„Ich bin mit einer Mission angetreten“
Interview mit Britta Zur, Beigeordnete für Bürgerservices und Sport der Stadt Düsseldorf
von Dr. Susan Tuchel
Wann stand für Sie fest, dass Sie Jura studieren?
Ich wusste schon sehr früh, dass ich Staatsanwältin werden wollte. Mein Vater hat zwar Beruf und Privatleben zu trennen versucht. Aber natürlich lagen zu Hause immer irgendwo Akten herum. Er hatte oft Bereitschaftsdienst und musste als Oberstaatsanwalt auch nachts raus. Das fand ich spannend. In meiner Abiturzeitung stand schon, dass ich einmal Dezernentin für Mord und Totschlag werden würde. Etwas erstaunt war ich, als ich im Studium in Bonn erkennen musste, dass man nicht nur Strafrecht studieren kann, sondern alle anderen Rechtsgebiete auch erlernen musste (schmunzelt).
Sie wurden Richterin und auch Staatsanwältin hier in Düsseldorf und dann Deutschlands jüngste Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen, das aber nur für knapp drei Jahre. Warum nur so kurz?
Da ich während meiner Amtszeit als Polizeipräsidentin meinen Wohnsitz weiter in Düsseldorf hatte, war mir relativ schnell klar, dass ich meinen Lebensmittelpunkt wieder nach Düsseldorf zurückverlegen musste, schon der Kinder wegen. Ich wäre auch gerne Polizeipräsidentin in Düsseldorf geworden, aber das hat sich nicht ergeben.
Richterin, Staatsanwältin und jüngste Polizeipräsidentin, das klingt alles irgendwie spannender als Beigeordnete für Bürgerservices und Sport.
Man sollte sich davon frei machen, wie „sexy“ etwas klingt. Die Polizei steht für das Thema Sicherheit, Verfolgung und Bekämpfung von Kriminalität. Als eine von 18 Polizeipräsidenten in Deutschland ist man mit einem Mal bekannt und genießt eine hohe Medienpräsenz. Beigeordnete sind halt nicht so berühmt (lacht). Aus Gelsenkirchen wegzugehen, war keine ganz leichte Entscheidung, weil ich den Job und die Menschen dort sehr geliebt habe. Auf der anderen Seite ist mein neues Amt ein guter und richtiger Schritt für mich, weil ich mich jetzt mit anderen Themen beschäftigen kann. Und ich kann jetzt sehr eng mit der Politik zusammenarbeiten. Das nehme ich sehr dankbar als neue Herausforderung an. Ich bekomme Einblicke in viele Themen und darf in der Schaltzentrale der Landeshauptstadt sitzen.
Dann wissen Sie sicher auch, dass gerade die Bürgerservices in puncto Terminvergabe vor allem seit Corona in der öffentlichen Kritik stehen?
Das ist der Stadtspitze bekannt. Genau aus diesem Grund hat mich der Oberbürgermeister gebeten, den Bürgerservice zu reformieren. Ich habe den Ball aufgenommen und bei meinem Amtsantritt bereits eine Problemanalyse erstellt. Zu meinem Amtsbereich gehören auch das Standesamt und das Straßenverkehrsamt. Wir kommen nur weiter, wenn wir bei der Reformierung nicht nach der Salamitaktik vorgehen, sondern alle Ämter ganzheitlich betrachten. Ich werde auch noch Personal bekommen, um dem Projekt die Bedeutung zu geben, die es verdient.
Haben Sie einen Überblick über die Schwachstellen der Verwaltung gewonnen?
Um mir einen Eindruck zu verschaffen, habe ich seit meinem Amtsantritt in allen Bereichen hospitiert. Die Medienschelte wird vielen Mitarbeitern nicht gerecht, die tolle Arbeit leisten. In der öffentlichen Wahrnehmung sah es so aus, als ob die Mitarbeiter weniger Termine wegen Corona vergeben würden. Das war aber nicht der Fall. Während des Lockdowns konnten die Bürgerbüros nicht öffnen, Homeoffice ist bei diesen Jobs nicht möglich. Nach dem Lockdown wollten auf einmal alle verreisen. Die Terminangebote waren dieselben, nur die Nachfrage war gestiegen.
