MAYSCHOSS – nichts ist mehr, wie es war…
Aus dem Ahrtal berichtet wieder DJournal-Autorin Barbara Schmitz
Seit dem 14. Juli ist nichts ist mehr, wie es war. Nirgendwo mehr – in Deutschland. Nicht für die Flutopfer und ihre Familien, nicht für die unzähligen Berufshelfer und auch nicht für die unglaublich vielen ehrenamtlichen Helfer, die noch immer aus dem gesamten Bundesgebiet in die Katastrophenregionen fahren, um den verzweifelten Flutopfern zur Seite zu stehen und sie zu unterstützen.
Sie fahren auch ins Ahrtal, auch nach Mayschoß, obwohl der Weg dahin beschwerlich ist. Die Hauptstraße ist unterspült und zerstört. Das Dorf war anfangs nur noch über einen schmalen Waldweg, der über die Berge führt, mit der Außenwelt verbunden. Die Bewohner waren isoliert und komplett auf sich allein gestellt.
Unverzüglich organisierte sich ein Krisenstab, der seit dem Unglück schon schier Unglaubliches geleistet hat. Er hat auch den Ausbau des Fußweges mit Turbo vorangetrieben, einen Bauunternehmer beauftragt und dem Land den benötigten Straßenbelag abgerungen. Seit dem letzten Wochenende gibt es wieder eine richtige Straße, wenn auch nur mit einem Fahrstreifen. Gegenverkehr ist tunlichst zu vermeiden. Raus und runter fahren kann man nur nach einem „Fahrplan“ und passieren darf nur, wer sich legitimieren kann. So hält Mayschoß auch Gaffer & Plünderer fern!
Der Krisenstab hat sich in der alten Schule eingerichtet, in der früher zwei Klassen in einem Raum unterrichtet wurden. Später traf sich dort gerne die Jugend zur Disco, Waffel-Wettessen und Engtanzfeten. Die Feuerwehr tagt im alten Kloster neben der Kirche, im Kindergarten.
Die erste Hilfe kam aus der Luft. Bundeswehr, Katastrophenhelfer und Berufsfeuerwehr hatten schon nach wenigen Tagen die Wasseraufbereitung, eine Krankenstation und die Lebensmittelversorgung für die isolierten Mayschosser aufgebaut. Auch sanitäre Anlagen und neben der Kirche ein Zelt mit Duschen. Überhaupt ist die Kirche jetzt wichtiger denn je, ist kommunikativer Mittelpunkt. Hierhin geht man zum Beten, aber auch zum Shoppen – auf den Bänken und dem Sarkophag der Gräfin von der Saffenburg, auf schwarzem Marmor, stehen Gummistiefel, Windeln, Kinderspielzeug, Arbeitshandschuhe und Dinge des alltäglichen Bedarfs. Es nimmt sich jeder was er braucht. In der Sakristei wird geimpft und hier ist auch die „Apotheke“. Das Mobilfunk-Netzt konnte nach einigen Tagen zum Glück wieder hergestellt werden, und es gibt Notstromaggregate, damit man sein Handy aufladen kann.
Das ehemals idyllische Weindorf, rund 900 Einwohner, im wildromantischen engen Tal der Ahr, sieht jetzt aus wie ein Kriegsgebiet. Überall Zerstörung, kaum zu ertragende Bilder, aufgerissene Straßen, Häuser und Autos. Man umrundet Krater, watet durch Matsch und Chaos. Auch Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, war hier und hat sich bei Bürgermeister Hubertus Kunz erkundigt, welche Unterstützung benötigt wird.
Viele Mayschosser, die direkt an der Ahr wohnten, wurden obdachlos, besitzen kein Zuhause mehr, haben all ihr Hab & Gut, Erinnerungsstücke, Papiere verloren. In der Flutnacht wurden sie im Schlaf überrascht, hatten Todesangst. Manche konnten den reißenden Wassermassen nur durch die Flucht aufs Dach entkommen. haben vielleicht ihren Lieblingsmenschen, Freunde oder Nachbarn verloren, auch ihren beruflichen Mittelpunkt. Das, was man sich über Jahrzehnte aufgebaut hat, was Geborgenheit schenkte, das Konstante und Vertraute im Leben, ist plötzlich weg, zerstört, weggerissen. Unwiederbringlich. Die Menschen können immer noch nicht fassen, was passiert ist. Wenn man hoch in die Hänge schaut, sieht man rundum intakte Weinberge, eine grüne Pracht. Welch trügerische Idylle. Es gab Tote. Und noch immer werden Menschen vermisst.
