„Zeit für einen Aufbruch in der Düsseldorfer Kultur“
Gespräch zwischen Wolfgang Rolshoven, Jonges-Baas und Dr. Hagen Lippe-Weißenfels, Kaufmännischer Direktor und Vorstand der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Lippe-Weißenfeld: Lieber Herr Rolshoven, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Düsseldorfer Kultur?
Rolshoven: Ich finde, unsere Stadt verkauft sich kulturpolitisch unter Wert. Sie bietet viel, aber zu viel umkoordiniert. Nehmen wir als Beispiel die Depots der einzelnen Kultureinrichtungen, die jede Menge Kunstbestände beinhalten. Nur 10 Prozent der Bestände werden überhaupt gezeigt. Der Rest ist über die ganze Stadt in einzelnen Depots verstreut. Die Stadt selbst weiß, soweit man hört, gar nicht, wie hoch die Bestände sind und welchen Besitz sie hat. Und das Gleiche gilt für dieArchivierung. Jede Kultureinrichtung hat ein eigenes Archiv. Es muss eine Reform der Kulturinstitute erfolgen. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Lippe-Weißenfeld: Ich fände es an der Zeit, dass wir gemeinsam den Blick mehr auf grundsätzliche Fragen lenken, die die Relevanz der Kultur für unsere Stadt unterstreichen. Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik, sie ist letztlich Demokratiepolitik! Es braucht jetzt eine couragierte, führungsstarke Kulturpolitik, die den jahrelangen Stillstand aufbricht und die Kultur wieder da verortet, wo sie hingehört: In die Mitte der Gesellschaft – kraftvoll, streitbar, visionär! Relevanz ergibt sich doch nur, wenn die Kultur Fragestellungen diskutiert, die für die Menschen wirklich wichtig sind. Wenn man zudem die richtigen Partner an seiner Seite weiß, die einen dabei unterstützen, kann man im Team ans Werk gehen. Die Kulturpolitik muss sich als Ansprechpartner für alle wichtigen Politikbereiche wie Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Tourismusmarketing, Stadtplanung etc. anbieten und dafür aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen. Das erwarten doch die Menschen dieser Stadt zu recht viel mehr, als das konzeptlose Klein- Klein, was am Ende zu Stillstand und Erstarrung führt.Was sind Ihrer Meinung nach die aktuell größten Probleme?
Rolshoven: Jede Kultureinrichtung sieht sich als Solitär. Wir müssen wegkommen vom Besitzstandsdenken der einzelnen Kultureinrichtungen, hin zu einer „Marke Kultur“ der Landeshauptstadt Düsseldorf. Es gibt Reformgutachten und bald einen neuen Kulturentwicklungsplan, der dann aber auch von der Politik umgesetzt werden muss. Wie beurteilen Sie denn die aktuelle Kulturpolitik?
Lippe-Weißenfeld: Unserer Kulturpolitik fehlt seit Jahren ein schlüssiges Gesamtkonzept, insofern kann der Kulturentwicklungsplan hilfreich sein. Er ersetzt aber nicht fehlende Visionen, Mut und Entschlossenheit, die Kulturszene nicht nur defensiv zu verwalten, sondern offensiv zu gestalten! Deshalb wäre es fatal, ihn mit Erwartungen zu überfrachten und zu glauben, man hätte dann quasi ein Lösungshandbuch für alle Probleme der Zukunft. Der Kulturentwicklungsplan kann im besten Falle ein hilfreicher Handlungsleitfaden sein. Was müsste aus Ihrer Sicht konkret geändert werden?
Rolshoven: Die Kulturinstitute dürfen nicht abgeschafft werden, sondern die Strukturen müssen verbessert und Synergien gehoben werden. Wir brauchen zentrale Verwaltungsund Kompetenzservices. Gewisse Kultureinrichtungen zusammen zu legen, ist ein Weg. Es würde mir aber als Düsseldorfer im Herzen weh tun, das historische Hofgärtnerhaus als Immobilie der privaten Wirtschaft zu übergeben, ohne zu wissen, was mit dieser Immobilie danach passiert. Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zum Kulturentwicklungsplan?
Lippe-Weißenfeld: Wir sollten jetzt sehr zügig den Kulturentwicklungsplan erstellen. Danach das Extrakt aus diesem Plan in operativen Zielen festschreiben. Diese Ziele dann priorisieren und mit konkreten Budgetplänen hinterlegen und schließlich mit einem Ratsbeschluss auf der Zeitschiene und im Haushalt festlegen, in welchem Haushaltsjahr ganz konkret welches Projekt umgesetzt wird. Zeitgleich müssen Kulturdezernat und Kulturamt so umstrukturiert werden, dass ein professionelles Prozessmanagement im personell, finanziell und zeitlich gewünschten Rahmen sichergestellt wird. Stichwort Finanzen: Wir beide sind von Hause aus Banker. Wie beurteilen Sie auf mittlere Sicht die finan zielle Entwicklung der Kunst- und Kulturszene?
