9. September 2020In 2020/2

„Die staatlichen Hilfen für Soloselbstständige gehen an uns Schauspielern total vorbei“

Interview mit Leslie Malton, Schauspielerin und 1. Vorsitzende des Bundesverbandes Schauspiel e.V. (BFFS)


von Dr. Susanne Altweger

Wie existenzbedrohend wird und wurde die Corona Krise bei den Schauspielkollegen gesehen?

Wie in fast allen Branchen hat die Corona Krise stark und vehement eingeschlagen. Bei uns in der Kunst und Kultur besonders, weil wir vom Publikum abhängig sind. Die Kunst und die Kultur sind der Aufruf zum gemeinsamen Erleben und zur gemeinsamen Begegnung, ohne Publikum geht das nicht. Erst wenn die Türen wieder geöffnet werden, kann diese Form der Kommunikation wieder praktiziert werden. Bis dahin fristen die Künstler ein amputiertes Dasein. Der Film- und Fernsehbranche ist der Stecker Mitte März gezogen worden, die meisten Theater schlossen kurz davor ihre Pforten. Die Theaterkollegen, die in der glücklichen Lage sind, für ganze Spielzeitjahre an einem Haus engagiert zu sein, erlitten zwar keine finanziellen Einbrüche, wussten aber wie wir alle nicht, wann und unter welchen Umständen die Theater wieder öffnen würden. Das gleiche gilt für die Film- und Fernsehbranche: Wann dürfen wir unseren Beruf wieder ausüben? Psychologisch gesehen war und ist das ein unsicherer Boden, auf dem wir stehen. Abgesehen von der psychologischen Belastung kommt die finanziell schlechte Lage hinzu, die für uns berufstypisch ist. 70 Prozent der circa 20.000 deutschen Schauspieler verdienen mit ihrer Arbeit weniger als 30.000 Euro im Jahr. Immerhin 55 Prozent verdienen sogar weniger als 20.000 Euro. Da ist es kaum möglich, sich Reserven anzulegen. Und so gesehen, ja, ist die Corona Krise für die meisten Kollegen existenzbedrohend.

Gibt es schon Informationen in welchem Umfang staatliche Hilfen in Anspruch genommen wurden?

Dass Dumme ist: überall ist die Rede davon, dass soloselbstständigen Künstler wegen der Krise alle Aufträge weggebrochen seien und ihnen geholfen werden müsse. Das ist schon richtig. Allerdings sind wir Schauspieler auch Künstler und unsere Vorstellungen, Drehtage, Synchrontermine und die Gagen dafür fielen genauso der Krise zum Opfer wie bei den anderen Künstlern. Aber wir Schauspieler sind nun mal – sozialrechtlich gesehen – keine Soloselbstständigen, sondern werden für unsere Rollen kurz befristet angestellt. Nun müssen wir erleben, dass nicht nur die staatlichen Hilfen für Soloselbstständige mit einigen Mängeln versehen sind, sie gehen auch total an uns Schauspielern vorbei. Schlimmer: Wir werden komplett vergessen, nicht nur von Politikern, die sich in unserer Kulturszene nicht auskennen, sondern auch von Künstlerkollegen, die es besser wissen müssten und trotzdem bei ihren Petitionen nur Hilfe für Soloselbstständige fordern. Eine erfreuliche Ausnahme ist Bayern: Hier ist es unserem BFFS gelungen, die Politik zu überzeugen, auch Schauspieler in die Künstlerhilfe einzubeziehen. Bayern ist momentan das einzige Bundesland, das neben bedürftigen soloselbstständigen Künstlern auch notleidenden Schauspielern unter die Arme greift. Noch gibt es keine Zahlen, wie viele unserer Schauspieler für ihren Lebensunterhalt auf die Grundsicherung zurückgreifen. Aber wahrscheinlich werden die meisten von uns davor zurückschrecken, weil wir dafür zuvor unsere Rücklagen aufbrauchen müssten, die wir für unsere völlig unzureichende Alterssicherung zurückgelegt haben.

Konnte der Verband auch Unterstützung leisten?

