14. August 2017In 2017/3

Anleger: Yes, You Can!

Gespräch mit dem unabhängigen Finanzexperten Atilla Kilinc


von Christian Theisen

Sie vertreten die These, dass traditionelle Finanzdienstleister wie Banken und Versicherungen den Anlegern keinen Mehrwert bieten. Wieso?

Banken und Versicherungen haben vor der historischen Niedrigzinsphase Anlegern Produkte verkauft, die eine geringe Realverzinsung ohne Risiko erwirtschaftet haben. Sie haben dabei von der Risikoaversion der Anleger und den Ausgabeaufschlägen sowie laufenden Gebühren vorzüglich profitiert. Seit der Subprime-Krise mit der Lehman-Pleite in 2008 hat die EZB jedoch die Zinsen von damals 4,25% bis Q1-2016 auf 0% gesenkt. Eine baldige Erhöhung ist nicht absehbar. Die Inflation beträgt aktuell 1,7% und die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen lediglich 0,38% p.a. Was das Vermögensmanagement betrifft, ist das alte Geschäftsmodell von Banken und Versicherungen somit obsolet. Die aktuelle Vertrauenskrise und Schlagzeilen belegen meine Einschätzung.

Was können Anleger im aktuellen Niedrigzinsumfeld tun?

Das Wichtigste ist, aktiv zu werden und sich unabhängig sowie kompetent zu informieren. In Deutschland ist das Thema Geldanlage (noch) ein Tabuthema, aber jeder Anleger verschenkt über den Zinseszinseffekt langfristig Tausende von Euro – oder noch schlimmer – nimmt einen Realwertverlust für das hart verdiente Vermögen hin.

Können Anleger mit traditionellen Produkten eine positive Realverzinsung erzielen?

Auf jeden Fall. Das wichtigste Element ist die Anpassung der Portfolioallokation. Aktuell hält jeder Anleger in Deutschland im Durchschnitt 80% seines Geldvermögens als Bargeld beziehungsweise in Versicherungsprodukten, die wiederum zu 90% in Anleihen investiert sind.

Das zweite Element ist die Überprüfung der Investments unter Kostenaspekten, denn laut einer Studie der europäischen Finanzaufsicht ESMA schlagen 86% der aktiven Fondsmanager nicht die Benchmark (vergleichende Analyse) – hierfür werden bis zu 5% Ausgabeaufschlag sowie laufende Management-Gebühren von circa 1,5% p.a. von den Anlegern verlangt.

Welche alternativen Produkte gibt es für Anleger?

Abhängig vom Anlagebetrag, des Anlagehorizonts sowie Expertise des Anlegers gibt es im Bereich Private Equity (Eigenkapitalbeteiligungen an nicht-börsennotierten Unternehmen), Private Debt (Fremdkapital an mittelständische Unternehmen) sowie Infrastruktur interessante Produkte. Hierbei ist jedoch essentiell, eine professionelle Vorabselektion vorzunehmen und die Geeignetheit für den Anleger zu beurteilen.

Welche Rolles spielen Fintechs in der heutigen Zeit?

Fintechs bieten Anlegern spezialisierte, kundenfreundliche(re) und kostengünstige Möglichkeiten im Finanzsektor, weil die traditionellen Finanzdienstleister neue Trends verschlafen und den Kundenfokus aus dem Auge verloren haben. Vielmehr sind sie mit internen und regulatorischen Herausforderungen konfrontiert. 

Neben den Fintechs gibt es jedoch viele innovative Unternehmen aus den Bereichen Digitalisierung, IoT (Internet of Things), Blockchain oder Elektromobilität, die interessante Investmentmöglichkeiten bieten.

Muss der Anleger in der jetzigen Zeit zum Finanzexperten werden?

Seit 1991 gehe ich meiner Passion für die Börse nach und habe verschiedene Funktionen in der Finanzbranche, zuletzt bei einem der global führenden Asset Manager, übernommen. 

Immer wieder habe ich die Erfahrung machen müssen, dass viele Anleger in ungeeignete und zu teure Anlageprodukte investiert haben, weil sie die Produkte und die damit zusammenhängenden Risiken nicht verstanden haben. Dabei war der Bankberater aus meiner Sicht zu oft Bankverkäufer. Da vielen Anlegern neben ihrem Beruf und der Familie schlicht die Zeit fehlt, um sich Finanzthemen zu nähern, können Anleger auf die Expertise und Kompetenz unabhängiger Experten zurückgreifen, um ihr Vermögen zu bewahren und zu vermehren.


Kurzvita

Atilla KilincAtilla Kilinc wurde 1971 geboren. Nach dem Abitur 1991 Bankausbildung und Studium der Wirtschaftswissenschaften in Düsseldorf und Göteborg (Diplomarbeit über den Neuen Markt). Abschluss Diplom-Kaufmann. Zusatzqualifikation 2006 als Charterholder CFA.

Berufliche Stationen: 1999 PwC – Corporate Finance, 2001 Equity Partners – Investments, 2004 DB Private Equity – Alternative Assets, 2017 Selbständiger Finanzexperte/-berater (kilincconsulting.com)


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