Rolshoven: Wir haben einen Kulturetat von über 120 Millionen Euro, der meines Erachtens ausreichen müsste. Durch Hebung von Synergieeffekten können die Mittel, die eingespart werden, für besonders attraktive Ausstellungen für Düsseldorf und für die freie Szene eingesetzt werden. Damit würden Düsseldorfer Ausstellungen attraktiv für Besucher aus ganz Deutschland und darüber hinaus werden. Allerorten ist Sparen angesagt. Unsere weiteren Bemühungen müssen sich auf sogenannte freiwillige Leistungen konzentrieren. Also auf das, was man sich als Extras leistet. Da steht Düsseldorf von jeher weit vorn und das bürgerliche Engagement der Düsseldorferinnen und Düsseldorfer würde sich weiter erhöhen lassen, wenn – nach Jahren des Stillstandes – überzeugende Reformen umgesetzt werden. Aber Sie kennen sich mit den Etats besser aus. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Lippe-Weißenfeld: Das Thema ist aus meiner Sicht ein ganz sachlichpragmatisches. Gefühlt reicht der Kulturetat nie aus, um alle Wünsche zu befriedigen. Es braucht deshalb ein klares, überzeugendes, inhaltliches Konzept, welches kulturelle Angebot konkret man in der Stadt haben möchte. Daraus ergibt sich dann das Finanzierungsvolumen und am Ende müssen Kulturpolitiker, Kulturschaffende und weitere, idealerweise neue Partner aus Wirtschaft und Bürgerschaft, die man bis dahin gewonnen hat, gemeinsam in verteilten Rollen die Sicherstellung der finanziellen Ressourcen bewerkstelligen. Wie würde eine von Ihnen in die Debatte eingebrachte Reform der Museumsorganisation denn konkret aussehen?
Rolshoven: Wie gesagt, wir brauchen zentrale Verwaltungs- und Kompetenzservices. Ich würde es Kultur- Holding nennen, wo der gesamte administrative Bereich – Personal, Finanzen, Marketing, Werbung, IT, Immobilienmanagement, Öffentlichkeitsarbeit etc. – gebündelt wird und als Dienstleistungsgesellschaft den einzelnen Kultureinrichtungen zuarbeitet. Die Leiter/innen der Kulturinstitute bleiben selbständig und können sich ganz auf ihre wissenschaftlichen Arbeiten, Ausstellungen, Konzerte und Veranstaltungen konzentrieren und dadurch Alleinstellungsmerkmale oder Solitäre für die einzelnen Kulturbereiche schaffen. Die künstlerische und wissenschaftliche Arbeit darf dadurch nicht beeinträchtigt werden. Eine Kulturholding mit einem Generaldirektor und kaufmännischen Vorstand an der Spitze könnte ich mir gut vorstellen. Der zurzeit in Arbeit befindliche Kulturentwicklungsplan sollte sich daran orientieren und auch die freie Kulturszene nicht vergessen. Das wäre doch ein guter Ansatz, oder?
Lippe-Weißenfeld: Absolut, dem kann ich nur zustimmen! Ich fände es sinnvoll, wenn sich die hiesige Museumszene als Verbund etwa nach Berliner, Münchner oder Dresdner Vorbild mit einem Generaldirektor als Gesicht der Museen organisatorisch neu aufstellt. Ihm würden dann die Museumsdirektoren als Leiter der einzelnen Häuser zugeordnet. Die Gesamtkoordinierung durch einen Generaldirektor macht die Inhalte nach außen viel leichter kommunizierbar und erhöht die Strahlkraft der Kunst- und Kulturstadt Düsseldorf spürbar. Zudem würde durch die kaufmännische Zentraleinheit der Kulturetat automatisch optimiert und wirkungsvoller genutzt.
Rolshoven: Was zeichnet aus Ihrer Sicht die Kunst- und Kulturstadt Düsseldorf aus?
