„Mein Motto fürs Studium lautet – Macht Sinn“
Interview mit Prof. Wilfried Korfmacher, Professor an der Hochschule Düsseldorf
von Christian Theisen
Sie sind jetzt seit 25 Jahren als Professor für Design in Düsseldorf aktiv. Herzlichen Glückwunsch! Auf was sind Sie dabei am meisten stolz?
Dankeschön. Das ist eigentlich eine lange Weile. Aber langweilig war es nie. Und um die Frage kurz zu beantworten: Man lernt nie aus. Will sagen, der beste Dozent ist ein ewiger Student. Ich erfreue mich nach wie vor großer Neugier. Und dem Spaß an der Sache zu folgen, die Lust am Lernen zu vermitteln: Diesen Lehrauftrag habe ich gleich nach dem Examen erhalten. Und erfülle ihn immer noch gern. Zum Studieren gehört Inspirieren.
Aber Sie haben ja nicht nur Design studiert? Warum?
Stimmt. Mein Psychologiestudium absolvierte ich an der Heinrich-Heine-Universität, die damals noch nicht so hieß. Und das konnte ich mir nur leisten, weil der Campus der FHD in der Friedrichstadt 1980 aus allen Nähten platzte und die Erstsemester in die Uni ausquartiert wurden. Unsere Seminarräume befanden sich gleich neben den Hörsälen für Psychologie. Die kurzen Wege erlaubten mir, gewissermaßen elegant zu gleiten zwischen beiden Welten. Zumal sich mein Elternhaus gleich nebenan befand. Wo nach dem Krieg meine Alma mater entstand, hatten meine Vorfahren aus Flehe früher noch ihre Felder. Lateinisch: Campus. Die Feldforschung war mir also gewissermaßen in die Wiege gelegt.
Schicksal also? Oder Zufall? Woran glauben Sie?
Nennen wir es Düsseldorf. Hier kommt halt vieles zusammen. Das Zauberwort heißt für mich Spielfreude. Die Chancen dafür stehen gut in unserer überschaubaren Metropole. Immer noch übrigens! Man muss sie nur beim Schopf packen. Ich studierte also Design. Und nahm mir die Freiheit der Gestaltung für meine Art Studium generale. Psychologie war etwas für den Kopf, für den ästhetischen Überbau, vor allem aber auch für Herz und Seele, für das Zwischenmenschliche. Nicht zuletzt lernte ich meine Frau dabei kennen. Wer weiß, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ein Virus damals dazwischengekommen wäre. Jedenfalls basiert auch Marketingkommunikation auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und zusätzlich konnte ich mir in meiner Heimatstadt noch die große, weite Welt der Werbung erschließen.
Sie schmunzeln, ist das ironisch gemeint?
Ich zitiere nur die Zigarettenreklame aus den Wirtschaftswunderjahren. Zum Glück erlernte ich, parallel zur Theorie, in der Praxis das Handwerk des Textens und die Kunst der Kampagne in einer der besten Agenturen. Alles in allem: Für meinen professoralen und professionellen Werdegang hatten die vielen Verbindungen, die man hier knüpfen kann, schon viele Vorteile. Fast so wie im Onlinestudium heute, wo der nächste Kurs nur ein Fenster weiter läuft. Und wo man sich von einem Fachbereich in den anderen und sogar sofort in die nächste Uni schalten kann. Von Düssel- ins globale Dorf sozusagen. Scientific Speeddating. Das gab ́s zu meiner Studienzeit noch nicht.
Sie sehen also Vorteile für die Lehre, trotz Lockdown?
Großes Ja. Aber nicht ohne Nein. Zwar reimt sich Akademie auf Pandemie. Aber das ist ein schlechter Scherz. Jetzt, wo wir nicht anders konnten, als uns physisch distant auszutauschen, müssen wir halt das Beste machen aus der Misere. Immerhin sind viele digitale Medien schon da, die uns schnell vernetzen. So habe ich die Ära Corona in einem Seminar einfach mal genutzt, um einige alte Bekannte fern der Heimat zu reaktivieren. Und meine Studierenden konnten direkt ein paar Koryphäen für Kommunikationsdesign made in Düsseldorf kennenlernen. Wussten Sie eigentlich, dass unser Fachbereich eine echte Kaderschmiede für die Kreativwirtschaft ist?
Ihr Nachwuchs ist gefragt auf dem Markt?
Seit fast 140 Jahren übrigens. Nur ein aktuelles Beispiel: Der Art Directors Club hat letztes Jahr zum ersten Mal eine Präsidentin gewählt. Sie hat ihr Diplom bei uns gemacht. Aber aus Düsseldorf kommen auch die meisten Professorinnen und Professoren, die unsere Disziplin in Forschung und Lehre vorantreiben. Ich habe mal nachgezählt und komme auf weit über zwanzig Ehemalige, die an alle möglichen Hochschulen berufen wurden. Einige von ihnen konnte ich meinen jüngsten Studierenden live im Video-Chat präsentieren. Und auch wenn wir uns nur am Bildschirm trafen: Das Wiedersehen war wunderbar – und für den Nachwuchs ein Highlight in der Ära Corona.
