„Meistens ist es nicht nur ein Faktor,sondern Verkettungen von Gründen.”
Alena Hansen von „Housing First” im Gespräch mit Thomas Majevszki
Thomas Majevszki: Hallo Alena. Wir hatten uns im April bei der von Josef Klüh ins Leben gerufenen Spendeninitiative „Wir für Düsseldorf” kennengelernt, bei dem auch Ihr für Eure Arbeit bedacht worden seid. „Housing First“ als Basis einer Re-Integration von Obdachlosen zu sehen, erscheint logisch. Bitte erzähl uns von Eurer Arbeit.Alena Hansen: Ich bin, zusätzlich zur Projektleitung, seit Oktober 2021 als erste von inzwischen 3 SozialarbeiterInnen dabei, perspektivisch gesehen möchten wir natürlich ein multiprofessionelles Team haben, so wie es auch schon bei anderen Housing First Anbietern ist. Ich kann von unserem Alltag berichten, wie wir KlientInnen akquirieren und wie wir überhaupt an Wohnraum kommen. Gerne, aber erst mal zum Prinzip. Ihr habt Euch zum Ziel gesetzt, Obdachlose zuerst mit Wohnraum zu versorgen und danach weiter zu betreuen, richtig?Genau, für uns ist ein eigener Wohnraum, also eine eigene mietvertraglich abgesicherte Wohnung mit allen Rechten und Pflichten die Basis, so wie es jeder andere Mensch auch hat. Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen. Danach schauen wir darauf, was es noch zu tun gibt, z. B. eine Entgiftung oder eine Langzeittherapie oder eine Schuldenregulierung.
Wir sind jetzt bei über 50 Wohnungen, die wir in den drei Jahren belegt haben. Wir arbeiten auch eng mit fifty-fifty zusammen, welche in diesem Zeitraum auch schon über 30 Wohnungen an Obdachlose vermitteln konnten.
„Housing-First“ Düsseldorf ist tatsächlich mit fifty-fifty entstanden. Also fifty-fifty war hier der erste Träger, der diesen „Housing First“-Ansatz umgesetzt hat. Wohnraum wurde zu dieser Zeit und auch jetzt noch u. a. durch den Kunstverkauf in der fifty-fifty Galerie finanziert. Inzwischen haben wir ungefähr ein Drittel privater InvestorInnen, die Wohnraum, welchen wir dann mit Obdachlosen belegen, nur für uns kaufen.
In unserem Vorstand ist der ehemalige CEO von Thalia, Michael Busch. Er trägt unseren Ansatz an die Öffentlichkeit und kann Menschen davon überzeugen, dass unser Ansatz funktioniert. Weiterhin wird, wie gesagt, Kunst verkauft. Aus dem Erlös finanzieren wir dann Wohnraum.
Wir haben eine recht lange Warteliste. Darauf finden sich KlientInnen, die schon bei fifty-fifty sind. Dazu sind wir auch einmal in der Woche draußen auf der Straße unterwegs und machen Straßensozialarbeit und lernen so dann eben auch Menschen kennen. In diesem Moment sind wir dann quasi bei ihnen im Wohnzimmer und müssen sie oftmals erst überzeugen. Ich bin dort schon oft auf Ablehnung gestoßen, wenn ich eine Wohnung angeboten habe, weil die Menschen Angst davor haben, wieder zu scheitern. Nach ein paar Wochen finden sie dann vielleicht tatsächlich den Weg ins Büro. Man beantragt dann Sozialhilfe, Krankenkasse usw.
Oftmals tatsächlich Jobverlust und dann der Verlust der Wohnung, weil man dann Hemmungen hatte, Sozialhilfe zu beantragen. Meistens sind es aber viele biographische Verletzungen in der gesamten Lebenszeit, Kindheit oder Jugend, die die primäre Sozialisation betroffen haben. Im späteren Verlauf gescheiterte Beziehungen, Tod von nahen Angehörigen – meistens ist es nicht nur ein Faktor, sondern Verkettungen von Gründen.
Ich glaube schon, dass es, wenn man gerade seinen Job verloren hat, aus welchen Gründen auch immer, ein Ohnmachtsgefühl ist und man da nicht einfach herauskommt, wie auch aus der Trauerphase nach dem Tod einer nahestehenden Person. Ich habe schon den Eindruck, die Menschen wollen z. B. diese Jobcenterbescheide verstehen oder auch die Anträge, aber das ist einfach so viel und zu überwältigend und zu überfordernd für sie.