Aber wenn ich sehe, dass mein Reisepass in zwei Monaten abläuft, kann ich heute keinen Termin bei einem Bürgerbüro online buchen.
Das stimmt, hat aber seinen guten Grund. Wir haben festgestellt, dass bei längeren Vorläufen über 20 Prozent der Termine nicht wahrgenommen werden. Als ich beim Einwohnermeldeamt an der Willi-Becker-Allee am Hauptbahnhof hospitiert habe, sind in anderthalb Stunden vier Termine ausgefallen, weil die Leute nicht erschienen sind. Aber trotzdem sehen wir die Probleme und wollen die Situation für die Bürgerinnen und Bürger verbessern. Ich bin mit dem klaren Ziel angetreten, etwas besser zu machen, sonst würde ich das nicht machen. Im Straßenverkehrsamt haben wir bereits ein neues Tool eingeführt, das bürgerfreundlicher ist. Hier erhalten die Bürger schon viele Informationen im Vorfeld. Bis Ende des Jahres wird das Tool auch im Amt für Einwohnerwesen implementiert sein. Wir wollen und müssen digital werden. Das wird uns auch unter Fristsetzung vom Gesetzgeber auferlegt.
Und was ist mit den älteren Bürgerinnen und Bürgern, werden die abgehängt?
Nein, natürlich werden wir die analogen Kanäle für „Oma Lisbeth aus Eller“ nicht dichtmachen. Wir haben immer auch eine telefonische Infoline und bieten mit dem Kurierdienst „Flinke Pedale“ einen Service an, der Dokumente frei Haus liefert und sehr gut angenommen wird.
Düsseldorf tritt gerne als Sportstadt in Erscheinung. Das stößt nicht immer auf Gegenliebe, wie bei der Tour de France. Wo setzen Sie hier Ihre Akzente?
Düsseldorf hat ein unglaublich breites Sportangebot. Im nächsten Jahr werden hier die Invictus Games stattfinden, 2024 werden wir der Austragungsort für die Europameisterschaft sein. Ich freue mich sehr auf das, was da kommt. Allerdings fallen die Großveranstaltungen in den Beritt des Stadtdirektors Burkhard Hintzsche, aber wir sind natürlich im engen Austausch miteinander. Aktuell stehen bei mir Sportstätten auf der Agenda, auch wenn der Stadtsportbund die offizielle Anlaufstelle für die Vereine ist. Ich möchte, dass die Menschen mich als „ihre“ Beigeordnete kennenlernen und dafür brauche ich ein umfassendes Bild vom vielfältigen Vereinsleben in Düsseldorf. Als Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen bin ich oft mit Streife gefahren. Das gehört für mich einfach dazu, das ist mein Anspruch an mich.
Sind Sie sportlich?
Ich gehe oft ins Fitnessstudio, zu „Sport im Park“ habe ich es aus zeitlichen Gründen bisher nicht geschafft. In Gelsenkirchen habe ich hartes Zirkeltraining gemacht und ich boxe sehr gerne, auch weil mir der Ausdauersport beim Boxtraining gefällt.
Sie scheuen die Macht nicht, wollten Sie schon immer nach oben?
Das Leben findet nicht so statt wie auf dem Reißbrett geplant. Ich wollte immer Staatsanwältin werden, aber mit Ende Dreißig habe ich gemerkt, ich will noch mehr und ich kann noch mehr. Es ist Zeit für Karriere. Es folgte die Ernennung zur Polizeipräsidentin und jetzt bin ich für acht Jahre als Dezernentin gewählt worden. Für meine rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möchte ich eine Führungskraft sein, die ansprechbar, konkret und nahbar ist. Letzte Woche hat meine erste Mitarbeitersprechstunde stattgefunden. Zu der kann sich jede und jeder anmelden, der ein Anliegen hat, der Kritik äußern möchte oder nur einen Kaffee mit mir trinken möchte. Das Angebot ist bewusst niedrigschwellig und die Resonanz war unglaublich gut. Für mich ist das auch eine Frage der Wertschätzung. Bei meiner Hospitation im Standesamt ist mir z.B. klar geworden, wie viel komplizierter heute alles ist. Beim Standesamt geht es um viel mehr als um Aufgebote und Trauungen, es geht um Sterbe- und Geburtenregister und zwar quer durch unsere Gesellschaft, in die immer mehr Menschen aus anderen Kulturkreisen kommen mit Dokumenten, die hier auf ihre Echtheit geprüft werden müssen. Da ist mir erst einmal klar geworden, wie hoch die Anforderungen an die Standesbeamten heute sind.
