nicht um handwerkliche- sondern komponistische Fähigkeiten, und allderweil geht die Gesamtheit der sehr diversen Teilprozesse in die Werke ein, sichtbar oder unsichtbar-gefühlt. Diese sind von Experten ausgeführt, von der Künstlerin selbst oder anderen unter Anleitung.
Beim Erleben von Erinna Königs Werk muß man bereit sein gerade geformten Ideen von Neuen ersetzt zu finden. Da gibt es das ‘Scheinen und das Sein’ wo beim näheren Hinsehen das Material sich ‘entpuppt’ (vielleicht als Gebrauchsgegenstand oder Möbelstück) – oder eben andersrum, erst so schien als wäre es einer oder eins. Ohne Hintergrundinformation außer Material-und Maßangaben werden zum Teil erkennbare, oder gänzlich transformierte Elemente gezeigt, oder erfundene Titel, die Erinna König gerne einfließen lässt. Es mögen arabeske Abstrakta, Größenverhältnisse, Proportionen, Platzierungen und deren Kombinationen zum Denken anregen. Eine Formation schwarzer Schatten durchquerte als wuchtiges Teerelement den Raum, der leicht-graue ‘Weg’ rollt darunter ins Unendliche, am Fußende steht, hängt und fällt eine Relief-Halbsäule.
Was recht schnell auffällt, ist dass in einem Teil eines skupturellen Gemäldes oftmals ‘nichts’ beziehungsweise die hintere Wand zu sehen ist. Diese muss man als Mitspieler betrachten. Es ist kein Spiegel, der auch vorkommt, sondern ein matt getünchtes Weiß das den Blick erwidert und die Randbedingungen stellt für das imaginäre Feld, das wir selbst gedank- oder sinnlich füllen.
Tritt man einen Schritt zurück, bemerkt man das Umfeld, die anderen Werke, die architektonischen Gegebenheiten die den Raum halten worin alles in Beziehung steht, denn die Künstlerin hat alles in Betracht gezogen; inklusive vergangene, eingegangene, bleibend präsente Faktoren. Als wäre die Zeit angehalten, wirken einige Werke wie „Der Moment nach dem Geschehen (Performance/Akt)”. Panzerglas, das als Element wiederkehrt, oder Plexiglas-Gehäuse erwecken das Gefühl, dass Schutz benötigt oder Vorsicht geboten ist.
Erinna König setzt in Szene, geht an Ausstellungen heran wie ein Intendant und Bühnenbildner in Einem, schreibt ihre Stücke und kreiert ihre Charakter (Subjekte) die sie dann im Sinne von größter gegenseitiger Resonanz choreographiert. Jeder Beitrag, jede Entscheidung wird zum Schauspieler oder Statisten in diesem Schauspiel bildlich festgehalten als Tableau Vivant Composé.
Jedes Tableau Vivant Composé enthält die Enstehungsgeschichten und Vorleben des Gesamten wie die der einzelnen Teile und der Künstlerin. Aber es macht am richtigen Moment ‘Halt’. Es hält inne und regt stattdessen zur Eigenphantasie an. Ein komplexes ‘offenes Buch’ das zum weiterschreiben einlädt. Aus Lesen wird Schreiben, aus passiv wird aktiv.
Gehen wir noch einen Schritt zurück, diesmal zeitlich. Der Name Erinna König ist geläufig. In Düsseldorf ist er synomym für ihr größte soziale Plastik, das op de Eck Restaurant im K20. Vierzehn Jahre unter ihrer Führung, hier oratierten die Arrivierten, und die es werden wollten servierten. Mit dem Konzept soziale Kunst / Restauration ist Erinna König kein Einzelgänger, besonders mit Gordon Matta-Clark verbindet sie dies, wie ebenso die Begeisterung für Architektur und Fundstücke, und beides in Einem.
Dass Erinna König trotz dem arbeitsaufwändigen op de Eck es geschafft hat, sich zeitgleich ihrem kreativen Werk zu widmen, zeugt dafür, dass für sie das Künstler-Sein nicht Beruf, sondern Berufung war. Zwischen ihr, der Komposition und seinen Komponenten besteht eine wirkliche Symbiose: die Materialen ziehen sie an, ‘wollen’ von ihr gefunden werden und fordern ihre weitere Gestaltung ein. It takes two to tango. So fühlte Erinna König sich unwiderstehlich angezogen von Gegenständen, die ihr zu-fielen, die sie zu sich aufnahm, nach Hause holte. Von denen sie zum Teil erst nach einiger Zeit Zusammenleben wusste, für was sie bestimmt waren.
