3. November 2020In Düsseldorf Journal

AUF DEM DJING-TING-BERG

Chinesische Betrachtungen

von Konstanze Petersmann

Vor einigen Jahren schenkte mir eine chinesische Ärztin in Düsseldorf, die mich als Lyrikerin kannte, ein ‚zierlich‘ kleines Buch mit chinesischen Gedichten aus dem Manesse Verlag Zürich. Bekannt war mir, dass die Dichtkunst und ganz besonders die Lyrik in China schon seit frühesten Zeiten ein besonderes Ansehen genoss. Sogar die im chinesischen Staatsdienst Beschäftigten mussten eine Prüfung in klassischer Literatur ablegen. Allerdings erreichte die Lyrik den höchsten Aufschwung in der Tang-Dynastie in den Jahren von 618 bis 907.

So kam es, dass der Dichter Li Bo dem Tang-Herrscher auffiel und der Kaiser ihn somit an seinen Hof berief. Mir gefiel ganz besonders dieses Gedicht von ihm: 

Als ich allein auf dem Djing-Ting-Berg sass
Ein Vogelschwarm, der aufflog und entschwand,
Und eine Wolke, die sich still verzog …
Dann sah‘n sich an ganz ohne Überdruss
Bloß noch der Djing-ting-Berg und ich …

In diesem Zusammenhang bietet es sich an, den chinesischen Poeten Lu Chi zu nennen, der wiederum von 216 bis 302 lebte und eine Ars Poetica verfasste, die sagt, dass es keinen Sinn ergibt, der Poesie logische Fragen zu stellen. Er meint, Sprache und Welt drücken sich gegenseitig aus. So erhalten die Worte die Sprache und das Bewusstsein in derselben Bewegung, wie die Welt sich über den Menschen definiert. 

Besondere Aufmerksamkeit gilt Chinas Hochkultur und den Denkweisen, mit denen sich der Sinologe Marcel Granet auch philosophisch beschäftigte. Beispielsweise wird der Zahl nicht ein quantitativer Wert beigemessen, sondern die Zahl zur Zeit qualitativ betrachtet. Die Zahl drei bedeutet zum Beispiel „Einstimmigkeit“ und ist insofern bedeutender bei einer Bewertung als eine höhere Zahl – auch heute noch.

In der noch älteren Han-Zeit, etwa 206 v.u. Zeitrechnung bis 220 danach, befand man sich in einer kulturellen und wirtschaftlichen Hochblüte; Konfuzius wurde staatlich anerkannt und mit den kosmischen Gottheiten waren Körper-Gottheiten identisch, die durch Meditation letztendlich den taoistischen Weltsinn erreichbar machten. So lebte zum Beispiel der rote Vogel als Körper-Gottheit im Herzen und ein weißer Tiger in der Lunge – was auch alles einer Symbolik folgte. 

Diese Ideen boten sich dem psychologischen Kreis um C.G. Jung an und so machte man sich darüber tiefere Gedanken.

Auch ich verfasste ein Gedicht in diesem Sinn:   

MIT EINEM ROTEN VOGEL IM HERZEN
vom wogenden Hügelland dichter
Wälder, unter wolkenleerem
kühlem Himmel schaue ich:
– in die Länder der Menschen
hinaus: … aus dem Reich
des Lichtes, wo es
Sommerfunken blüht und blitzt; –
… mit einem roten Vogel
im Herzen, – frage ich;
… nach dem lichten Weg
des Weltsinns; … mit einem
roten Vogel im Herzen

„In den Gärten der Plejaden“, Edition Virgines Düsseldorf, 2014

Fotos: Konstanze Petersmann

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