„Als Bürgermeister möchte ich für die Menschen in unserer Stadt da sein“
Interview mit Josef Hinkel, Bäckermeister und Erster Bürgermeister (CDU) in Düsseldorf
von Dr. Siegmar Rothstein
Sie führen seit 1988 in vierter Generation die in Düsseldorf wohl bekannteste und sehr beliebte Hinkel Bäckerei, die Bäckerei der Brotfreunde. In Ihrer Zeit haben Sie den Umsatz vervielfacht. Was ist das Geheimnis Ihres Geschäftserfolges? Was machen Sie anders als Ihre Kollegen?
In Düsseldorf gibt es eine ausgesprochen große Vielzahl von wirklich guten Bäckerhandwerkskollegen. Wir behaupten uns gegen die großen Ketten und deren Massenware, achten auf Qualität, sowohl beim Produkt als auch beim Service und sind beweglich. Jeder von uns arbeitet unterschiedlich. Ich fokussiere mich auf das reine Brotgeschäft. Wir haben keine belegten Brötchen, keinen Kaffeeausschank, keine Sahne und keine Creme. Unser Betrieb ist in der Struktur klein. Daher bin ich auch sehr nahe am Kunden und an den Mitarbeitern. Ich selbst bin täglich 3 bis 4 Stunden im Geschäft, das macht mir viel Freude. Wir verkaufen neben Brot auch ein Gefühl, wenn es im Laden lecker duftet, alle im Ver kauf freundlich und fachkundig sind. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind von dem begeistert, was sie verkaufen.
Familienunternehmen kommt eine große Bedeutung zu. Gehen Sie davon aus, dass die seit 1891 durch Mitglie der Ihrer Familie betriebene Hinkel Bäckerei auch in der fünften Generation ein Familienunternehmen bleibt?
Davon gehe ich aus. Meine Tochter Sophie hat sich für den Beruf des Bäckers entschieden. Sie ist Bäckergesellin und steht im Studium kurz vor dem Master. Sie will in den kommenden 2 oder 3 Jahren die Bäckerwelt kennen lernen, andere Betriebe und Systeme studieren und einen eigenen Stil entwickeln. Sophie wird unseren Familienbetrieb in der fünften Generation in die Zukunft führen.
Hat das Handwerk auch in Zukunft goldenen Boden?
Ganz sicher. Ich glaube, dass sich das Bäckerhandwerk in der Zukunft positiv weiter entwickeln wird. Meisterbetriebe sind einzigartig in der Welt, sie haben eine klare Struktur und genießen das Vertrauen der Kunden. Das Bäckerhandwerk und auch andere Handwerksbetriebe gehen auf die individuellen Wünsche ihrer Kunden ein und es gelingt ihnen, diese zu begeistern.
Gibt es Erwartungen oder Forderungen an Land oder Bund, die bisher unerfüllt geblieben sind?
Wir bemerken, dass die Verwaltungsarbeit kontinuierlich zunimmt. Das belastet den Betrieb. Übersteigerte, überdetaillierte Anforderungen sind ein großes Thema. Damit habe ich mich schon als Obermeister der Bäckerinnung auseinandergesetzt. Am besten läuft es, wenn wir einfach in Ruhe arbeiten können und nicht alles im Einzelnen geregelt wird. Es kann nicht richtig sein, dass ein Unternehmer auch in einem Kleinbetrieb einen großen Teil seines Tages damit verbringen muss, Formalien zu erfüllen.
Unternehmen und Handwerksbetriebe haben bei Erfolg Filialen und expandieren auch in andere Städte. Das scheint nicht Ihr Konzept zu sein.
Ihre Vermutung trifft zu, jedenfalls für meine Generation. Vielleicht tickt meine Tochter anders und wird eine selbstständig arbeitende Bäckerei Hinkel in London oder New York aufmachen. Das gilt auch für meine anderen Kinder. Ich selbst habe nie überlegt, meine Tätigkeit als Bäcker über Düsseldorf hinaus auszudehnen. Hier fühle ich mich sehr wohl, die große weite Welt war nie mein Ziel. Auf der anderen Seite freue ich mich – auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – wenn Kunden von außerhalb extra nach Düsseldorf kommen, um Apfelringe und Knäckebrot in der Bäckerei Hinkel zu kaufen, weil es ihnen bei uns besonders gut schmeckt.