Begonnen hatte dieses Zusammenspiel auch zu-fällig. In ihren ersten Jahren Akademie Ende der ‘60 ger, wenn um sie herum der Kleinkrieg ‘Abstrakt versus Figurativ’ tobte, fand Erinna diese Debatte für sich irrelevant. Sie interessierte sich für gefundene Objekte, Holzarbeit und Installationen, abgesehen von Performances und Aktionen. 1982, als sie an einem Filmprojekt in Kenya teilnahm und die crew sich abends gesellig entspannte, wanderte ihr Blick und fiel auf von anderen unbeachtete Dinge. Ihre ersten ‘Diamanten im Staub’ waren Stoffrollkerne, wahre ‘Enden der Rolle’ im multiplen Sinne, die durch Erinna König eine Neugeburt fanden und einen neuen Lebenszyklus begannen. Sie begann abendlich zu kombinieren, zu verwandeln. Mit ‘Rote Zeichen, Durststrecke,’ und Vorstellungen vor Ort war die Brücke zu ihrem frühen Werk geschlagen.
Machen wir einen anderen zeitlichen Satz, finden wir uns im Jahr 1966, Düsseldorf, Kunst Akademie. Eine Neunzehnjährige aus Warstein im Sauerland geht hinein und zeigt ihre Maler-Mappe während ihr Vater draußen Zigaretten raucht. Die junge Frau wird angenommen und schreibt sich ein; als erstes in die Bühnenkunstklasse von Teo Otto, Bertold Brecht’s Bühnenbildner, dreimensionaler Interpret. 1971 wird sie Meisterschülerin von Joseph Beuys und zuletzt noch Mitbegründer und Student der ersten Foto und Film Klasse unter Ole John Povlsen. Zwischenzeitlich besuchte sie die Graphik Klasse von Dieter Roth und schaffte es, parallel in Köln und Bonn Judaismus, Vergleichende Religionswissenschaften und ostasiatische Kunstgeschichte zu studieren.
Wenn ’68er durch Straßen zogen, Fahnen schwenkend, fand Erinna sich mitten im Geschehen. Als Mitbegründerin der Düsseldorfer ‘Roten Zelle Kunst’ (Raum 13 der Akademie), des ‘Büro Olympia’ in der Altstadt und etlichen Aktionen, verschwand sie nicht im Gedränge, sondern ragte aus der Menge. Wo das Grau der Berliner Mauer das Blickfeld blockierte, schweifte das geistige Auge viel weiter – bis das Traumbild hinter einer noch viel längeren Mauer mit roten Sternen auf vermeintlich grünem Gras verschwomm.
Mitte der ‘70ger bezog Erinna König ihr Studio in der legendären Brückenstraße, die zugehörig zum alten Hafen-Fabrik Gelände für ein Jahrzehnt ein Künstlermekka und Düsseldorfs Klein-SoHo war. Als dort die Galerie Beyerenzel aufmachte, war Erinna König die erste Einzelausstellung vergönnt. Ums Eck öffnete das erste ‘op de Eck’ wo Klaus Renzel, dann mit Erinna im Tandem, der Künstlerszene vier Wände gab zum ein- und ausgehen.
Joseph Beuys, Inspiration für mehr als eine Generation, schlug viele Kreise. ‘Joseph Beuys und seine Schüler’ war einer dieser. Bei Erhard Klein, Beuys Freund und renommierter Künstler-Gallerist, und Achim Kubinski Stuttgart, hatte Erinna im Takt ihre ersten weiteren Solo Auftritte.
Wieder ein Schritt zurück, 1959. Familie König zieht um. Vom trauten Heim im Sauerland, wo drei Generationen harmonisch unter einem Dach gelebt hatten, zog die sechsköpfige Familie ohne Großeltern nach Westfalen. In die Fremde, wenig willkommen, so empfand es die zwölfjährige zweitälteste Erinna, die der Umzug am härtesten traf. Sie begann zu malen, eine eigene Realität zu kreieren, nach eigenen Vorstellungen, Farben und Formen.
Die heutige Ausstellung im von der Heydt Museum erinnert an eine Familienversammlung.
Zur Original-Familie der jungen Erinna haben sich begleitende Subjekte hinzugesellt, einige der Darsteller werden hier vorgestellt.
