2. August 2017In 2017/3

„Mit jeder Produktion verbindet man etwas Besonderes, eine Idee, ein Anliegen“

Interview mit Wilfried Schulz, Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses


von Dr. Siegmar Rothstein

Sie sind seit einem Jahr Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses. Des Öfteren haben Sie die Bedeutung des Theaters für das Zusammenleben der Gesellschaft hervorgehoben. Worin sehen Sie den Wert des Theaters? Was kann es bewegen? Wozu wird Theater gebraucht?

Ich glaube, dass die Gesellschaft im Augenblick immer weiter auseinander fällt, im sozialen ebenso wie im politischen Bereich. Ich sehe einen Hang zum Fundamentalismus. Man will einfach nicht mehr zuhören, nachdenken, abwägen.

Der Rigorismus und Egoismus wächst. Die Gesellschaft muss daher nach gemeinsamen Orten suchen, wo man zusammen kommen kann, ohne sich gleich die Köpfe einzuschlagen, wo man lernt, unterschiedliche Meinungen auszuhalten, Differenz zu ertragen.

Hier kann Kunst, Kultur und insbesondere das Theater einen großen Beitrag leisten. Hier schaut man gemeinsam auf die Bühne, bezieht sich auf etwas Drittes, auf eine Geschichte, ein Erlebnis, woraus sich dann ein Dialog entwickeln kann. Man muss einfach nur zwei Stunden zuhören und lernt wieder, sich in andere Menschen einzufühlen und abweichende Auffassungen und Verhaltensweisen zuzulassen und sich darüber zu verständigen.

Sie waren erfolgreicher und anerkannter Intendant des Staatsschauspiels in Dresden. Was hat Sie bewogen, das Angebot anzunehmen, für zunächst fünf Jahre Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses zu werden, das sich 2014 in nicht gerade guter Verfassung und geringer Auslastung befand?

In der Tat ist die Arbeit in Dresden damals sehr gut gegangen. Ich hatte das Angebot, bis ans Ende meiner Tage zu bleiben. In meinem Leben habe ich aber immer versucht, neuen Impulsen zu folgen, weite Wege zu gehen, mich nicht zu wiederholen und so finde ich den Sprung von Dresden nach Düsseldorf – also von Ost-Ost nach West-West – eine große Herausforderung. Mir war klar, dass das Haus unter künstlerischen Aspekten und was den Kontakt zu Publikum und Stadt betrifft in den letzten Jahren nicht besonders gut dagestanden hat. Dass andere übergroße Schwierigkeiten hinzukamen, war nicht abzusehen.

Wie haben Sie den Wechsel empfunden? In Dresden haben Sie stark auf die Pegida Bewegung reagiert, in Düsseldorf haben Sie wohl eine liberalere Grundstimmung vorgefunden.

In Dresden gab es eine sehr angespannte und kontroverse, von täglichen politischen Diskussionen beherrschte Situation. Man wusste genau, warum man dort Theater macht, empfand jeden Tag die Sinnhaftigkeit der gesellschaftlichen Funktion von Theater. Düsseldorf ist legerer. Diese Form von Gelassenheit fühlt sich erst einmal gut an. Ich lebe mit meiner Familie sehr gern in Düsseldorf, hier ist etwas Norditalienisches, etwas Entspanntes. Dennoch darf man nicht verschweigen, dass auch Düsseldorf unter starken sozialen, manchmal auch politischen Spannungen steht. Es gibt eine enorme Diskrepanz zwischen Reichtum und Armut. Das Theater ist dazu da, solche Spannungen aufzunehmen und sich mit der Stadt und der Gesellschaft auseinander zu setzen.

Ihre erste Spielzeit ist vorüber. Sie sind begeistert aufgenommen worden. Die Veranstaltungen sind nahezu ausgebucht. Die Premieren sind Gesprächsstoff in Düsseldorf und werden gefeiert. Was machen Sie anders als Ihre Vorgänger?

Keine Ahnung. Wir haben ein tolles Ensemble, sehr gute Mitarbeiter in der Leitung, in der Dramaturgie, in allen Bereichen. Das Theater, dass wir machen, basiert nicht auf einem tollen Einfall oder meiner Genialität. Wir arbeiten wahnsinnig viel an einer großen Bandbreite über das normale Repertoire hinaus. Wir haben genau auf die Stadt und ihre Menschen  geschaut, vieles ist gut aufgegangen. Wir sind auf die Leute zugegangen.

Ich spüre, dass es in Düsseldorf eine große Sehnsucht danach gibt, angesprochen und mitgenommen zu werden, das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass wir das Theater nicht für uns, sondern für die Zuschauer machen.