Das Handwerk gehört zu den Stützen unserer heimischen Wirtschaft und erfreut sich großer Wertschätzung. Kann man trotzdem den Eindruck gewinnen, dass dem akademischen Bereich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird? So haben sich alle Bundesländer dazu entschlossen, die Studiengebühren abzuschaffen. Dies gilt aber nicht für die Meistergebühren. Muss man sich damit abfinden?
Hier gibt es tatsächlich eine ungleiche Behandlung. Die notwendige Gleichstellung ist schon lange im Gespräch und wird hoffentlich bald erfolgen. Es ist schon viel wert, dass es Fördermittel für die Auszubildenden und das Meister BAföG gibt. Das Qualifikationsniveau der selbstständigen Bäcker ist hoch. Als Unternehmer decken wir ein komplettes Spektrum ab: Produktion, Wareneinkauf, Mitarbeiterbetreuung, Marketing und Kalkulation, selbst das Steuerrecht müssen wir kennen. Wir kümmern uns darüber hinaus um die jungen Menschen, die bei uns den Start ins Berufsleben wagen und eine Ausbildung absolvieren. Da kann es auch mal Hochs und Tiefs geben, und dann wir sind wir als Ausbilder da, um den Azubis zur Seite zu stehen. Nicht zuletzt erfüllen wir soziale Aufgaben, wenn wir in unserem Geschäft Ansprechpartner sind und persönliche Nähe geben.
Ist es für das Handwerk schwierig, qualifizierten Nachwuchs zu finden? Drängelt sich Deutschlands Jugend lieber in überfüllte Hörsäle?
In der Tat gibt es Bäckereibetriebe, die sich schwertun, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Für meinen Betrieb trifft das Gott sei Dank nicht zu. Ich habe im Gegenteil sehr viele Anfragen, auch von ausgesprochen gut motivierten Bewerbern, nicht selten mit Migrationshintergrund. Bei mir arbeitet eine Bäckermeisterin aus Japan, die bei mir zuvor die Lehre gemacht hat. Ich habe Kurden, Syrer und Afrikaner ausgebildet, was mir große Freude bereitet hat. Ich weiß, dass Stephan Keller – unser neuer Oberbürgermeister – darüber nachdenkt, eine Umweltakademie zu gründen, die mit dem Handwerk zusammenarbeitet und das Ziel verfolgt, in angemessener Zeit Klimaneutralität in unserem Land zu erreichen. Das finde ich als Handwerker großartig.
Wie stark belastet Sie die Corona Pandemie? Immerhin mussten Sie das Geschäft einige Tage schließen und Ihre hundertköpfige Belegschaft zum Test schicken.
Als vorbeugende Maßnahme hatten wir zwei Tage lang geschlossen, weil wir einem Verdachtsfall nachgegangen sind. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden dann alle getestet. Gleichwohl ist es nicht möglich, die Höhe des Umsatzes wie beim normalen Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Es ist uns glücklicherweise gelungen, den kontaktlosen Verkauf sehr gut zu organisieren. Vorübergehend mussten wir Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Ich habe die erlittenen Lohnkürzungen ausgeglichen. Wir hoffen alle, dass der jetzige Lockdown der letzte sein wird und es dann wieder zügig bergauf geht.
Nicht nur als Bäcker haben Sie sich einen Namen gemacht, Sie sind im Karneval sehr engagiert, waren Prinz Karneval und CC Chef. Das Förderprogramm „Pänz en de Bütt“ geht auf Sie zurück, als CC Chef schlossen Sie Karnevalsfrieden mit Köln. Der Karneval ist für Sie sicher ein wichtiger Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens.
