5. Mai 2017In 2017/2

„Auf der Bühne fällt alles von einem ab“

Interview mit den Balletttänzern Sonia Dvořák und Philip Handschin


von Dr. Susan Tuchel

Balletttänzer ist eigentlich noch ein recht junger Beruf. 1661 trennte der Sonnenkönig Ludwig XIV. mit der Gründung der Académie Royale de danse in Paris den Tanz vom höfischen Zeremoniell. Dann dauerte es noch einmal 20 Jahre, bis auch Frauen öffentlich tanzen durften. Wie kamen Sie mit dem Ballett in Berührung?

Sonia Dvořák: Meine Großmutter besuchte Ballettkurse für Erwachsene. Ich wollte dort immer mitmachen, seit ich vier Jahre alt war. Musik, Gesang und Theater haben in unserer Familie immer eine große Rolle gespielt. Mein Vater hat im Theaterumfeld gearbeitet, meine Mutter ist Landschaftsarchitektin. Ich hatte das Glück, dass ich schon sehr früh ein seriöses Balletttraining in Ithaca bekommen habe. Zehn bis zwölf Trainings in der Woche hatte ich dort schon als Schülerin.

Philip Handschin: Eigentlich wollte ich in Musicals mitspielen. Ich habe mit meinen Eltern liebend gerne Grace Kelly-Filme gesehen. Dann wurde aus dem Musicaltraum eine Ballettausbildung. Mit fünf Jahren bin ich in meinem Schweizer 6.000 Seelen-Dorf zur Ballettschule gegangen.

Wie kam das bei Ihren Mitschülern an?

Philip Handschin: Nun ja, das kam nicht immer so gut an. Ich habe mich auch im Fußball versucht, bin auch noch bis heute Basel Fan. Aber mein Weg, meine Leidenschaft ist der Tanz. Eine Lehrerin hat mich dann nach Basel geschickt zu einer Schule von Swiss Olympic. Dorthin kommen alle Talente, auch Schwimmer, Fußballer, Turner und so weiter und wir hatten jeden Dienstag und Freitag vormittags Training. Mit 10 Jahren habe ich schon jeden Tag trainiert und den Nussknacker in Schulvorstellungen getanzt.

Wie ging es dann weiter?

Philip Handschin: Nach meiner Ausbildung habe ich mich beim Ballettwettbewerb Prix de Lausanne gemeldet, habe das Gotland Dance Seminar in Schweden sowie einen Sommerkurs beim Boston Ballet besucht. Es folgte ein Gastvertrag beim Finnischen Nationalballett, dem sich 2010 mein Engagement beim Ballett am Rhein anschloss.

Sonia Dvořák: Mein Weg führte mich zunächst nach Toronto. Dort wurde ich an der Canada‘s National Ballet School ausgebildet. Der Direktor der Schule ist übrigens mit Martin Schläpfer befreundet, so erfuhr ich schon sehr früh von der Compagnie in Düsseldorf. Aber vor Düsseldorf kam 2010 noch ein Engagement in Kiel als Solistin beim Ballett. Deutsch konnte ich damals noch nicht, aber ich hatte einen syrischen Freund, der mir mit großer Geduld die deutsche Sprache beibrachte, denn ich wollte auch die Leute außerhalb des Balletts verstehen. Im Ballett ist die „Verkehrssprache“ Englisch, das ist für mich natürlich sehr praktisch. Zur Spielzeit 2014 bin ich dann als Ensemblemitglied zum Ballett am Rhein gekommen.

Wie haben Sie sich kennen- und lieben gelernt?

Philip Handschin: Das Ballett, in dem wir zum ersten Mal zusammen getanzt haben, war „verwundert seyn – zu sehn“ von Martin Schläpfer. Es war die b.22-Premiere im Theater Duisburg. Danach haben wir angefangen, uns auch privat zu treffen und dann ging alles sehr schnell. Seit einem Jahr wohnen wir zusammen in Unterbilk in der Nähe des Floraparks.

Wie sieht denn der Tagesablauf eines Ballettpaares aus? Springen Sie schon mit einer Dehnübung aus dem Bett?

Sonia Dvořák: (lacht) Nein, erst wird gefrühstückt, dann radeln wir zur Merowinger Straße in unser wirklich sehr schönes Probenhaus. Das Training beginnt um 10 Uhr, aber vorher dehne und isoliere ich immer noch bestimmte Muskeln. Dann wird anderthalb Stunden trainiert und bis 14 Uhr mit einem der vier Ballettmeister, mit Martin Schläpfer oder auch mit einem Gast geprobt. Nach einer Mittagspause, bei der wir auch die Küche im Probenhaus gerne nutzen, geht es dann bis 18.30 Uhr weiter. Trotzdem ist jeder Tag anders, einen normalen Alltag kennen wir nicht. Und wenn wir am Abend eine Vorstellung haben, ist der Tag wieder ganz anders. Man ist fokussiert auf den Auftritt und braucht danach oft Stunden, um wieder „runterzukommen“.

Wie viele Auftritte haben Sie im Schnitt und wie halten Sie es mit der Ernährung?

Philip Handschin: Während einer Spielzeit sind es 50 bis 60 Auftritte, wobei die Gastspiele noch hinzukommen. Mit vollem Magen tanzt es sich nicht gut. Wir essen schon gesund, aber lassen auch nichts weg, worauf wir Lust haben. Vor Auftritten nehmen wir mittags die letzte Mahlzeit zu uns, die schon sehr eiweißhaltig und nahrhaft ist.

Haben Sie nach so viel Bewegung überhaupt noch Lust in Ihrer Freizeit tanzen zu gehen?

