8. November 2018In 2018/4

„Mit Gedanken und Ideen kann man viel bewegen“

Interview mit Birgitta Radermacher, Regierungspräsidentin in Düsseldorf


von Dr. Susan Tuchel

Verraten Sie uns etwas über Ihre Herkunftsfamilie?

Ich bin das jüngste von sechs Geschwistern, also das Nesthäkchen. Meine Eltern hatten einen Familienbetrieb in Köln. Ich habe ein Mädchengymnasium besucht und statt für den hauswirtschaftlichen Zweig habe ich mich für Latein entschieden und als erste in meiner Familie Abitur gemacht.

Und wie kamen Sie zur Jurisprudenz?

Ich war eher unschlüssig. Ich hätte gerne Zahnmedizin studiert, aber dafür reichte der Numerus Clausus nicht, und von einem Innenarchitekturstudium riet mir mein Vater vehement ab. Mit 17 Jahren lernte ich meinen späteren Ehemann kennen. Er erzählte mir etwas von „Hexenverbrennungen“, und das fand ich interessant – ist aber nicht Schwerpunkt des juristischen Studiums (lacht). Da er in einem höheren Semester war, war das Studieren nicht so romantisch, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich schaffte es schnell, alle Scheine zu machen, wenn auch nicht gerade mit Bestnoten. Für das Examen habe ich dann sehr hart gearbeitet, und während des Referendariats wurde ich schwanger. Auf einmal war ich 30, hatte drei Kinder, einen Mann, ein Haus und einen Hund und war absolut uninteressant für den Arbeitsmarkt.

Und was haben Sie dann gemacht?

Zunächst einmal ganz viele Ehrenämter im Kindergarten, in der Schule und in der Politik, denn ich bin 1982 in die CDU eingetreten. Der Grund war für mich ein Schlüsselerlebnis. Ich hatte im 2. Obergeschoss eines Parkhauses geparkt, passte dann aber nicht gemeinsam mit dem Kinderwagen in den Fahrstuhl, so dass ich ganz schnell die Treppe runterrennen musste, um den Kinderwagen unten wieder in Empfang zu nehmen. Da habe ich mir gedacht, dass sich noch vieles ändern muss.

Hat sich denn in der Retrospektive etwas geändert?

Ja, das hat es. Ich habe mich beispielsweise als Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses für die Sprachförderung in Kindergärten stark gemacht. Mithilfe von Stiftungsgeldern konnten wir 70 Gruppen fördern. Damals hatte ich für dieses Projekt keinen Rückhalt in der Fraktion. Heute gehört die Sprachförderung in den KITA-Alltag. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass man mit Gedanken und Ideen viel bewegen kann.

Sie machten sich dann als Fachanwältin für Familien- und Steuerrecht selbstständig, zogen aus dem Kellerbüro in eine Sozietät am Kölner Zoo und hatten von 1996 bis 2005 einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Köln. Im Jahr 2000 gründeten Sie den Landesverband Donum Vitae. Wie haben Sie das geschafft?

Durch meine vielen Ehrenämter und privaten Kontakte hatte ich mir einen Mandantenstamm und ein gutes „Frauennetzwerk“ aufgebaut. Wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt. 1998 bekam ich dann die Anfrage, ob ich Mitglied im Rat der Stadt Köln werden möchte. Damals habe ich mich gefragt, ob ich das schaffe. Danach habe ich mir geschworen, mir diese Frage nie wieder zu stellen. Das Netz hielt! (lacht)

Also auch nicht, als Sie als Beigeordnete für Schule, Jugend, Sport und Kultur die Chefin von 400 Mitarbeitern in Siegen wurden und als Polizeipräsidentin der Kreispolizeibehörde Wuppertal mit einem Schlag 1.800 Mitarbeiter hatten. Hat sich Ihr Führungsstil mit den jeweiligen Aufgaben geändert? 

Nein, ich bin meinem Führungsstil immer treu geblieben. Vieles ergibt sich in der Diskussion, im konsensualen Miteinander, auch hier in der Bezirksregierung. Und ich hatte immer tolle Teams.