Ich liebe die fünfte Jahreszeit und unser rheinisches Brauchtum. Die Begeisterung für den Karneval erfasst alle gesellschaftlichen Schichten, er hat für Düsseldorf eine große Bedeutung. Es ist schade, dass diese Session ganz anders sein wird. Doch der Gesundheitsschutz hat Vorrang. Alle Karnevalisten akzeptieren das und diese Haltung verdient Respekt.
Schon jetzt sind Sie voll ausgelastet. Viele Jahre sind Sie Mitglied der CDU. Bisher waren Ihre Parteifreunde nicht erfolgreich, Sie für ein politisches Amt zu gewinnen. Warum zieht es Sie nunmehr in die aktive Politik?
Bisher hat mir die Arbeit in meiner Bäckerei keinen Spielraum für die aktive Politik gelassen, auch wenn ich natürlich das politische Geschehen aufmerksam verfolgt habe. Die Familie und der Betrieb waren und sind immer der Mittelpunkt meines Lebens. Doch für alles gibt es einen richtigen Zeitpunkt. Nun ist die Nachfolge im Unternehmen gesichert, ich habe auch einen hervorragenden Betriebsleiter und meine Frau Nicole ist mit meinem Schritt einverstanden. Ich kann mich also guten Gewissens und mit viel Freude auf eine neue Herausforderung einlassen. Die Entwicklung meiner Heimatstadt will ich als Kommunalpolitiker positiv mitgestalten. Den Anstoß dafür gab mein Freund Friedrich G. Conzen, der nach 41 Jahren im Rat als Mitglied der CDU-Ratsfraktion und 12 Jahren als Bürgermeister bei dieser Kommunalwahl nicht mehr angetreten ist. Er hat mich dafür gewonnen, in seinem langjährigen Wahlkreis für die CDU zu kandidieren. Ich freue mich sehr, dass ich seine Nachfolge antreten kann, und empfinde dies als große Ehre. Denn er hat große Fußstapfen hinterlassen und sehr viel für Düsseldorf geleistet.
Sie haben nicht nur seinen Wahlkreis verteidigt, Sie sind auch sein Nachfolger als Bürgermeister. Eine dritte Karriere neben Bäckerei und Karneval. Herzliche Gratulation. Wo sehen Sie Ihre Aufgaben?
Als Bürgermeister möchte ich für die Menschen in unserer Stadt da sein – als Förderer des Austauschs zwischen Bürgern und Verwaltung, als Vertreter des Oberbürgermeisters. Dabei verstehe ich mich als Dienstleister. Das heißt, ich werde Ansprechpartner sein, wenn irgendwo der Schuh drückt. Gleichzeitig habe ich immer ein offenes Ohr, wenn jemand eine gute Idee hat und sich fragt, wie die Verwirklichung aussehen könnte. Es wird mich freuen, wenn ich auch als Bürgermeister bei solchen Gelegenheiten mit Rat und Tat helfen kann.
Welche Wahlversprechen unseres neuen Oberbürgermeisters sollten vor allem umgesetzt werden?
Ich wohne in der Carlstadt und bin oft in der Altstadt unterwegs. Deshalb hat mich Stephan Kellers Forderung nach mehr Ordnungskräften sehr angesprochen, da ich hier einen echten Bedarf sehe. Es kann nicht sein, dass sich am Rheinufer Anwohner nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr nach draußen trauen, weil es dort drunter und drüber geht. Eine stärkere Präsenz der Ordnungskräfte würde hier für mehr Sicherheit sorgen.
Politische Machtwechsel führen im Allgemeinen dazu, dass die Spitzenämter neu besetzt werden. Dr. Keller weicht von dieser Praxis ab, wenn er beabsichtigt, den gegenwärtigen Stadtdirektor Burkhard Hintzsche, Mitglied der SPD, als besonders guten Verwaltungsfachmann in seinem Amt zu belassen. Kommen also herrliche politische Zeiten des Miteinanders in Düsseldorf auf uns zu?
