27. Mai 2016In 2016/2

„Die CDU will in Nordrhein-Westfalen wieder zu einem Aufsteigerland machen“

Interview mit dem Landesvorsitzenden der CDU NRW, Armin Laschet


von Dr. Siegmar Rothstein

Sie sind führender Politiker nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Wie kommt man zur Politik? Ist das vorgegeben, zum Beispiel durch Einflüsse im Elternhaus oder entwickelt sich der Weg dahin nach und nach? Was reizt Sie, politisch aktiv zu sein?

Engagiert war ich schon immer, in der Pfarr- und Jugendarbeit in meiner Kirchengemeinde in Aachen, in der Schülervertretung und der Schülerzeitung, in einer „Dritte-Welt-Gruppe“, mit der wir Altpapiersammlungen ebenso organisierten wie Konzerte und Kulturveranstaltungen und vieles mehr. Und irgendwann hat mich jemand gefragt, ob ich nicht in der CDU mitmachen will. In der Politik kann man Dinge verändern. Das macht mir Spaß.

Sie sind Oppositionsführer im nordrhein-westfälischen Landtag. In dieser Funktion setzen Sie sich oft sehr kritisch mit der Politik der Landesregierung auseinander. Worin sehen Sie deren Schwächen? Welche Probleme in NRW sind hausgemacht? 

Nordrhein-Westfalen kann viel mehr und wird von rot-grün unter Wert regiert. Unser Land ist in Vergleichen mit den anderen 15 Bundesländern einfach zu oft Schlusslicht. Die Kinderarmut wächst nirgendwo so stark wie bei uns. Die Einbruchskriminalität nimmt stetig zu, während die Aufklärungsquote immer weiter sinkt. Und seit einigen Wochen wissen wir, dass Nordrhein-Westfalen, das Kernland der deutschen Industrie, im vergangenen Jahr als einziges Bundesland kein Wirtschaftswachstum hatte. 16tes von 16 Bundesländern – das ist nicht der Platz, der unserem Nordrhein- Westfalen gebührt.

Unter Ihrer Führung ist die CDU in NRW nach dem schlechten Wahlergebnis 2012 inzwischen wieder auf Augenhöhe mit der SPD, wobei Sie gelegentlich bei Umfragen sogar besser abschneiden. Im kommenden Jahr sind Landtagswahlen. Was wird ein Ministerpräsident Armin Laschet zu ändern versuchen? 

Bis zu den Landtagswahlen ist noch ein Jahr Zeit. Wir freuen uns über die positiven Umfragen, wollen sie aber nicht überbewerten. Die CDU Nordrhein-Westfalen hat nach der Niederlage 2012 eine schonungslo se Fehleranalyse betrieben. Anschließend haben wir einen Prozess der Selbstvergewisserung begonnen. Viele Menschen, zum Teil sogar unsere Mitglieder, wussten nicht mehr, wofür die CDU stand. In einem mehr als zweijährigen Prozess haben wir unter Beteiligung vieler tausend Mitglieder, Funktionsträger und Freunde ein eigenes Grundsatzprogramm entwickelt. Das Ergebnis ist eine Liebeserklärung an unser Nordrhein-Westfalen. Gleich zeitig ist es programmatische Grundlage unserer Politik. Wir haben eine Idee und einen Plan davon, wie wir unser Land wieder nach vorne bringen können. Wir wollen Nordrhein-Westfalen zu einem Aufsteigerland machen.

Dem neuen Landtag werden wohl sechs Parteien angehören. Nach den Erfahrungen der drei Landtagswahlen in diesem Jahr wird es wohl nicht einfach sein, bei einem Wahlsieg eine Koalition zu bilden, wahrscheinlich nur Dreierkoalitionen oder die sogenannte große Koalition. Wird aber das Regieren nicht sehr schwierig, wenn sich Parteien mit sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen zu einer Koalition verbinden müssen? Der gemeinsame Nenner wird doch sehr klein. 

Ob es tatsächlich sechs Parteien in den Landtag schaffen werden, wird sich zeigen. Aber die Möglichkeit ist da. Deswegen setzen wir alles daran, stärkste politische Kraft zu werden. Von Demokraten wird in diesen schwierigen Zeiten vom Wähler zu Recht erwartet, dass sie in Sachfragen zusammenarbeiten und gemeinsam Lösungen suchen. Es geht bei Koalitionen doch immer darum, in einer fairen Diskussion die Grundlage für eine gemeinsame Regierung zu finden und das Beste für das Land herauszuholen. Unter Demokraten wird das funktionieren.

