„Die Nachfrage nach Musikunterricht nimmt stetig zu“
Interview mit Kamelia Neumüller, Diplom-Klavierpädagogin und Inhaberin der Musikschule Niederkassel
von Christian Theisen
Wie wichtig ist die musikalische Früherziehung in Zeiten der Digitalisierung?
Der Musikunterricht ist ein kleiner Schutzraum, in dem wir uns fern ab von flimmernden Bildschirmen in eine analoge Welt fallen lassen und uns ganz ohne Ablenkung in die Musik vertiefen können. Frei von Unterbrechungen und Werbepausen, dafür aber im sozialen Gefüge. Wenn man erstmal in die Musik eingetaucht ist, ist es ähnlich wie mit einem guten Buch: man fühlt sich bereichert und aufgetankt. Unter pädagogischer Anleitung entdecken die Schüler im Unterricht Neues und Spannendes, das macht neugierig auf mehr. Dabei vermisst keiner seine digitalen Spiele. Der Alltag dagegen bringt viele Ablenkungen aus verschiedenen Kanälen gleichzeitig, das bereitet Stress. In der heutigen Zeit ist das Fokussieren auf ein Thema wich-tiger Bestandteil des Unterrichts. Die Kinder kommen aber gerade deshalb sehr gerne, sie blühen sichtlich auf. In den Ferien sind sie traurig, wenn ihre Kurse pausieren. Das zeigt, dass die Erlebnisse beim gemeinsamen Musizieren tiefer wirken als ein Computer-spiel. Über einen konzentrierten Zeit-raum hinweg zu musizieren ist eine große Genugtuung für alle, da fällt der Druck des Alltags ab, und ein Ventil öffnet sich.
Die Nachfrage nach Musikunterricht nimmt also nicht ab? Oder ist das auch eine Frage des Elternhauses und Einkommens?
Im Gegenteil. Die Nachfrage nach Musikunterricht nimmt stetig zu. Ich kenne Familien mit begrenztem Einkommen, die alles daran setzen, ihren Kindern das zu ermöglichen, was ihnen verwehrt blieb. Sobald sie sich entschieden haben, ihr Kind für einen qualifizierten Unterricht anzumelden, bleiben sie dabei und sparen an an-derer Stelle. Sie sehen ihre Investition als sinnvoll an, wenn sie den stetigen Fortschritt und die wachsende Begeisterung ihres Kindes beobachten. Viele Eltern achten verstärkt auf die qualifizierte Ausbildung der Lehrkräfte, wenn sie schon eine solche Investition tätigen. In meinen Kursen mischen sich Kinder diverser Sozialstrukturen, selbstverständlich aber auch Kinder von wohlhabenden Familien. Für meinen Unterricht spielt die Herkunft aber keine Rolle. In der Musik blühen die Kleinen alle gleich auf und müssen sich mit ihrer Pauke für ein stimmiges Orchester genauso zurücknehmen wie ihr Sitznachbar. Im Team bilden sie dann gemeinsam einen harmonischen Klangkörper, was ihnen viel Freude bereitet.
Dass die Nachfrage nach Musikunterricht steigt, hängt aber leider auch damit zusammen, dass die Länder und Kommunen bei den städtischen Bildungsangeboten seit Jahren Einsparungen vornehmen, so wie es derzeit auch beispielsweise bei den Schwimmbädern passiert. Auch die musikalische Versorgung an allgemeinbildenden Schulen wurde her-untergefahren, in Kindergärten fehlt sie seit Jahrzehnten. Erzieherinnen bekommen in der Berufsschule nur in Ausnahmen Musikunterricht. Viele Familien kümmern sich nun privat um die fehlende musikalische Bildung ihrer Kinder, was die Wartelisten ins Unermessliche steigen lässt. Dies ist leider ein abendfüllendes politisches Thema mit vielen Facetten.
Du suchst jetzt schon seit mehreren Jahren vergeblich nach geeigneten Musikräumen für deine Musikschule, weil die Kirche St. Anna, auf deren Gelände sich deine Räumlichkeiten befinden, demnächst abgerissen wird. Bei so viel Nachfrage müsste es doch entsprechende Raumangebote geben. Wo liegt das Problem?