Die Menschen, deren Häuser noch stehen, möchten sie schnellstens vom zerstörten Hausrat befreien und wieder instandsetzen, wenn die Statik es erlaubt. Ansonsten kommen die Abrissbagger. So viele haben alles verloren. Der stinkend verwesende Hausmüll, die von öligem Wasser durchtränkten Möbel, Trümmer und Schutt, die aus den Häusern geräumt werden bedeuten nicht nur ein gesundheitliches Problem. Der Anblick dieser chaotischen Berge drückt auch immens auf die Psyche der Menschen, die durch das Erlebte teils traumatisiert sind –- vor allem die Kinder.
Wie soll man das verstehen, aushalten… ? Was tröstet die Flutopfer, trägt sie? Der Zusammenhalt im Dorf! Das füreinander da sein und sich miteinander verbunden fühlen, aufeinander vertrauen können. Jeder hilft jedem, die Dorfgemeinschaft ist stärker denn je. Ihr Mayschoß aufgeben wollen die Bewohner auf keinen Fall. Jeder ist mit seiner Heimat tief verbunden und bringt jetzt sein Talent und sein Netzwerk mit ein für den Neuaufbau. Und hilft denen, die alles verloren haben, macht ihnen irgendwie Mut, um durchzuhalten. Gemeinsam schafft man viel!
Häuser, die abgerissen werden müssen, markiert man mit rotem Kreuz. Davor leuchtet ein rotes Victory-Zeichen auf einem Kanaldeckel – das ist Mayschoß!
Der Mayschosser Krisenstab arbeitet Hand in Hand mit den Katastrophenhelfern vom THW, den Berufsfeuerwehren, der Bundeswehr, dem DRK und vielen weiteren Organisationen, auch mit dem Kampfmittelräumdienst. Es geht sichtlich voran. Auch die überwältigende Hilfsbereitschaft der vielen privaten Helfer ist grandios! Sie packen überall mit an, um das Chaos der Verwüstung zu beseitigen. Diese große Hilfsbereitschaft überwältigt alle im Dorf. Auch Jugendliche kommen, um zu helfen, zuletzt sogar eine Schulklasse. Das hat den Bürgermeister von Mayschoß, Hubertus Kunz, besonders gerührt.
Beim Arbeiten bekommen die Helfer auch die Verzweiflungstränen der Flutopfer mit. Viele Betroffene möchten über das Unbegreifliche sprechen. Während man zusammen Schlamm schüppt und das Haus ausräumt, kommt man automatisch ins Gespräch. Die Helfer hören zu, auch Notfall-Nachsorger, die mittlerweile vor Ort sind. Für den anderen da zu sein in seiner Verzweiflung, Mitgefühl zeigen, Augenkontakt, eine Geste und eine Umarmung, all das hilft und schafft Nähe, die trägt. Dieser menschliche Austausch ist unglaublich wichtig, gibt der Seele Nahrung und schenkt den Flutopfern Hoffnung. Vielleicht kann man mit jemand wildfremden sogar besser über all das Schreckliche sprechen…
Birgit zum Beispiel kam am letzten Wochenende mit einer Freundin zum Helfen. Diese zwei Tage waren unglaublich intensiv, berichtet sie. So viele verstörende Eindrücke, die sie seitdem begleiten. Sie hatte sehr traurige, sehr berührende Momente im Austausch mit den Flutopfern. Dann hat sie eine Runde mitgeweint und versucht zu trösten. Es gibt auch Umarmungen aus Dankbarkeit. Birgit wird am Wochenende wieder helfen.