Ich glaube, es ist uns gelungen, eine große Vitalität und Lebendigkeit verbunden mit großer Wärme zu erzeugen. Dazu gehören die Silvesterparty ebenso wie Einführungen, öffentliche Premierenfeiern, viele Gespräche und Podiumsdiskussionen. Uns gefällt dieses Theater. Wir verschenken es, es wird angenommen. Auch wenn es mal komplizierter und kontroverser wird. Man will mit dem Theater leben und sich auseinandersetzen.

Sie haben mit Ihrem Kölner Kollegen vereinbart und schon in die Tat umgesetzt, wechselseitig eigene Inszenierungen in das jeweils andere Theater zu schicken. Das bedeutende ITI Festival Theater kommt 2020 nach Düsseldorf. Ist die Krise des Düsseldorfer Schauspielhauses bereits vorbei?

Was die künstlerische Krise des Hauses betrifft, glaube ich, dass wir in der Tat weit vorwärts gekommen sind. Die Inszenierungen – von Wilsons „Sandmann“ bis zur „Großbaustelle“ von Rimini Protokoll, vom schauspielerisch großartigen„Heisenberg“ bis zu Sönke Wortmanns „Willkommen“, von der uralten Geschichte „Gilgamesh“ bis zur Uraufführung von „Auerhaus“ – sprechen für sich. Die Leute merken es und sind enorm aufgeschlossen. Man schaut wieder in Düsseldorf auf das Theater und man schaut auf Düsseldorf. Bezüglich der Infrastruktur und baulichen Situation sind wir noch mitten in der Krise. Diese Krise ist erst überwunden, wenn wir wieder in das Stammhaus zurückgekehrt sind und das letzte Gerüst gefallen ist. Aber auch hier gibt es Fortschritte: Stadt, Land und die Düsseldorfer Bürgergesellschaft arbeiten an der Perspektive und Zukunft dieses wichtigen Hauses.

Solange ich sehe, dass es vorwärts geht, bringt die jetzige Situation zwar große Mühen mit sich, schafft aber auch Befriedigung, weil es ein Zukunftsprojekt ist. Es gibt kein Düsseldorfer Schauspielhaus ohne Düsseldorfer Schauspielhaus.

Sie leben noch mindestens ein Jahr in diesem Ausnahmezustand, müssen in mehreren Ausweichspielstätten improvisieren, wesentlich länger als Ihnen zugesichert wurde. Bereuen Sie es gelegentlich nach Düsseldorf gekommen zu sein, wenn Sie an Ihre glücklichen Zeiten in Hamburg, Hannover und Dresden denken?

Nein, ich lebe immer in der Gegenwart. Ich gebe aber zu, dass ich mich – nachdem ich meinen Vertrag unterschrieben hatte und danach die Probleme scheibchenweise immer größer wurden – gefragt habe: Warum tust du dir das eigentlich an? Ich hatte aber Einladungen an viele Künstler und Mitarbeiter ausgesprochen hier zu arbeiten. Ich hatte tolle Schauspieler angeworben, die ich nicht im Stich lassen konnte. Selbst wenn ich jedes juristische Recht der Welt hatte, konnte es nicht in Betracht kommen, mir meinen Vertrag auszahlen zu lassen, um mich dann in die Toskana oder sonst wohin zu setzen. Das mache ich nicht, das ist nicht mein Leben. Der weitere Grund ist, dass ich ein ganz schlechter Verlierer bin und glaube, dass es sich lohnt, um die Zukunft zu kämpfen.

Sie haben sich für die nächste Spielzeit mit 31 Premieren, davon 13 Ur- und Erstaufführungen, ein gewaltiges Programm vorgenommen. Welche Höhepunkte und welche berühmten Namen werden wir erleben können?

Mit jeder Produktion verbindet man etwas Besonderes, eine Idee, ein Anliegen. Es fällt mir daher schwer, einzelne Programmpunkte hervorzuheben. Ich freue mich sehr auf den Beginn mit der Orestie. Ich habe noch keine Ahnung, wie die Inszenierung am Schluss aussehen wird. Es ist ein ganz wichtiges Stück, das weit entfernt aus der Antike zu uns kommt. Es handelt von der Erfindung der Demokratie und der Überwindung von Rache und Hass, von der Selbstverantwortung der Menschen für ihr Schicksal, auch von der Sehnsucht nach einer besseren und gerechteren Welt. Ich finde es großartig, dass Andreas Kriegenburg die Regie bei der Dreigroschenoper übernommen hat und bin sehr gespannt auf die Inszenierung des Kaufmanns von Venedig durch unseren Hausregisseur Roger Vontobel. Ihre Frage muss man noch einmal am Ende der Spielzeit stellen. Man weiß ja nicht, wie alles wird – auch ich nicht. Kunst birgt die Chance des Gelingens und des Scheiterns. Kunst ist ein Abenteuer.

