„Vom Kochen kommt Erkenntnis"
Carsten Reinhold Schulz im Gespräch mit Zhenkun Wang und Mingyue „Lulu“ Gao über europäisch-asiatische Gastronomie und den guten Geschmack
Es ist 14.30 Uhr. Eine Mitarbeiterin des Hashi Petite Chinoiserie in Düsseldorf-Flingern hat sich eben angekündigt. Der Koch und Besitzer des Restaurants heißt Zhenkun Wang und er hat mit seiner Partnerin, der Sommelière Mingyue Gao, mit dem Essen gewartet. Ich bin ohnehin schon da wegen des Interviews.
Das Ritual des gemeinsamen Mitarbeiter-Essens findet in der familiären Atmosphäre im Durchgang zur Küche statt. Vor 14 Jahren war das für mich schon einmal mitzuerleben. Das war kurz nach der Eröffnung des Hashi auf der Düsseldorfer Ackerstrasse und lange vor den superben Bewertungen durch den Gault Millaut, das Magazin Falstaff, den Feinschmecker und wie die anderen entscheidenden Journale der kulinarischen Welt noch so heißen.
Weil Zhenkun Wang auch die italienische Küche schätzt, kommen seine unfassbar leckere Carbonara auf den Tisch, ein Glas Weisswein, ein Wasser. So sollte jedes gute Gespräch beginnen.
Unmittelbar möchte ich der Frage nachgehen, wie es möglich ist, dass man irgendwie glaubt, angekommen zu sein, kaum setzt man den Fuß durch Eure gläserne Restaurant-Tür? Warum taucht man, als eintretender Gast, an diesem Ort spürbar ein, in die Vorstellung eines besonderen kulinarischen Ereignisses?
Zhenkun Wang: Als Gast spürt man hoffentlich das, was auch für mein Leben und meine Art zu kochen entscheidend ist. Das gilt ebenso für den Service und alle Bedingungen unseres Restaurants. Natürlich haben wir uns in 14 Jahren auch professionalisiert und wir entwickeln uns weiter jeden Tag.
Es ist aber wichtig zu beschreiben, dass alle diese Begriffe nur über unsere unbedingte Leidenschaft zum Essen und zum Wein zu verstehen sind. Das ist ein qualitativer Weg, vielleicht sogar eine Lebensidee, die unsere Offenheit, unsere Lust am Wissen und die Freude an der vielfältigen kulinarischen Erfahrung abbildet. Das geben wir weiter, das transportiert jedes unserer Gerichte, jede Kombination mit den über 200 Weinen, die unser Weinkeller mittlerweile umfasst.
Mingyue Gao: Ein wichtiger Schritt für das Hashi und den Anspruch, den wir seit langer Zeit schon zwischen Kochen und Wein herstellen, war die Weiterentwicklung unseres besonderen Weinkellers.
Und auch hier steht die Erfahrung und die Liebe zur Sache unbedingt im Fokus. Als Sommelière will ich verstehen. Also bin ich zu den Winzern hingegangen. Ich habe gelernt, wie schwer die Arbeit des Winzers ist und wie streng die Auswahlkriterien sind. Ich habe selbst die Triebe im Weinstock kniend mit der Hand gesucht und war schon nach einem einzigen Arbeitstag im Weinberg fix und fertig. Dabei waren in der Pfalz die Hänge noch nicht einmal so steil. Und erst die Lese …
Und man darf vermuten, dann ist die Arbeit noch lange nicht beendet?
Mingyue Gao: Genau, erst dann geht diese unglaublich sensible und erfahrungsgeprägte Arbeit des Kellermeisters los. Nach dieser Einsicht und Erfahrung bekommt man wirklich Respekt und einen ersten Standpunkt zum Wein, der ist schon etwas weg von der Romantik der Lese und weit weg vom Zufall. So habe ich die wichtigen Zusammenhänge hergestellt zwischen dem kaum zu überschätzenden Winzerhandwerk und einer qualitativen Restaurant-Idee. Das ergibt dann unsere, sich immer weiter entwickelnde kulinarische Perspektive. Und die Gäste spüren, ich will diese Idee für sie gerne jeden Tag mit Leben füllen.
Wang, mir ist schon zu Beginn Deiner Arbeit mit dem Hashi Deine große Bewusstheit zu den unterschiedlichsten Kulturen des Kochens aufgefallen.