Auf dem Gelände der St. Anna hatte ich vor 18 Jahren Glück, die ehemalige Bibliothek der Kirche mieten zu dürfen. Ich fühle mich dort sehr wohl, was den Abschied schwer macht. Das Gebäude liegt im Herzen von Niederkassel ganz ohne angrenzende Nach-barschaft, wo ich mit den Kindern uneingeschränkt musizieren kann. Die Gegend, in der ich meinen treuen Kundenstamm aufgebaut habe, hat sich mittlerweile von ihrem einst dörflichen Charakter zu einem wohlhabenden Standort gewandelt. Das Bauland ist nicht nur unerschwinglich geworden, es steht im linksrheinischen Düsseldorf quasi kein Bauland mehr zur Verfügung. Investoren brechen in den Stadtteil, jeder Winkel wird bebaut. Es bleibt kein Raum mehr für kleine bis mittelständische Unternehmen, und wenn ein Objekt frei wird, liegt der Mietpreis jenseits der Vorstellungskraft von Kleinunternehmern. So bricht gleichzeitig auch die gewachsene Infrastruktur weg: die Metzger um die Ecke, die Friseure oder die Musik-schule gegenüber, die das Kind ohne weiten Fahrtweg besuchen konnte, finden keinen Platz mehr. Die Neubauten werden ausschließlich auf komfortablen Wohnraum ausgerichtet, kleinere Gewerbeeinheiten verschwinden vom Bauplan oder es sitzt darin ein Mobilfunkanbieter. Menschen, die in der guten Wohnlage neue Häuser bauen, müssen bald weite Wege zurücklegen, um kleine Erledigungen zu tätigen. Die bisherige Infrastruktur werden sie nicht mehr bequem vor ihrer Haustür vorfinden. Wie schade, dass dadurch der Verkehr mit all seinen Nebenwirkungen auch zunimmt.
Um die Objektsuche zu beenden, würde ich gerne selbst eine Gewerbeeinheit bauen oder ein Haus zwecks Musikunterrichtes kaufen, um im Stadtteil zu bleiben, was mein großes Anliegen ist. Aber die Angebote sind nun mal so gut wie vergriffen, zumal das Gebäude aufgrund des Kundenverkehrs nicht im reinen Wohngebiet liegen darf. Da bleibt voraussichtlich nur die Miete. Bei meiner Objektsuche als Mieter besteht aber das Problem, dass kein Vermieter singende Kinder in seinem Areal dulden möchte. Die Angst vor Ärger in der Nachbarschaft ist so groß, dass die Absage per Telefon bereits erteilt wird, noch bevor man sich kennenlernen konnte. Groß ist die Angst vor der Unruhe durch Kinder auf dem Hof: durch Spielen, Klettern, Weinen, Lachen. Lieber wartet man auf ein Steuerbüro oder eine Arztpraxis. Da-bei sind meine Kunden nur Familien, die mit ihrem Kind an der Hand ins Gebäude ein- und ausgehen. Kunden wie beim Zahnarzt oder in einer Buch-handlung, nichts weiter. Diese Ängste bewahrheiten sich ja nicht in der Realität, sind aber trotzdem präsent. Weiterhin gibt es auch Gebäude, die ungeeignet sind. So können Bürogebäude in Leichtbauweise schlecht vom Schall der Klaviermusik isoliert werden. Deshalb werden wir nicht einmal im Industriegebiet fündig: Neben jeder Industriehalle stehen Büros, die nach dem TA-Lärm Ruhegesetz zu schützen wären. Um mit der Musikschule um-ziehen zu können, benötige ich eine Nutzungsänderungsgenehmigung des Bauamts, die unter all diesen Bedingungen nicht erteilt wird. Letztes Jahr hatte ich sogar einen Vermieter gefunden, der mir ein Objekt zur Verfügung gestellt hätte. Wir waren uns einig und glücklich, dass es gegenseitig zum Einverständnis gekommen war, da untersagte das Bauamt leider die gewerbliche Nutzung, die vormals im Gebäude erlaubt war – für beide Seiten schade. Dieser Vermieter war ein Förderer der Kreativen. Bereits seine Eltern hatten in den 60er Jahren ihren eigenen Keller als Proberaum an eine junge Band vermietet – heute kennt sie jeder: Kraftwerk! Die Band ist mittlerweile ein stolzes Aushängeschild der Düsseldorfer Szene.