Beim Eintritt empfängt uns eine riesige. metallene, in Lagen schwebende Maske, posthum finalisiert durch die akribische Detektivarbeit von Erinnas Schwestern, die das Werk und seine Teile tatortmäßig aufstöberten. Masken, ob angedeutet oder explizit, ob Japanisch Noh oder Afrikanisches Original integriert, kehren des Öfteren wieder. Wir entdecken Verkleidung, Versteckspiel, „Ich sehe was, was Du nicht siehst”. Der Kenner wird herausgekitzelt bei entdeckbaren Kunstformen, von Merz zu Minimalismus, Moderne, Memphis, Futurismus oder Fontana et al. Dies mag manchmal mehr als Anspielung sein, wenn man in Betracht zieht dass Erinna ihren ,Roter Rock’ bei einer frühen Gruppenausstellung Palermos ‘Blaues Dreieck’ über der Tür direkt entgegen setzte.
Andererseits verweist der Wink mit Zaunpfahl, Bettstange oder Geländerpfosten, auf Themen wie Imperialismus, Kapitalismus, Werbung, Verkäuflichkeit, Vergänglichkeit, Vermarktung – alles geschickt angedeutet ohne Anzuprangern.
Erinna König versteckt Indizien wie bei einer Schnitzeljagd, verglast, marmorisiert, taucht in rosarot, rahmt massiv, stellt mit groben Baurohstoffen und Allerweltsdingen tiefschürfende Nuancen dar. Alle Mitspieler sind ebenbürtig, sei es Betrachter oder rostende Blechdose. Der Sternenhimmel (zum Quadrat) ist repräsentiert von Armierungsstahl mit Frottee(putz)läppchen das gesondert hervorgehoben wird auf sich-in-den-Raum-neigenden Metallfingern.
Es wird nicht/s behauptet, aber viel suggeriert; das Bild entsteht im Betrachter. Wo Humor aufhört und Ironie beginnt, die Antworten sind persönlich, individuell; das Werk ist ständig aktuell.
Das multidimensionale Werk der Künstlerin, die den Aktionismus Anfang der ‘80er an den Nagel hängt, hat viele gesellschaftskritische Aspekte, ist aber überpolitisch angesetzt in der weitergreifenden, menschlichen Frage des Selbst – im Ganzen und der Gesellschaft. Wer sind wir, hinter der Maske, ohne Verkleidung, im Doppelspiegel. Interessanterweise kann Erinna König fließend Spiegelschrift schreiben, auch ohne Spiegel, was sie als Kalligraphie präsentiert. Paradoxe deuten auf die Unmöglichkeit einer objektiven Fragenbeantwortung.
Die Dimensionen werden eher verständlich, wenn wir uns geistig auf den Kinderstuhl vor den Spiegel im letzten Raum setzen. Von der Kinderperspektive passt das de-funktionale Spieltischchen, die riesigen Landschaften machen Sinn. Die integrierten Möbelstücke lassen nun vermuten, dass sie eigentlich keine Kritik, sind sondern Appell – an den dem Kind versprochenen aber bereits zerbrochenen Traum der heilen Welt, reflektiert im Scheinbild des Bürgerlichen Daseins. Das Mädchen, das viele Fragen hat, bekommt keine Antworten. Es fragt erneut; wieder (n)icht/s.
Später macht die Frau ein Kunstwerk aus einer Anrichte. So eine, wie jeder sie hatte, sagt sie. Die Schranktüren sind abgeschlossen. Sie installiert einen Spionenspiegel auf das Displayregal, sodass man trotz Innenlicht kaum hineinsehen kann. Dorthin legt sie die Schlüssel, sodass man selbst wenn man sie entdeckt, nicht dran kommt. Man sucht, aber wenn man findet, will man es überhaupt? Bleibt es nicht besser verschlossen? Erinna ist Königin des Verschlüsselns und aesthetischen Darstellens. Ihr Werk lädt ein zum eloquenten Orakelspiel der Farben und Formen, mit Fundstücken und verborgenen Fragen.
Erinna König
28. Oktober 2023 – 25. Februar 2024
Von der Heydt Museum
Turmhof 8, 42103 Wuppertal
von-der-heydt-museum.de/ausstellungen/
erinna-koenig-retrospektive/
Erinna König, Akt 3, o.T. (Vorhang)
EK STUDIO, Bachstraße 62, 40217 Düsseldorf
Private View 25. November 2023, 18-20h
Erinnakoenig.de
■ Uscha Pohl