Ich glaube, das ist extrem schwierig, alleine schon weil da immer noch dieses Stigma auf den Menschen liegt. Wenn sich jemand, der auf der Straße lebt, auf eine Wohnung bewirbt, dann steht da eine Postadresse von zum Beispiel fifty-fifty. Somit weiß jeder Vermieter, dass dieser Mensch aktuell gar keine Wohnung hat.
Auch wird die Situation der Obdachlosen immer schlimmer, sie werden getreten, verletzt, getötet, teilweise sogar schon von Jugendlichen. Auch Klienten von uns haben natürlich genau solche Erfahrungen gemacht. Sie schlafen nur mit einem Auge, damit sie immer noch irgendwie was sehen und hören können. Morgens kommen sie dann natürlich nicht richtig zur Ruhe und sind sehr gehetzt.
Die Zahlen der Nachzählung aus dem Oktober letzten Jahres zeigen tatsächlich im Vergleich zu vor zwei Jahren noch mal einen Anstieg. Es hat noch mal sehr, sehr stark zugenommen.
Zum Teil liegt es an steigenden Lebenshaltungskosten und Mieten. Wenn man sich hier umschaut, kostet eine Wohnung teilweise schon 16 oder 17 € pro Quadratmeter. Wer kann das denn jetzt noch zahlen? Das Problem hat man ja inzwischen sogar schon auf dem Land.
Also wenn jemand extrem Drogen konsumiert, lebt er eigentlich nur noch dafür. Und das ist ja auch etwas, was man zum Beispiel auf dem Worringer Platz sehr gut beobachten kann. Der Konsum findet inzwischen wirklich auf den Straßen statt. Und das ist ein Problem, welches momentan sämtliche Städte haben. Kiel, Berlin, Hamburg, Hannover, in Frankfurt ja auch schon lange. Es ist schwer zu sagen, welches Problem kausal für das andere verantwortlich ist, auf jeden Fall hängen beide zusammen.
Also unseren Vorstand, Michael Busch, habe ich ja schon erwähnt. Und dann gibt es die enge Anbindung an fifty-fifty, von deren Know-Know wir sehr stark profitieren. Unser Schirmherr ist der Oberbürgermeister und unsere Stellen, also die der Sozialarbeit hier, sind städtisch finanziert. Das ist schon mal sehr, sehr gut.
Tatsächlich ist es so, dass schon einige Politiker uns in unseren Räumlichkeiten besuchten, um zu erfahren, wie „Housing First“ überhaupt funktioniert. Also „was braucht es“? „Wie kommt man an Wohnraum?“, „Wie klappt das wirklich?“, „Ist es wirklich eine Wohnstabilität von 90%?“ Es ist schon ein sehr großes Interesse da. Aber wie die Umsetzung dann vom Bund usw. wirklich wirklich aussehen wird, da bin ich sehr gespannt. Wir haben aber allerdings auch den Bundesverband Housing First, in welchem meine ehemalige Kollegin Julia von Lindern mit im Vorstand sitzt. Sie führen genau solche Gespräche auch auf Bundesebene. Und das ist sehr, sehr gut.
Gibt es aktuell Programme, gibt es Töpfe, gibt es Budgets?
Also es gibt tatsächlich sogar EU-Mittel, durch die „Housing First“ Träger finanziert werden. Es passiert auf politischer Ebene schon etwas.
Gibt es aktuell einen Topf, auf den Ihr vom Bund oder vom Land zugreifen könnt?
Aktuell nicht. Unsere drei Stellen und die Büroräumlichkeiten werden von der Stadt finanziert.
Zusätzliche Mittel, um z. B. Wohnungen zu kaufen, wären dann privat?
Genau, das sind dann die Spenden und der Erlös aus dem Kunstverkauf in der Galerie von fifty-fifty.
Also private Unterstützung, private Mittel, keine staatlichen, keine Landesmittel, keine städtischen Mittel zum Kauf von Wohnungen?!
Genau!
Was kann ein Düsseldorfer machen, um Eure Arbeit zu unterstützen?
Ich fände es schön, wenn man den Menschen auf Augenhöhe begegnete. Respektvoll. Ansonsten ist es natürlich schön, Spendengelder zu bekommen.
Liebe Alena, vielen Dank für das informative Gespräch.
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Housing First Düsseldorf e. V.
Titelfoto: Thomas Majevszki | Inhalt Fotos: Thomas Majevszki