Stephan Keller ist ein Team-Player. Ich habe im Wahlkampf eng mit ihm zusammengearbeitet und konnte mir ein Bild davon machen, wie er führt: auf eine sehr menschliche Art und mit ganz viel innerer Ruhe. Ein solcher Oberbürgermeister bringt in der Tat beste Voraussetzungen mit, um eine gute politische Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg zu pflegen.
Die neue Verwaltungsspitze in unserer Stadt steht bei einem Minus in der Stadtkasse von mehreren hundert Millionen Euro vor schwierigen Herausforderungen. Wie muss man sich darauf einstellen? Es wird wohl einige Zeit dauern, bis wir wieder schuldenfrei sind.
Die Kämmerin hat in der Sitzung des Rates Anfang November einen Einblick gegeben, welche finanziellen Einbußen der Haushalt aufgrund der Corona-Krise verkraften muss. Welche Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Veränderungen vorgenommen werden müssen, weil weniger Einnahmen da sind, das wird Gegenstand der politischen Beratungen sein. Es wäre verfrüht und auch recht gewagt, wenn ich vorab Prognosen zu möglichen Entscheidungen abgeben würde.
Die CDU beabsichtigt die politische Zusammenarbeit mit den Grünen. Beide Parteien haben offenbar gegenwärtig in wichtigen Einzelfragen unterschiedliche Auffassungen. Auch der Wahlkampf war heftig. Schließlich gehörten die Grünen der bisherigen Ampel an, zu der die CDU in Opposition stand. Beide Parteien wollen erfolgreich zum Wohle der Stadt Düsseldorf zusammenarbeiten. Wir dürfen gespannt sein, ob und wie den beiden Parteien die ins Auge gefasste Zusammenarbeit gelingt.
Schwarz-Grün ist etwas ganz Neues für Düsseldorf. Doch ich bin sehr zuversichtlich, dass beide Fraktionen gut zusammenarbeiten werden. Die Mitgliederversammlung von Bündnis 90/Die Grünen hat sich mit einer klaren Mehrheit für die Aufnahme von Kooperationsgesprächen mit der CDU ausgesprochen. Das ist ein vielversprechender Auftakt gewesen: Diesen Weg werden wir nun weiter gehen und dabei die inhaltlichen Schnittmengen beider Parteien noch stärker in den Fokus rücken.
Wie man hört, haben Sie sich bisher Mittwoch und Sonntag für die Familie freigehalten. Es wird für Sie nicht einfach sein, das durchzuhalten. Für die Tätigkeit als Bürgermeister unserer Heimatstadt begleiten Sie jedenfalls unsere guten Wünsche.
Die Familie wird in meinem Leben immer das Wichtigste sein. Im Büro Bürgermeister gibt es nun ein Team, das meine Termine geschickt plant. Deshalb bin ich optimistisch, dass ich auch in Zukunft genug Zeit für meine Frau Nicole und die Kinder haben werde. Für Ihre guten Wünsche danke ich Ihnen ganz herzlich.
Kurzvita
Josef Hinkel wurde 1959 in Düsseldorf geboren. Gesellenjahre in München, Garmisch-Partenkirchen, Rendsburg, Düsseldorf, Meisterprüfung in Hannover. Übernahme der Bäckerei Hinkel, Düsseldorf, gegründet 1891 von seinem Urgroßvater. Seit 1991 Betriebswirt des Handwerks. Hinkel beschäftigt rund 100 Mitarbeiter, wurde mehrfach ausgezeichnet: BGF Gesundheitspreis, Unternehmerpreis Stadtsparkasse Düsseldorf. 2008 war er Prinz Karneval, 2010 Vizepräsident und von 2011 bis 2015 Präsident des CC Comitee Düsseldorf Carneval, seit 2017 Vorsitzender Förderverein Düsseldorfer Karneval. 2018 Bundesverdienstorden für soziales Engagement. Seit 2014 Botschafter Kinderhospiz Regenbogenland. Stellv. Vorsitzender Altstadt Gemeinschaft. Seit November 2020 Erster Bürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf. Josef Hinkel lebt in Düsseldorf, ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. In seiner Freizeit fährt er Rad, liebt das Wandern und läuft Ski.
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