Sie hatten doch neulich noch eine Erfolgsmeldung? Oder waren das Fake News?
Witzig! Aber wahr! Der Verband der Zeitungs- und Multimediaverleger schreibt jedes Jahr einen wichtigen Kreativwettbewerb aus; und zwar nicht nur für Studierende, sondern auch für die Junioren in den Agenturen. Das letzte Thema war hochrelevant: Fake News. Hier konnten sich zwei meiner Talente durchsetzen. Ein Student hat sogar Gold gewonnen, er ist jetzt schon ein toller Texter. Seine Headline: „Die Alternative zu alternativen Fakten sind Fakten.“ Touché, Trump!
Eine Krone trotz Corona! Aber Sie runzeln die Stirn …
So schön das ist, es gibt dennoch nichts zu beschönigen. Es geht schließlich nicht zuletzt um Persönlichkeitsbildung. Dazu gehören vor allen Dingen die Geselligkeit, der persönliche Austausch und auch das Leben außerhalb der Hochschule. Ohne die Altstadt ist das Studium in Düsseldorf gar nicht denkbar. Dort fand tatsächlich etwas Neuartiges statt, wozu die Pandemie den Ausschlag gab. Ich bin ja seit über zwanzig Jahren im Einsatz gegen die Obdachlosigkeit.
So forderte das Engagement für fiftyfifty gleich zu Beginn der Covid-Krise unseren ganzen Einsatz. Eigentlich hatten wir vor, ein Social Design Seminar der Feier des 25jährigen Jubiläums zu widmen. Doch dann kam bekanntlich alles anders. „Stay home“ hieß plötzlich die Parole. In meiner Lehrveranstaltung stellte ich die Gegenfrage: Wie zuhause bleiben ohne Obdach? Daraus entwickelten wir dann ein Konzept mit dem Claim: #NeverStayHomeLess. Für diesen Appell plakatierten wir Fotos von fiftyfifty Verkäuferinnen und Verkäufern zusammen mit den Porträts prominenter Paten. Ihr „Coming out“ hatte die Kampagne an der Litfaßsäule am Ende der Ratinger Straße.
Hier fand doch dieses Jahr auch eine Aktion für fiftyfifty statt?
Zwei sogar! Nachdem wir über hundert Freunde und Förderer fotografiert hatten, stellten wir die Kampagne in die sozialen Medien, um noch mehr Fans und Follower anzusprechen. Doch dann kam Corona wieder mit einer Welle. Und wir halfen der fiftyfifty Galerie spontan bei der Eröffnung der Beuys-Ausstellung im Jubiläumsjahr. So konnten wir den Start der geschlossenen Veranstaltung ersatzweise im öffentlichen Raum inszenieren. Und wieder trafen wir uns mit Promis und Presse – draußen und in gebührendem Abstand wohlgemerkt – rund um die Litfaßsäule. Von hier aus übertrugen wir die Vernissage nicht nur digital ins Internet. Unser „Happy Beuys Day“ wurde sogar im Fernsehen ausgestrahlt.
Und was war das Thema der zweiten Plakat-Performance?
Am Ende des Semesters plakatierten wir die Litfaßsäule mit Einladungen zu einer Schau mit gemalten Porträts von fiftyfifty Verkäuferinnen und Verkäufern, die zugunsten der Obdachlosenhilfe verkauft werden sollen. Immer noch übrigens! Für die geplante Auktion hat uns Corona bis dato leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber ich teile das hier gern mit: Interessierte Sammler sind herzlich willkommen!
Apropos Sammler: Sie entwerfen doch auch Briefmarken? Ist das nicht schwierig für einen Plakatgestalter?
Das Gegenteil ist der Fall. Klein aber oho! Den Studierenden empfehle ich tatsächlich immer den Test: Wenn ein Plakat auf das Format einer Briefmarke passt, ist es gut gelungen. Und umgekehrt gilt das nicht minder. Meine Sonderpostwertzeichen für die Sportstiftung oder für Willy Brandts Kniefall von Warschau konnten sich darum durchsetzen, weil sie die Botschaft prägnant auf den Punkt bringen. Botschaften nebenbei, die durchaus plakattauglich wären. Aber immerhin erreicht man mit diesen kleinsten Drucksachen noch die größten Auflagen. Und solange sie auf handgeschriebenen Liebesbriefen kleben, bereichern sie wenigstens die letzten Medien, die man wirklich noch sozial nennen kann.