Zhenkun Wang: Wenn man kocht, sucht man etwas. Nachdem ich 1992 in Deutschland angekommen bin, hat mir mein damaliger Meister (Achim Winterscheid, Anm. des Autors) eine Publikation gezeigt. Sie hieß „Gourmet“. Er hat sie wohl gesammelt und ich habe sie zu seinen Ehren noch immer im Regal stehen. Bei der Lektüre habe ich mit wachsender Freude begriffen, dass europäische Küche nicht nur Pommes und Tiefkühlspinat ist. Ich habe die Geschmäcker, Methoden und Ordnungssysteme der jeweiligen regionalen- und Länder-Küchen, wenn man so will seit Escoffier, studieren können und diese Idee unglaublicher europäischer Vielfalt des Essens ist für mich bis heute Teil meines Selbstverständnisses als Koch. Das ist nochmal gänzlich anders als die chinesische Küche, die sich von vier Strömungen in unendlich viele Teile fortsetzt. Daher komme ich nicht auf die Idee, meine Küche begrifflich zu begrenzen.
Ihr habt im Hashi gründlich aufgeräumt mit dem Klischee, dass asiatisch inspirierte Küche und Wein schlecht harmonieren können. Euer Weinkeller wird weltweit wahrgenommen, wie Deine Einladungen zu den Top100 Sommelièrs deutlich machen.
Mingyue Gao: Naja, dass sich das ausschließt, waren ja einfach nur Vorurteile. Französische und asiatische Anteile des Kochens in Verbindung bringen zu können, birgt bei der Weinkarte eher Vorteile. Denn dann kann man das „sowohl-als-auch“ nutzen. Manche Weine brauchen ein bisschen Crème, das ist in der französischen Küche enthalten, asiatisch orientierte Anteile der Gerichte haben eine größere Würzigkeit, die sich hervorragend in den Säureanteil des Weins einbinden kann. Das führt besonders bei den biodynamisch ausgebauten Weinen und bei den nach Demeter-Standard gemachten Weinen zu einer unglaublichen Vielseitigkeit. Da gehen geschmacklich ganz viele Türen auf.
Wie hat man das Hashi mit seiner kulinarischen Idee in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Zhenkun Wang: Mir ist vor längerer Zeit von einem bekannten Restaurantkritiker geraten worden, wir sollten uns endlich als Fusion-Küche definieren, damit die Sichtbarkeit unseres Restaurants noch weiter erhöht wird. Aber es widerstrebt mir. Ich möchte die Freiheit behalten, spontan Dinge zu kochen, im Menü auf der Karte, à la Minute, als Chefs Choice, in einer Art und Weise, die vor allem Lebensfreude weitergibt und keine mich beschneidende Einordnung beinhaltet. Ich bin z.B. immer wieder sehr begeistert von der spanischen Küche, mit ihren vielen wechselnden Kleinigkeiten, den Tapas, vor allem deshalb, weil sie viel mit der spanischen Art des Lebens und der dortigen ständigen Freude daran zu tun hat. Diese grundsätzliche Idee suche ich in meiner Art zu kochen ebenfalls.
Das klingt für mich nach einer offenen Form, in die kulturelle Vielfalt schon im Denken eingebaut ist.
Zhenkun Wang: Unser Konzept hat es so eigentlich noch nicht gegeben. Es gibt einfach kein „Du bist italienisch“, es gibt kein „Du bist als Sternekoch unterwegs“ oder „Du bist ein Vertreter der Fusion-Küche“. Mit unserer Idee ist es gleichzeitig einfacher und schwieriger: Es gibt einfach jede Woche ein anderes besonderes Gericht!
Ich denke, das, was sich hier im Gespräch so simpel anhört, kann nur aus einer Summe von besonderen Erlebnissen entstehen.
Zhenkun Wang: Nach den Erfahrungen mit den sehr großen Restaurantküchen, die ich im Düsseldorfer Hafen lange und erfolgreich führen konnte, haben wir uns vor 14 Jahren mit dem Hashi für das Glück entschieden, wirklich machen zu können, was uns am Herzen liegt. Die Restaurants, in denen ich Verantwortung hatte, waren teilweise so groß, dass mich der Türsteher nicht erkannt hat oder wegen meiner Kochjacke nicht in den Laden lassen wollte. Da tritt dann so eine gewisse Entfremdung ein.
Das hat sich durch bewusste Entscheidungen verändert?