Viele Gewerkschaften, auch der BFFS, haben zum Beschluss der Bundesregierung beigetragen, bei denjenigen Arbeitslosen, deren Arbeitslosengeldanspruch zwischen dem 1. Mai und Ende Dezember ausgelaufen wäre, diesen Anspruch um drei Monate zu verlängern. Eine wichtige Unterstützung vor allem für viele arbeitslose Bühnenschauspieler. Darüber hinaus hat der BFFS zusammen mit ver.di und der Produzentenallianz am 24. März, elf Tage nach dem Shutdown, den ersten Kurzarbeits-Tarifvertrag in der Filmund Fernsehbranche verabschieden können. Das war eine Premiere in der Kulturlandschaft und ein großartiger Erfolg; denn er rettete viele Filmfirmen vor dem Ruin und unterstützte viele Kollegen, die plötzlich auf dem Trockenen standen. Für die Theaterkollegen, die als Gäste an verschiedenen Häusern engagiert waren, gab es anfangs große Schwierigkeiten mit der Bereitschaft der Verwaltungen und auch dem Selbstverständnis, dass die Kollegen ausbezahlt werden sollten. Der BFFS und ihr Justiziar haben starke Arbeit geleistet, damit die Kollegen ihre vertraglich zugesicherten Gagen zum größten Teil ausbezahlt bekamen. Viele Theater wollten die Kollegen auf die nächste Spielzeit vertrösten oder, man muss es deutlich sagen, gar nicht bezahlen. Hier hat der BFFS durchgegriffen. Zudem gab es mehrere Initiativen von BFFS-Kollegen, Kollegen in Not zu unterstützen. Wir konnten ihnen die Plattform unserer Webseite bieten, damit so viele wie möglich werden. Mit Erfolg.


Kurzvita 

Leslie Malton 2, , „Die staatlichen Hilfen für Soloselbstständige gehen an uns Schauspielern total vorbei“Leslie Antonia Malton wurde geboren am 15. November 1958 in Washington D.C. Sie ist eine deutsch-US-amerikanische Schauspielerin und 1. Vorsitzende des Bundesverbandes Schauspiel. Leslie Malton ist Tochter eines USDiplomaten und einer Österreicherin. Nur insgesamt fünf Jahre lebte sie in den USA. Ihre Schulund Jugendzeit verbrachte sie in Wien. Bereits mit 14 Jahren hatte sie den Wunsch, Schauspielerin zu werden. Ihre Karriere begann Malton am Theater. Von 1985 an war sie jahrelang Mitglied des Wiener Burgtheaters, spielte und spielt in zahlreichen deutschen Fernsehproduktionen mit und arbeitet daneben auch als Sprecherin für Hörspiele. Für ihre erste internationale Kinoproduktion wurde sie 1984 von dem japanischen Regisseur Masato Harada für den Rennfahrerfilm „Races“ verpflichtet. In dieser japanischdeutschen Koproduktion spielte sie die weibliche Hauptrolle an der Seite von Hiroyuki Watanabe, Claus Theo Gärtner, Deborah Sasson, Stuart Wolfe, Dean Reed und Sir Patrick Stewart. 1990 erhielt sie den Goldene Kamera Nachwuchspreis für ihre drei Hauptrollen in „Parfüm für eine Selbstmörderin“, „Die Kupferfalle“ und „Gefährliche Verführung“ (Il Piccolo popolo). Ihren Durchbruch für das deutsche Publikum hatte sie 1992 mit ihrer Rolle der Gudrun Lange im ZDF-Vierteiler „Der große Bellheim“, für die sie 1993 mit dem Bayerischen Fernsehpreis und dem Telestar ausgezeichnet wurde. In dieser Miniserie spielte sie an der Seite von Mario Adorf, Will Quadflieg, Renan Demirkan, Heinz Hoenig, Ingrid Steeger und Dominique Horwitz. Seitdem gehört sie zu den gefragtesten TVDarstellerinnen Deutschlands.Leslie Malton ist seit 1995 mit dem Schauspieler Felix von Manteuffel verheiratet und lebt in Berlin. Seit 2019 hat sie neben der amerikanischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

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