„Wir fahren immer zum Weinfest an die Ahr und feiern mit den Mayschossern – ist doch klar, dass wir jetzt auch zum Aufräumen hinfahren!“ sagt Klaus, der mit seinen Freunden auch die nächsten Wochenenden und viele weitere beim Wiederaufbau von Mayschoß helfen will und sich von Düsseldorf aus auf den Weg macht. Ohne diese unglaubliche große Anzahl helfender Hände wäre das Leerräumen der gefluteten Häuser, das Entsorgen und Abtragen der Trümmerberge längst noch nicht so weit fortgeschritten. Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend! Wildfremde Menschen finden sich über Social Media, sammeln Hilfsgüter für die Flutopfer und organisieren Hilfskonvois, auch mit schwerem Gerät.
Die interne Kommunikation erfolgt über WhatsApp. Die weiteste Anreise hatte wohl David aus Luxemburg, der auch schnell die typische Helfer-Tanning vorweist, schlammverschmiert von oben bis unten. Er hat dabei geholfen eine der wenigen Brücken, die im Ahrtal von der Flut nicht weggerissen wurde, freizuräumen.
Dominic, ein früherer Soldat, kommt aus Kaiserslautern und hat im Vorfeld ganze Wagenladungen mit Sachspenden für die Mayschosser gesammelt. Auch er hat schweres Gerät im Tross. Er will auch noch ein Zeltlager aufbauen, um Flutopfer und Helfer zu versorgen. „Nee, bringt bloß nix Süßes mit, davon ist noch reichlich vorhanden“, schreibt Jasmin, die dreihundert Meter Bach zu zweit mit Kettensäge und Seilen von Stämmen und Geröll geräumt hat, damit sich bei neuem Regen kein Wasser staut.
Jasmin, David, Rouven und Dominic haben sich mit weiteren 50 Frauen und Männern zu einer Gruppe zusammengefunden. Sie kommen wie alle anderen in Absprache mit dem Bürgermeister und dem Krisenstab über die Berge ins Tal, bestens ausgerüstet mit Gummistiefeln, Schaufeln und Besen. Und mit Schutzbrillen und Mundschutz. Ja, auch wegen Corona, aber eigentlich mehr gegen den kontaminierten Staub der permanent aufgewirbelt wird und Asbest, Mineralwolle, Chemikalien und Keime aller Art enthält. „Ohne FFP3 Maske und dicht schließender Schutzbrille sollte man besser nicht mehr aktiv sein“ setzt Rouven in die Whatsapp Gruppe. Beides will man jetzt besorgen – für die Flutopfer und die Helfer.
„Ich bringe mehrere Paletten Getränke mit. Nicht nur Wasser, das hängt den Leuten vermutlich schon zum Hals raus.“ meint Sara, deren Hilfsaufruf auf facebook sich verselbständigt hat, und die nun ebenfalls mit über 55 Helfern vernetzt ist und anrückt.
Julia aus Hönningen ist von den Fluten verschont geblieben und will Bagger und Traktoren schicken, sie erkundigt sich nach dem neuen Weg.
Generell geschieht in Mayschoß nichts ohne Abstimmung mit dem Krisenstab. Die Fluthelfer sind untereinander vernetzt und erkundigen sich vorher, welche Hilfe benötigt wird. Dank dieser vielen Helfer, die auch oft per Shuttlebus kommen, lichten sich die Müllberge langsam. Die Brücke, die gegenüber dem zerstörten Winzerverein über die Ahr zum ehemaligen Bahnhof führt, ist freigeräumt und wieder passierbar. Sie sieht fast wieder aus wie früher – allerdings komplett ohne die seitlichen Gitter, die vielleicht bei Sinzig angeschwemmt wurden.
„Wir werden Mayschoß und das Ahrtal wieder aufbauen, schöner als zuvor“ sagt Hubertus Kunz, der seit über 20 Jahren im Amt ist und eigentlich Ende September abdanken wollte.
Dat jibbt jetzt nix Hubertus – Mayschoß braucht Dich! Braucht uns alle…
Spenden sind herzlich willkommen – für den Wiederaufbau von Mayschoß!
„Nothilfe Mayschoß“
IBAN: DE29 3916 2980 1017 1970 25
BIC: GENODED1WUR
Auf Wunsch stellt die Bürgerstiftung Herzogenrath eine Spendenbescheinigung aus: Martina.Mertens@Herzogenrath.de
© Fotos: Freunde & Helfer: Myriam, David, Dominic, Klaus und die Winzergenossenschaft Mayschoß
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