Kann die Stadt Düsseldorf nicht helfen? Immerhin schafft sie es alleine nicht, der Nachfrage nach Musikunterricht ein ausreichendes Angebot gegenüberzustellen. Insofern wäre es ja sinnvoll, Alternativangebote zu unterstützen, damit möglichst jedes Kind in Düsseldorf Musikunterricht erhalten kann.
Mit meinem Anliegen habe ich mich bereits mehrmals an die Stadt gewandt, die das Thema auch ernst genommen hat, zumal sie ja Stellen an der Städtischen Musikschule kürzt und den wachsenden Unterrichtsbedarf selbst verursacht. Zuerst hatte ich ein sehr fruchtbares Gespräch mit Bürgermeister Friedrich Conzen, dann durfte ich Oberbürgermeister Thomas Geisel die Situation schildern. Mit den zuständigen Mitarbeitern versucht die Stadt, eine Raumlösung zu finden – momentan leider vergeblich. Selbst verfügt die Stadt über keine passen-den Flächen für mich. Viele Kreativräume werden derzeit für Schulunterricht von Gymnasialklassen genutzt, deren Schulgebäude aufwändig saniert wer-den. Die Stadt braucht ihre Objekte dringend selbst. Die vormals verfügbaren Immobilien für Künstler und Kreative haben leider schon längst Wirtschaftsunternehmen und Investoren vereinnahmt. Nun bin ich mit der Stadt im Gespräch, wo es noch eine kleine freie Wiesenfläche geben könnte, die das Bauamt für einen Neubau zulassen würde. Bisher konnte aber keiner meiner Vorschläge realisiert werden. Zu jedem angefragten Quadratmeter besteht bereits ein gesetzlicher Bau-plan. Ich bleibe aber dran und rufe Herrn Geisel die Dringlichkeit immer wieder ins Gedächtnis. Ich habe ihm sogar vorgeschlagen, unter der Brücke zu bauen, so wie es das Apollo-Varieté-Theater in den 90ern gemacht hat. Da aber die Brücken marode sind und es hier dringend einer Sanierung bedarf, lässt sich diese Idee nicht realisieren. Für jegliche Angebote von Düsseldorfer Immobilienbesitzern bin ich aber sehr dankbar.
Bei deinen Konzerten scheint zumindest kein Raumproblem zu bestehen. Die veranstaltest du regelmäßig für alle Altersklassen, sogar für Babys ab 0 Jahren. Was ist das Konzept dahinter?
Neben der Tätigkeit an meiner Musikschule beschäftige ich mich als Konzertpädagogin mit der Konzeption spezieller Konzertprogramme für aus-gewählte Zielgruppen. Mit den Veranstaltungen meiner BAM!-Konzerte ist ein zweites Unternehmen gewachsen, das sich im Düsseldorfer Kulturleben seit fast 8 Jahren etabliert hat. Gemeinsam mit meinem erfahrenen Ensemble führe ich Babykonzerte und Kinderkonzerte auf, das sind klassische Konzerte für Familien mit Kindern von 0-3 oder 4-8 Jahren, die von professionellen Musikern an meiner Seite gespielt werden. Junge Familien können hier zu kindgerechten Uhrzeiten Klassikkonzerte von hoher Qualität besuchen, die speziell auf die Altersgruppe ihrer Kinder ausgerichtet sind. Sie können gemeinsam eine schöne Konzertstunde in angenehmer Atmosphäre genießen, ohne ihr Klein-kind abgeben zu müssen, um am kulturellen Leben teilzunehmen. Die Konzerte finden in enger Kooperation mit dem Bechstein Centrum im stilwerk-Konzertsaal in der Stadtmitte statt. Aber auch die Musikgeragogik hat mich lange beschäftigt: Die ersten klassischen Konzerte für Menschen mit Demenz habe ich 2012 zusammen mit dem ibk-Institut in die Welt gerufen. Diese fanden nicht in den Pflegeeinrichtungen, sondern in renommierten Konzertsälen statt, so dass die Gäste Kulturatmosphäre in einer echten Kulturstätte erleben konnten und nicht im Foyer ihres Pflegeheims. So konnten diese Menschen mit ihren Angehörigen für einen kurzen Augenblick ins satte Leben zurückkehren, während die Musik all ihre Sinne aktivierte, was über einen längeren Zeitraum hinweg messbar aufmunternd und heilsam wirkte. Das Programm mit dem Namen „Auf Flügeln der Musik“ ist heute Bestandteil zahlreicher Konzerthäuser in NRW, für das wir 2014 den BKM-Preis für kulturelle Bildung durch die Kultusministerin Grütters erhalten haben.