Ihr jetziges Amt hat eine lange Tradition. Regierungspräsidenten wurden vor 210 Jahren durch die preußischen Stein-Hardenbergschen Reformen eingeführt. Sie sind Teil der Exekutive. Heute gehören Regionalplanung und -entwicklung, Umwelt- und Arbeitsschutz sowie die Schulaufsicht zu Ihren Aufgaben. Wie sind Sie in die aktuellen Luftreinhaltepläne involviert?

Für Düsseldorf haben wir zusammen mit vielen Experten, Verbänden und auch der Deutschen Umwelthilfe 65 Maßnahmen erarbeitet, die am 1.1.2019 in Kraft treten sollen. Fahrverbote wird es nicht geben, aber unser gesamtes Mobilitätsverhalten wird sich ändern müssen. Wir regen an, den Radverkehr weiter auszubauen, mehr Ladestationen für E-Bikes zu installieren, den Öffentlichen Personennahverkehr und die Ampelschaltungen zu verbessern. Es gibt Überlegungen, ob Logistikzentren in Außenbezirken sinnvoll sind und die Auslieferung am späten Abend erfolgt, wenn alle zu Hause sind. Es ist ein ganzes Maßnahmenbündel. Jeder und jede ist gefragt: Muss ich zehn Paar Schuhe online bestellen, wenn ich nur ein Paar kaufen möchte? Und reicht vielleicht einwöchentlicher Einkauf mit dem Auto?

Sie wohnen in Düsseldorf-Unterbach. Wie gehen Ihre Kölner Freunde mit diesem Ortswechsel um?

Im Spaß muss ich da schon viel aushalten. Aber da ich auch viele Freunde in Wuppertal habe, liegt Unterbach perfekt in der Mitte.

Haben Sie Lieblingsplätze in Düsseldorf?

Ich liebe es, am Unterbacher See zu sitzen und mit den Füßen im Sand und einem Aperol-Spritz in der Hand den Segelbooten zuzuschauen. Das beeindruckt übrigens auch meine Kölner Besucher. Ansonsten entdecke ich gerade die Gastro-Szene für mich, das Canoo am Robert-Lehr-Ufer, den Medienhafen, und vom Türmchen der Bezirksregierung habe ich einen tollen Blick auf Düsseldorf.

Wie halten Sie sich fit?

Ich laufe und schwimme regelmäßig und da ich zu Hause keinen Internetanschluss habe, lese ich viel, übrigens auch sehr gerne die Bücher vom Juristenkollegen Ferdinand von Schirach.

Hand aufs Herz, für welchen Rosenmontagszug werden Sie sich 2019 entscheiden?

Letztes Jahr habe ich den Düsseldorfer Zug erlebt und am nächsten Rosenmontag werde ich in Köln sein, wo im Übrigen auch meine Kinder und meine sechs Enkel leben. Das passt doch sehr gut zum diesjährigen Motto „Gemeinsam Jeck“, denn Rheinländer sind wir doch alle.


Kurzvita

Birgitta RadermacherBirgitta Radermacher (Jahrgang 1956) wurde in Köln geboren. Nach dem Abitur studierte sie dort Rechtswissenschaften und absolvierte ihr Referendariat. Mit drei kleinen Kindern machte sie sich als Rechtsanwältin mit den Schwerpunkten Familien- und Steuerrecht selbstständig. Von 1999 bis 2004 war sie Vorsitzende im Jugendhilfeausschuss im Rat der Stadt Köln. 2008 wurde sie Beigeordnete der Stadt Siegen für Schule, Jugend, Sport und Kultur. 2010 berief sie der damalige NRW-Innenminister Ingo Wolf zur Polizeipräsidentin der Kreispolizeibehörde Wuppertal.  Im September 2017 ernannte sie das Kabinett zur Regierungspräsidentin in Düsseldorf. Zu Radermachers Aufgaben gehören die Regionalplanung und -entwicklung, Umwelt- und Arbeitsschutz sowie die mittelbare Schulaufsicht über rund 1.700 Schulen.


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