Vermutlich sind Sie die einzige Ex-Polizeipräsidentin, die die 110 auf ihrem rechten Oberarm als Tattoo trägt. Meist bleibt es nicht bei einem Tattoo.
Das ist bei mir nicht anders, nächste Woche werde ich mir mein 12. stechen lassen. Tattoos bilden die Stationen meines Lebens ab. Manches geht mir halt stärker unter die Haut, das will ich dann auch sichtbar auf der Haut tragen wie die Justitia an meinem rechten Unterarm. Hätten Sie mich das auch gefragt, wenn ich ein Mann wäre?
Ja, hätte ich. Warum fragen Sie?
Weil ich immer wieder feststelle, dass Frauen in Führungspositionen erst nach ihren Kindern, ihrem Privatleben, den Fingernägeln, dem Lippenstift und nach ihrem Rock gefragt werden, während man bei Männern direkt in medias res geht. Aber zurück zu Justitia: Auch in meiner jetzigen Position sitze ich im Beirat der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf. Einmal im Monat halte ich eine Gefangenensprechstunde ab. Ich kann diesen Bereich nicht ganz ablegen, dazu bin viel zu sehr damit verwoben. Dennoch tut mir ein Wechsel wie dieser einfach nur gut, auch weil ich hier mit Verwaltungsprofis zusammenarbeiten und viel bewegen kann.
Wo möchten Sie bei der Hälfe der Amtszeit stehen, also bei Ihrem „Halbmarathon“?
Ich bin mit einer Mission angetreten. Wenn ich in Düsseldorf meine Fußspuren hinterlasse und die Bürgerinnen und Bürger merken: Es hat sich etwas verändert, es hat etwas gebracht. Dann habe ich mein Ziel erreicht.
Welches Verhältnis haben Sie zu Düsseldorf?
Ich bin wahnsinnig gerne Düsseldorferin. Düsseldorf hat die richtige Mischung aus Stadt und Dorf. Jeder kennt jeden und eine Stadt, die am Fluss liegt, hat immer etwas Besonderes. Ich bin in drei Minuten in der Altstadt. Ich gehe auch ganz bewusst am Wochenende in der Altstadt aus, weil es wichtig ist, die guten Altstadtwirte zu unterstützen. Ich unternehme viel mit meinen Kindern in der Stadt, die in diesem Jahr schon zigmal mit dem Riesenrad gefahren sind, das vor dem Büro steht. Ich gehe gerne ins Muggel und in den Eiskeller und empfinde es als ein großes Privileg, für die Stadt zu arbeiten, in der ich lebe, in der meine Kinder groß werden und an der mein Herz hängt.
Kurzvita
Britta Zur wurde geboren in Köln. Als sie drei Monate alt war, zog die Familie nach Wachtendonk am linken Niederrhein. Ihr Vater war Oberstaatsanwalt, ihre Mutter Fremdsprachenkorrespondentin. Britta Zur trat in die Fußstapfen ihres Vaters, studierte Jura an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Sie wurde Richterin am Land- und Amtsgericht Düsseldorf, dann Staatsanwältin mit den Deliktschwerpunkten Mord und Totschlag und Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Nach einem Vier-Augen-Gespräch mit NRW-Innenminister Herbert Reul wurde sie zur Polizeipräsidentin ernannt. Ende 2019 trat sie das Amt der Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen an, einer Behörde mit 1.700 Mitarbeitern. Mit 39 Jahren war sie die jüngste Polizeipräsidentin Deutschlands. Seit dem 1. August dieses Jahres arbeitet Britta Zur wieder in Düsseldorf und erneut ist sie die Jüngste – dieses Mal als Verwaltungsvorstandsmitglied der Landeshauptstadt Düsseldorf. In ihrer Funktion als Beigeordnete für Bürgerservices und Sport gehört sie zum Kreis der offiziellen Vertreterinnen und Vertreter des Oberbürgermeisters Dr. Stephan Keller. Britta Zur lebt mit ihren zwei Kindern in Oberkassel.
Fotos: Alexander Vejnovic
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