Lippe-Weißenfeld: Das Maß an kultureller Dichte, gemessen an der geographischen Fläche der Stadt, macht Düsseldorf einzigartig. Wir haben hier eine einmalige Vielfalt, die wir jetzt nur besser wahrnehmbar nach außen kommunizieren müssen. Analog zum Markenbildungsprozess in Sachen Stadtmarke muss jetzt auch in der Kultur eine Profilschärfung stattfinden, die der Qualität der Kunst- und Kulturstadt Düsseldorf Rechnung trägt. Dann wird auch das leidige Thema der finanziellen Mittelverteilung am Ende kein Kampf jeder-gegen-jeden, sondern das Ergebnis eines gemeinschaftlichen Willensbildungsprozesses sein mit dem Ziel, die Stahlkraft und Attraktivität der Stadt national und international bestmöglich zu erhöhen. Dieser Wunsch verbindet uns doch letztlich alle.
Rolshoven: Ja, das sehe ich auch so. Wir haben eine hohe Vielzahl an hervorragenden Kultureinrichtungen für alle Lebensbereiche und Interessen der Bürgerinnen und Bürger unserer Heimatstadt. Daraus resultiert ein großzügiges Freizeitangebot. Die Kulturschaffenden, die Kulturpolitiker, die Stadtverwaltung, die Düsseldorfer Unternehmen und die Bürgerschaft engagieren sich für die Kunst- und Kulturstadt Düsseldorf
über das normal Übliche hinaus. Das zeichnet Düsseldorf aus und stärkt den Zusammenhalt in unserer Stadt.
Kurzvita
Hagen Lippe-Weißenfeld würde geboren am 21.03.1975. Kindheit und Jugend am Niederrhein und im Münsterland. Nach einer Banklehre bei der Deutschen Bank Berlin sowie BWL- und Politikstudium, Promotion mit einer vergleichenden Studie über die Klavierbauindustrien in Deutschland und England an der Freien Universität Berlin. Während des Studiums Geschäftsführer der familieneigenen Liegenschaftsgesellschaft. Ab 2004 Vorstandsassistent der Berliner Klavier- und Flügelmanufaktur C. Beckstein Pianofortefabrik AG. 2006 Übernahme der Vertriebs- und Marketingleitung der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM). Aufbau des Markenmuseums „KPM-Welt“. 2009 Berufung zum kaufmännischen Direktor und Vorstand der Stiftung Kunstsammlung NRW. 2015 Wahl als NRW-Landesgruppensprecher in den Vorstand der Kulturpolitischen Gesellschaft. Zahlreiche Mitgliedschaften, u. a. in den Kuratorien der Landesjugendensembles NRW, der Kaiserswerther Diakonie, des Heinrich Heine Kreises, 2. Vorsitzender Förderverein Kaiserpfalz Kaiserswerth, Rotary Club Kaiserpfalz, Düsseldorfer Jonges usw. Verheiratet mit der Neurologin Dr. Charlotte von Wilmowsky und Vater von vier Kindern.
Wolfgang Rolshoven wurde geboren am 15.9.1945, Derendorfer Jong. Nach Abschluss des Bankbetriebsstudiums Tätigkeiten in leitender Funktion bei verschiedenen Kreditinstituten, 15 Jahre Mitglied des Vorstandes einer Regionalbank. Seit 01.01.2011 Bankdirektor i.R., Landesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren von NRW von 1983-1984, Handelsrichter am Landgericht Düsseldorf 1985-1995, Mitglied des Bildungsausschuss DIHT Bonn von 1986-1989, Mitglied im Kreditwirtschaftlichen Ausschuss der IHK zu Düsseldorf von 1986-1989. Seit 1982 Mitglied des Heimatvereins Düsseldorfer Jonges e.V., Tischbaas der TG Wirtschaft bis 30.06.2012. Danach Mitglied des Vorstandes des Heimatvereins Düsseldorfer Jonges e.V. und seit 01.12.2012 Baas der Düsseldorfer Jonges e.V. Seit 1986 Mitglied im Industrie-Club und seit 1988 Mitglied im Rochus-Club. Begeisterter Tennisspieler und Läufer (u.a.11 Marathonläufe).
Ähnliche Beiträge
„Die CDU will in Nordrhein-Westfalen wieder zu einem Aufsteigerland machen“
Interview mit dem Landesvorsitzenden der CDU NRW, Armin Laschet
„In den Städten wird, insbesondere bei jüngeren Menschen, die Bedeutung des Autos als Statussymbol abnehmen“
Interview mit Jürgen Büssow, Regierungspräsident a.D.
„Ich möchte meine Geschichte akkurat erzählen“
Interview mit dem Schauspieler Bernhard Bettelmann
„Ich möchte irgendwann einmal einen historischen Krimiroman schreiben“
Interview mit der Autorin Rebecca Gablé