Sonia Dvořák: Ich tanze sehr gerne Tango und Salsa, auch im Tanzhaus. Aber natürlich darf das meine Arbeit nicht beeinflussen. Und manchmal bin ich nach einem Tag Training und Probe auch einfach körperlich zu erschöpft. Wenn ich zum Beispiel in b.31 Adagio Hammerklavier tanze, brauche ich nach jeder Vorstellung ein neues Paar Spitzenschuhe. Ich führe insgesamt ein ganz anderes Leben als andere in meinem Alter. Ich brauche für meine Arbeit kein Handy und keinen Computer. Dafür bekomme ich jeden Tag Live-Musik von einem Pianisten vorgespielt und lerne, wie ich meinen Körper und meine Gedanken beeinflussen kann.

Haben Sie auch bei dem Film über Martin Schläpfer „Feuer bewahren – nicht Asche anbeten“ mitgewirkt?

Philip Handschin: Ja, wir waren beide zu sehen. Wir genießen es beide sehr, in der Compagnie von Martin Schläpfer zu tanzen. Die Arbeitsatmosphäre ist sehr gut, das künstlerische Repertoire großartig. Nehmen wir zum Beispiel b.26. Da haben sie drei Jahrhunderte Tanzgeschichte auf einmal. Wir fühlen uns als Schläpfer-Tänzer.

Die Proben für b.32, die „Petite Messe solennelle“ nach Gioacchino Rossinis gleichnamiger Messe haben begonnen. Premiere für das neue Ballett Martin Schläpfers mit vier Solisten, einem gemischten Chor, zwei Klavieren und Harmonium ist am 2. Juni. Die Uraufführung wird vom ZDF/3sat aufgezeichnet und am 22. Juli gesendet. Martin Schläpfer hat dazu gesagt: „Mich interessiert das poröse Gestein zwischen Leben und Gelebtem, Geistigem und Göttlichem, Niedrigem und Hohem, Tanz, Theater, Poesie und Commedia dell’arte.“ Worauf dürfen wir uns freuen?

Sonia Dvořák: Es ist in der Tat ein sakrales Werk, aber nicht klassisch, eine Mischung aus italienischem Leben und Glaubensfragen. Die Bühne wird ein wenig wie eine Piazza aussehen, dennoch reduziert sein. Die Kostüme sind im Stil der 50er-/60er-Jahre. Es wird sehr farbig und abwechslungsreich werden.

Was bedeutet es für Sie auf der Bühne zu stehen?

Sonia Dvořák: Ich möchte immer so authentisch wie möglich sein, ich versuche zu geben und nicht nur zu spielen. Ich spüre mit jeder Faser die Verbindung zum Publikum. 

Philip Handschin: Die Bühne ist wie ein Tunnel, alles fällt von einem ab. Man möchte den Auftritt einfach genießen.

Apropos genießen, worauf freuen Sie sich?

Sonia Dvořák: Wir freuen uns auf den Sommer. Wir sind gern draußen und spannen dann beispielsweise eine Slackline am Rheinufer gegenüber von den Gehry-Bauten, spielen Frisbee mit Kollegen und in der Spielpause im Sommer stehen Prag, die Schweiz und natürlich ein Besuch bei meiner Familie in den USA auf dem Programm.

Ganz ohne Sport?

Philip Handschin: Nein, wandern und schwimmen gehören schon dazu, aber der Körper braucht auch einfach mal eine Pause. Trainiert wird dann nur ganz wenig. Ganz ohne Bewegung geht es allerdings nicht, denn die Beweglichkeit und die Kraft lassen unglaublich schnell nach.


Kurzvita

Sonia DvorakSonia Dvořák wurde geboren in Ithaca/USA, einer City im Tompkins County im Bundesstaat New York. Ihre Ausbildung erhielt die 24-Jährige beim Ithaca Ballet sowie an der renommierten Canada’s National Ballet School in Toronto. 2010 erhielt sie dort den Christopher Ondaatje Ballett-Preis, ein Jahr später den Peter Dwyer Award. 2011 wurde sie als Solistin für das neu formierte Ballett Kiel engagiert. Hier debütierte sie in der Rolle von Clara in „Der Nussknacker“. Außerdem war sie in zahlreichen Solopartien von Yaroslav Ivanenko und Natalia Horecna zu sehen, unter anderem sang und tanzte sie die Hauptrolle der Marilyn Monroe in „Der Fall M.M.“. Zu ihrem Repertoire gehören außerdem Choreographien von George Balanchine, Robert Binet, Nacho Duato und Marius Petipa. Seit der Spielzeit 2014/15 ist die Tänzerin beim Ballett am Rhein engagiert. Hier war sie unter anderem in Werken von Martin Schläpfer, Jerome Robbins, Mats Ek und William Forsythe auf der Bühne zu erleben. Außerdem trat sie als Solistin in George Balanchines „Duo Concertant“ und „Mozartiana“ auf. Aktuell ist sie in der „Petite Messe solennelle“ zu sehen.


Philip HandschinPhilip Handschin stammt aus Gelterkinden, einem Dorf im Kanton Basel-Landschaft in der Schweiz. Seine Ausbildung erhielt der 25-Jährige an der Ballettschule des Theaters Basel, beim Gotland International Dance Seminar in Schweden sowie beim Boston Ballet. 2010 nahm er am Prix de Lausanne-Wettbewerb teil. Nach einem Gastvertrag beim Finnischen Nationalballett trat er 2010/11 als Mitglied des Balletts am Rhein sein erstes festes Engagement an. Hier hat er seitdem eine Hauptrolle in „Bournonville Divertissement“ von August Bournonville getanzt und war in Werken unter anderem von George Balanchine, Jerome Robbins, William Forsythe, Martin Schläpfer, Amanda Miller und Hubert Essakow zu erleben. Seine Partnerin – nicht nur auf der Bühne – ist Sonia Dvořák.


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