Wo sehen Sie das Düsseldorfer Schauspielhaus in einigen Jahren?

Einfach da, wo es hingehört: Unter den wichtigen innovativen und von den Zuschauern angenommenen Theatern im deutschsprachigen Theaterraum.

Das Düsseldorfer Schauspielhaus gehört von seiner Tradition, seiner Geschichte und seiner Ausstattung her zu den fünf, sechs oder sieben bemerkenswerten Häusern in der Republik, die auch international mitspielen sollten, die wahrgenommen werden und nach außen ausstrahlen. Wir sind auf dem Weg.

Fühlen Sie sich durch die Politik ausreichend unterstützt? Die zum Teil unerfreuliche Diskussion über den Standort und die Sanierung des Schauspielhauses ist ja vorbei. Positive Entscheidungen in Stadt und Land sind gefallen, wenn auch noch nicht alle Einzelheiten bereits festgelegt wurden. Glauben Sie, dass die Kultur in Düsseldorf den ihr gebührenden hohen Stellenwert hat und ihr nicht geringere Bedeutung als dem Sport zukommt?

Gegen Sport habe ich nichts einzuwenden. Ich gehe ab und zu zu Fortuna und war ein Fan der Tischtennisweltmeisterschaft. Und natürlich sollten Fußball-EM-Spiele in Düsseldorf stattfinden. Andererseits glaube ich, dass Düsseldorf eine große Kulturstadt ist. Alle Metropolen, die nach vorne marschieren, wissen, dass die Kultur wesentlich für die Ausstrahlung einer Stadt und auch ein großes Bindemittel nach innen ist. Sie ist ein Reflexionsraum der gesellschaftlichen Probleme und schafft Identität.

Ich halte es für eine absolute Selbstverständlichkeit, dass Düsseldorf sich zu seiner Kultur und seinem Kulturstandort bekennt und progressiv etwas dafür tut. In die Zukunft muss man investieren, damit sie eine wird. Düsseldorf wird diese Chance wahren wollen.

Es wird Sie erfreut haben, dass namhafte Düsseldorfer Bürger sich in einem Kuratorium zusammengeschlossen haben, um als Multiplikatoren die Sanierung und Modernisierung der Publikumsbereiche des Schauspielhauses durch Spenden zu unterstützen.

Darüber sind wir natürlich sehr froh. Stadt und Land sind dafür zuständig, dass sich das Haus grundsätzlich in einem ordentlichen Zustand befindet. Sie müssen sich also zum Beispiel um die technische Infrastruktur und die Fassaden- und Dachsanierung kümmern. Daneben ist es äußerst charmant und vollkommen richtig, dass sich Bürger dieser Stadt dafür einsetzen, dass die Bereiche, die dem Publikum gehören, gut aussehen: also die Foyers, die Kasse, die Eingangssituation, die Restauration, der Durchgang zum Hofgarten, die Terrassen und vieles mehr. Das Haus soll transparent und offen sein und wieder strahlen. Wir sind dankbar, dass sich 15 namhafte Bürger dieser Stadt bereit erklärt haben, Geld zu sammeln. Es geht aber nicht nur um Geld, sondern es zeigt sich hier eine große moralische kulturpolitische Unterstützung. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung.


Kurzvita

Wilfried SchulzWilfried Schulz wurde 1952 in Falkensee bei Berlin geboren. Studium der Theaterwissenschaft, Politologie und Germanistik in Berlin und Paris. 1976-1981 Hochschulassistent an der Hochschule der Künste in Berlin. Dramaturg an den Theatern in Heidelberg und Stuttgart. Chefdramaturg in Basel und von 1993-2000 Chefdramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. 2000-2009 Intendant des Schauspiels Hannover, ab Spielzeit 2009/2010 Intendant des Staatsschauspiels Dresden. Seit der Spielzeit 2016/17 Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses. Schulz hatte im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit Lehraufträge an den Universitäten Basel und Hamburg. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen, unter anderem über das Theater von Christoph Schlingensief. Während seiner Tätigkeit als Intendant und Dramaturg erhielten die Theater Einladungen zum Berliner Theatertreffen und waren bei vielen wichtigen Festivals vertreten. Die Produktionen wurden bei großen internationalen Gastspielen aufgeführt. Wilfried Schulz lebt mit seiner Familie in Düsseldorf.


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