„Wegen meiner Angst im Krieg habe ich mich immer mit Kinderliedern beruhigt. So wurde Singen mein ständiger Begleiter“
Interview mit der jungen kosovarischen Opernsängerin Elbenita Kajtazi
von Caroline Merz
Elbenita, von woher kommst Du?
Geboren wurde ich am 20.3.1991 in Mitrovica. Das ist eine Stadt, die heute in der Mitte getrennt ist. Die eine Seite ist serbisch, die andere albanisch. Das ist sehr traurig zu sehen. Auf der Brücke, die die beiden Teile verbindet, stehen immer noch die Kfor Truppen. Als ich klein war, haben wir hier am Fluss im Sommer gebadet. Heute sind beide Ufer streng bewacht.
Wie alt warst du bei Kriegsbeginn?
Ich war sechs Jahre alt und hatte drei kleinere Geschwister. Heute bin ich die Älteste von sieben Kindern. Damals auf der Flucht nach Albanien war ich sieben. Meine Mutter erwartete gerade das vierte Kind. Es war alles unfassbar. Ich erinnere mich leider täglich an Bilder, wie Leichen auf den Straßen, sterbende Kinder und immer waren diese Geräusche präsent, wie das Schießen der Gewehre und der Klang von explodierenden Granaten. Bis heute habe ich Albträume davon. Das vergisst man nie, glaube ich. Auf der Flucht nach Albanien sind wir von serbischen Milizen überfallen worden. Noch heute spüre ich an meinem Hals den Gewehrlauf, sie wollten Geld von meinem Vater. Dazu meine damals hochschwangere Mutter und meine kleinen Geschwister, die eiskalte Angst um meine Familie und natürlich auch um mein Leben – schrecklich. Zweimal ist so etwas auf der Flucht passiert.
Ihr seid damals nach Albanien geflohen?
Ja, nach Durres. Dort lebten wir in einem kleinen Zelt. Es war Sommer und schrecklich heiß. Es war so schwer, wenigstens sauberes Wasser für unsere Familie zu bekommen, vor allem für meine kleinen Schwestern und meine Mutter. Ich habe damals begriffen was es heißt, einfach nur sauberes Wasser zu haben. Unvorstellbar!
Dann ist deine kleine Schwester Nr.4 in Albanien geboren worden?
Ja, es war wie ein Wunder. Nach langen Monaten hatten wir schon jede Hoffnung auf Rettung und Rückkehr nach Hause aufgegeben. Und plötzlich hat Milosevic den Krieg beendet. Das war am 10.06.1999. Genau an diesem Tag wurde sie geboren. Meine Eltern gaben ihr den Namen Fitore. Das heißt Siegerin. Ein paar Tage später sind wir in den Kosovo zurückgekehrt. Es war fast alles zerstört, unser Hof dem Erdboden gleichgemacht. Wir mussten bei Null beginnen. Daher bin ich bis heute stolz auf meine Familie.
Wie bist du dann zur Musik, speziell zum Singen gekommen?
Durch meine Angst im Krieg. Ich habe mich immer mit Kinderliedern beruhigt. So wurde Singen mein ständiger Begleiter. Da ich eine schöne Stimme hatte, musste ich immer für alle singen. Mein Vater ist Erdkundelehrer. Während des Wiederaufbaus der Schulen sang ich bei allen Festivitäten. Mein erstes öffentliches Auftreten fand auch in besagter Schule statt. Ich habe ein Lied über den Krieg, die Angst der Kinder und für die toten Kinder gesungen. Den Text kenne ich immer noch auswendig. Mit 14 Jahren habe ich das erste Mal Maria Callas gehört. Da wusste ich, was ich werden wollte. Mit 18 Jahren habe ich dich (Caroline Merz) dann in Pristina kennen gelernt. Oh mein Gott, ich dachte damals, ich wäre schon in der Lage, alles zu singen. Doch dann hast du mir alles verboten, und ich habe ein Jahr nur Technik geübt. Es war sooooo schrecklich. Aber das wurde die notwendige Plattform für mein Singen heute. Wir hatten in Pristina ja fast gar nichts. Keine richtige Hochschule, keine Instrumente, keine Lehrer, keine Noten, kein Internet. Einfach nichts. Und niemand wollte Geld für so etwas ausgeben. Da ging es zuerst einmal um die Infrastruktur des Landes. Musik war schon Luxus. Die Musikschule war halb zerschossen und eine Ruine. Ich weiß noch, wie du mit uns Studenten über den Schutt gestiegen bist. Für dich war das ein Abenteuer, für uns Alltag.
Ja, das stimmt. Auch ich war entsetzt. Ich habe euch damals alle Noten dagelassen. Wir haben uns dann später – auch im November – in Albanien bei einem anderen Kurs wieder getroffen. Ihr Gesangsstudenten hattet eine internationale Einladung nach Amerika bekommen. Dort bist du besonders aufgefallen. Im Frühjahr konntest du schließlich nach Düsseldorf ausreisen.
Ja, in Amerika hatte ich das Glück, eine unglaublich engagierte Mäzenin kennen zu lernen: Vera Calabria. Sie hatte mir ein Vorsingen in Berlin ermöglicht. Du hast mich damals optimal darauf vorbereitet und den Flug bezahlt. Sonst wäre ich gar nicht dorthin gekommen. Und es hat sofort geklappt. So habe ich ein Stipendium an der Deutschen Oper Berlin bekommen. Es war wie ein Wunder mit meiner Lebensgeschichte. 2013 war also ein weiteres Schicksalsjahr. Ich blieb dort bis zum Sommer 2016. Im letzten Sommer war ich bereits bei den Salzburger Festspielen engagiert. Ich habe sogar eine mittelgroße Rolle neben Domingo gesungen, auch eine Konzertarie beim Abschlusskonzert. Es war phantastisch. Jetzt gehöre ich fest zum Ensemble des wunderschönen Aalto Theaters in Essen. Ich singe zurzeit die Pamina, die Proben für Liebestrank – Adina laufen auf Hochtouren. Demnächst kommen Gretel, Traviata, Liu und Musetta dazu. Auch Donna Anna und Lucia di Lammermoor stehen an. Ohne immer wieder ein ganz helles Licht am Ende des Tunnels hätte ich es nie dahin geschafft, wo ich jetzt stehe. Dafür bin ich unendlich dankbar. Meine Schwester Fitore möchte auch Musik studieren, Klavier. Vielleicht auch hier in Essen oder Düsseldorf. Wir werden sehen. Kind Nr. 7 ist mein einziger kleiner Bruder – der will lieber Fußballer werden.
Ähnliche Beiträge
„Herzkrankheiten sind in Deutschland die häufigste Todesursache“
Gespräch mit Prof. Dr. Paul-Reiner Körfer, Herzchirurg am Evangelischen Klinikum…
„Immer wenn ich singe, bin ich auf eine besondere Art beseelt und glücklich“
Interview mit Marc Marshall, deutscher Sänger und Entertainer im Bereich Jazz, Pop und…
„Ich bin nicht pessimistisch. Das Zusammenleben in Deutschland ist tolerant und genügend abgefedert“
Interview mit Raphael Evers, Oberrabbiner Jüdische Gemeinde Düsseldorf
„Das Theater an der Kö ist meine Denkfabrik, mein Thinktank“
Interview mit René Heinersdorff, Schauspieler, Regisseur, Autor und Theaterdirektor