Ist Düsseldorf ein guter Standort für Musik? Bis auf einige wenige Bei-spiele sind Künstler aus Düsseldorf international kaum vertreten. Was könnte oder müsste verbessert wer-den?
Künstler brauchen Räume, in denen sie aktiv werden können. Es mangelt hier drastisch an Proberäumen für Musiker – ob für den klassischen Pianisten oder eine Band. Der „Störfaktor“ Musik muss positiven Raum und förderhafte Gesinnung bekommen. Wie die ehemaligen Proberaumvermieter von Kraftwerk.
Dass Proberäume von 10 qm im Keller schnell mal 500 Euro/Monat kosten können, erklärt schon alles. Knappheit bestimmt die Preise. In jedem Beruf ist es möglich, sich ein Büro zu mieten, um sein Start-up gründen. In der Musikausübung gibt es kein Gebäude, in dem der Schall geduldet wird oder Platz bekommt. Hier könnte die Stadt investieren. Die freie Kunstszene würde aufblühen. Als Studentin hatte ich die Möglichkeit, in der Hochschule in einem Überaum zu trainieren – auch wenn die Reservierung ein täglicher Kampf war. Nach dem Examen wird man mit seinem Beruf vor die Tür gesetzt und verfügt über keine Übemöglichkeiten mehr. Der Druck hält an, wenn die nächsten Konzerte folgen, man sich aber mangels Übemöglichkeiten unvorbereitet fühlt. Zu Hause schimpfen die Nachbarn über das stundenlange Praktizieren und führen kostspielige Gerichtsprozesse. Es sind oft die gleichen Menschen, die gerne ins Konzert gehen. Natürlich soll das Heim ein ungestörter Rückzugs-ort sein. Hier könnte die Stadt unter-stützend wirksam werden. Profitieren würden gleichsam Musiker wie ruhe-liebende Bürger. Bisher wird uns Musikern vermittelt, dass kein Raum für diesen Störberuf zur Verfügung steht. Meist müssen wir viel investieren. Die-se Profession ist mit vielen Opfern verbunden. Das Ergebnis ist nur auf der Bühne gesellschaftsfähig, nicht aber im Alltag. Wenn aber zum Beispiel die Schulen den Jugendlichen mehr Freiraum am Nachmittag einräumen würden, damit sie musizieren können, wäre die kreative Welt gerettet. Aber dies ist ein anderes langes Thema.
Kurzvita
Kamelia Neumüller, Dipl. Klavierpädagogin/Pianistin, Studiengang Musikpädagogik AfT Darmstadt, Hauptfach Klavier, Nebenfächer Flöte, Gesang und Musiktheorie; Dipl. Musikerziehung Studien-gang AME (Allgemeine Musikerziehung) RSH Düsseldorf. Studium Sozialpädagogik und Psychologie Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Kamelia Neumüller, Mutter zweier Kinder, widmet sich nach langjähriger solistischer Konzertarbeit und vielseitiger musikpädagogischer Projekte seit der Gründung ihrer privaten „Musikschule Niederkassel“ 2001 ausschließlich Kindern und Jugendlichen in den Fächern Klavier, Blockflöte, Querflöte, Musiktheorie, Musikalische Früherziehung, Liedergarten, BAM!-Babymusikgarten und speziell der Begleitung von hochbegabten Schülern vor Eintritt in das Musikstudium. Sie schrieb mehrere Lehrwerke und Unterrichtsprogramme zur frühkindlichen Musikentwicklung. Das Team umfasst mittlerweile 15 Mitarbeiter. Für Vorschulkinder schrieb Neumüller das Kinderbuch „Lenny, kleines Hasenkind“, das zu einem Kinderkonzert vertont wurde. 2011 gründete sie das Veranstaltungsinstitut BAM!-Konzerte in Kooperation mit dem Bechstein Centrum im Stilwerk.
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