Gutes Stichwort. Sie lehren „Social Campaign Design“. Was verstehen Sie darunter?
Das ist die soziale Seite der Nachhaltigkeit. Mein Motto fürs Studium lautet: Macht Sinn! So unterstützen wir mit unseren guten Ideen oftmals einen guten Zweck. Wir produzieren da nicht nur für die Schublade, sondern schaffen Realitäten. Und indem sie anderen helfen, helfen die Studierenden auch sich selbst. Was früher mal die Mappe war, ist heute das Portfolio. Bessere Werte steigern das persönliche Investment. Die sogenannte intrinsische Motivation schafft mehr Effizienz und langfristige Effekte in der Lehre. Das ist es, was ich eingangs meinte. Wer mit Begeisterung bei der Sache ist, lernt halt mehr, als wenn sich alles nur um l’art pour l’art dreht. Last but not least: Kommunikation bedeutet ursprünglich nichts anderes als gemeinsame Sache machen.
Sie haben aber auch der Hochschule auf die Sprünge geholfen. Seit einigen Jahren heißt sie HSD.
Mit der Namensgebung habe ich selbst nichts zu tun gehabt. Obwohl das eigentlich meine Domäne ist. Denn hier kommen visuelle und verbale Kommunikation ganz konzentriert zusammen. Eine „Lange Nacht“ verspricht uns inzwischen jedes Büdchen an der nächsten Ecke. Mit „Sciencity Düsseldorf“ machten wir daraus 1.001 Nacht, eine märchenhafte Marke. Mehr Forschung, Lehre und Entwicklung auf so dichtem Raum findet man woanders kaum. Dafür ist Düsseldorf viel zu wenig bekannt. Und mit der Kampagne konterkarierten wir die klassischen Klischees.
Die HSD hat ja an Ausstrahlung gewonnen, seit sie in Derendorf residiert.
Zehn Jahre hat die Bauzeit gedauert, bis der neue Campus stand und alle Fachbereiche zum ersten Mal nach mittlerweile 50 Jahren hier versammelt waren. Währenddessen war ich mit einem Seminar ständig vor Ort. Unser Leitmotiv: „Derendorf wird unser Dorf“. So haben wir den Prozess der Veränderung permanent kommuniziert, innerhalb der FHD und im Quartier. Das war ein regelrechtes Langzeitexperiment. Unser Projekt hatte einen eigenen Namen: Neubauhaus. Wie bei einer Dombauhütte waren wir hier mit einer bunten Vielfalt all unserer angewandten Künste vertreten. Und wir gaben immer wieder neue Mitteilungen heraus zum state of the art. Am Ende brachten wir dann eine große Kampagne im neuen Erscheinungsbild auf die Straßen der Stadt. Damit stellte sich die frischgebackene HSD zum ersten Mal in der Öffentlichkeit vor.
Sie hatten anfangs den digitalen Schub erwähnt. Letzte Frage: Wie wird sich das auswirken auf Ihre Hochschule?
Da habe ich ein Erweckungserlebnis. Mein persönliches Fazit aus unserem kommunikativen Feldversuch Neubauhaus lautete: Die Hochschule der Zukunft ist ein Abenteuerspielplatz. In gewisser Weise wird das Projekt nun durch die digitale Transformation verwandelt und sogar beschleunigt. Zumal die HSD mit dem Zentrum für Digitalisierung und Digitalität Neuland betritt. Das habe ich letztes Jahr schon mal getan. Studieren heißt Probieren. Der Campus stand ja lange leer. Fast leer. Immerhin konnte ich den Audimax für eine richtig große Vorlesung inklusive Streaming nutzen. Auch wenn nur 20 Gäste live dabei sein durften. Aber sehen Sie selbst: Ich habe die Präsentation immer noch auf dem Schirm. Vielleicht wollen Sie ein paar Bilder drucken aus dem vergangenen Vierteljahrhundert. Oder Ihre Leser machen sich mal schlau im Internet. Herzlich willkommen: wilfriedkorfmacher.com.
Kurzvita
Prof. Wilfried Korfmacher hat seine Studien an der Fachhochschule Düsseldorf mit einem Diplom in Design und an der Universität Düsseldorf mit einem Diplom in Psychologie abgeschlossen. Er absolvierte eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann und Handelsassistent, war Creative Director in internationalen Werbeagenturen und betreibt Zeichenverkehr. In Forschung und Lehre beschäftigt er sich mit visueller und verbaler Kommunikation, Kampagnengestaltung und Social Design. Über den Fachbereich Design hinaus engagiert er sich für die Vermittlung nachhaltiger Themen sowie für die interne und externe Kommunikation der Hochschule Düsseldorf.
© Portraitfoto: Michael Lübke
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