Zhenkun Wang: Ja. Wir wissen nun, was wir wollen. Ich will meine Karte nicht standardisieren und wir brauchen im Restaurant nicht mehr als zwanzig Plätze. Das reicht uns. Unsere Form des Wachstums ist die erfüllende Weiterentwicklung unserer eigenen kulinarischen und qualitativen Ideen. Das ist die Seele auf dem Teller. Ich gehe einfach zum Markt, um mir anzusehen, was es Schönes gibt und alles passiert dann selbstverständlich ohne Chemie. Wir backen unsere Sauerteigbrötchen selbst, mit einem tollen Mehl einer Mühle aus Südtirol und unsere Hippenteig-Plätzchen backen wir auch selbst.
Weitergegeben hatte mir die Adresse der Mühle noch der leider viel zu früh verstorbene Hans-Georg Pestka, mit dem ich sehr viele Gespräche geführt habe. Er war immens wichtig für das kulinarische Geschehen in Deutschland und auch für mich als Freund.
Es heißt: „Ein Restaurant lässt für Familie und Privates kaum Zeit“. Wie geht Ihr damit um?
Mingyue Gao: Das alles kannst du in einer Paar-Beziehung eigentlich nur durchhalten, wenn du gemeinsam in der Gastronomie tätig bist. Wir sind gleichzeitig Koch, Restaurantleitung, Sommelière und Service. Wenn bei uns jemand krank wird, müssen wir den Laden für die Zeit schließen. Das ist eben so. Aber das ist auch ein Vorteil unseres, für die gehobene Küche, eher klein zu nennenden Restaurants. Wir haben dadurch keinen finanziellen Druck. Wir müssen nichts. Wir können uns auf unsere Qualität fokussieren.
Könnt Ihr nochmal beispielhaft deutlich machen, wie Ihr die Philosophie des Hashi umsetzt? Wie sieht das praktisch in Eurem Leben aus?
Mingyue Gao: Ein Beispiel. Ich habe feststellen können, wie die, an die Gastronomie angepassten Weinkataloge, die Szene beherrschen. Für manche hat das Vorteile. Wir haben uns entschieden, selbst zu den Winzern zu fahren. Wir sehen uns ihre Arbeit an, das gilt vor allem für besondere Winzer-Typen und Kellermeister:innen, neue Bio-Techniken im An- und Ausbaus des Weins, Naturweine, die Böden, das Wetter, wir probieren alles, natürlich auch die regionale Küche, leben in der Schönheit der Landschaft. Wir überzeugen uns mit allen Sinnen persönlich von den Weinen, die wir anbieten. Wir schließen Freundschaften. Die Philosophie des Winzers muss zu unserer eigenen kulinarischen und nachhaltigen Philosophie im Hashi passen. Nur so laufen die Dinge dann mit unserer Küche zusammen.
Was Ihr tut, ist also so etwas wie ein Weg, bei dem sich definierte Qualitätsansprüche nicht nur aufs Kochen, sondern längst auch auf Euer Leben beziehen?
Zhenkun Wang: Ja, das ist so. Denn sobald man etwas muss, ist es mit dem Spass ja auch fast schon wieder vorbei. Und ich spreche nicht von Luxus. Ich möchte gerne nochmal erzählen, warum ich mich dafür entschieden habe, weiter in der Gastronomie zu bleiben. Mit einem Bekannten habe ich damals Baguette gekauft und Butter aus Weidemilch besorgt und wir haben das Brot damit geschmiert. Wir haben zwei Flaschen Wein geholt. Dann haben wir uns auf umgedrehte große Kochtöpfe gesetzt und ein Bresse-Huhn direkt aus dem Ofen gegessen. Dieses, für mich unvergessliche Bild, erzählt eine Menge.
Mit welchem Blick schaust Du auf die Zukunft und die Restaurantszene?
Zhenkun Wang: Sehr beeindruckt hat mich zuletzt ein 80 Jahre alter japanischer Bäckermeister, der in seiner langen Lebensspanne allein sein Sauerteigbrot gemacht hat. Ein wahrer Meister. Er behauptete, er wäre bei dem, was beim Brotbacken für ihn überhaupt möglich wäre, bei etwa 81% der Möglichkeiten angekommen! Er hätte also noch 20 Jahre für die Restprozente. Und er lachte dabei. Das macht dir klar, dass es ums Üben geht, um das Wissen, das mit der Erfahrung kommt. Es geht immer weiter. Die Übung bringt dir Erkenntnis. Sobald du denkst, du musst nicht mehr lernen, ist dein Weg auch als Koch zu Ende. Wir sind im Hashi immer in der Entwicklung.
Und darum geht es eigentlich.