Im Bundestag verfügen CDU und SPD zusammen über 503 von 630 Sitzen. Aber seit mindestens einem Jahr wenden sich immer mehr Wähler von diesen beiden großen Parteien ab, sie haben offenbar Vertrauen verloren. Das Parteiensystem schichtet sich um. Dies ist auch in anderen Ländern zu beobachten. In Österreich haben bei der Wahl zum Bundespräsidenten die vergleichbaren Parteien ÖVP und SPÖ zusammen nur noch 23 Prozent der Stimmen erhalten. Beunruhigt Sie diese Entwicklung?

Die großen Volksparteien müssen auf die Menschen zugehen und ihnen ihre Politik erklären. Da müssen wir noch deutlich besser werden. Gerade auch das Thema der Flüchtlingspolitik und der Kriege in Syrien und der Region ist so komplex, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Das ist immer schon die Aufgabe der Politik gewesen, die Herausforderungen zu erkennen, sinnvolle Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten und das dann den Menschen zu erklären, die sie gewählt haben. Wir sehen doch gerade am Beispiel Österreich: Wer Parolen und Politik von Populisten übernimmt, macht sie stark und verliert am Ende. Das sollte auch für uns hier in Deutschland ein warnendes Beispiel sein. Eine große Herausforderung ist offenbar die AfD. Manche Politiker wollen überhaupt nicht mit ihr sprechen, sie gewissermaßen ignorieren. Muss man sich aber nicht kritisch öffentlich mit ihren Thesen auseinandersetzen und darlegen, wohin ihre Politik letztlich führen würde? Wie wollen Sie mit dieser neuen Partei umgehen?  Von Anfang an habe ich mit der AfD in Streitgesprächen und Fernsehsendungen diskutiert. Ich finde es falsch, dass sich Frau Kraft dieser Diskussion verweigert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man die simplen Thesen der AfD argumentativ widerlegen kann. Auf ihrem Bundesparteitag hat die AfD gezeigt, dass sie ein anderes Deutschland will. Sie will, dass Deutschland den Euro abschafft und aus der EU austritt. Dies würde Hunderttausende Arbeitsplätze und unseren Wohlstand gefährden. Sie will den christlichen Religionsunterricht genauso abschaffen wie vieles, was von der Religions freiheit geschützt wird und sie wollen, dass unsere NATO-Verbündeten aus Deutschland abziehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten Menschen – auch jene, die aus Protest die AfD unterstützen – eine solche Politik nicht wollen. Wir werden also noch einige wichtige Debatten führen müssen – aber eine Politik des Wegduckens kann nicht die Lösung sein.

Sie unterstützen die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin. Bei Ihnen wird man wohl nicht davon ausgehen können, dass Sie ein wenig von der Seehofer Position übernehmen, wenn die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unpopulärer werden sollte, wie es andere CDU Politiker in vergangenen Wahlkämpfen gemacht haben. 

Als erstes vertrete ich die Position der CDU Nordrhein-Westfalen, die für offene Grenzen und die europäische Lösung eintritt. Der Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik ist verantwortungsvoll, nachhaltig und daher richtig. Dabei war von Beginn an klar, dass wir zwischen Asyl und Einwanderung differenzieren müssen, und wir uns nur um die wirklich Schutzbedürftigen kümmern können. Klar war auch, dass Deutschland die Krise nicht alleine bewältigen konnte und es daher einer europäischen Lösung bedurfte. Die haben wir erreicht. Die Maßnahmen haben gegriffen, die Flüchtlingszahlen über die EU-Türkei-Grenze sind heute fast bei null. Grenzzäune hätten die Krise nur in Nachbarländer verlagert. Flüchtlingen im Herkunftsland helfen und Schlepper bekämpfen – das ist klüger.

Es wird immer wieder bemängelt, die Bundesregierung habe zu wenig Verständnis für die weit verbreitete Verunsicherung im Hinblick auf die Zuwanderung aus anderen Kulturen aufgebracht. Es werde nicht deutlich, wie man die Aufnahme der Flüchtlinge schaffen soll. 

Bei der Aufnahme von Flüchtlingen ging es zunächst darum, Menschen, die vor Krieg und Terror geflohen sind, zu helfen. Das ist ein Gebot der christlichen Nächstenliebe. Es ist aber auch klar, dass wir nicht in jedem Jahr eine Million Menschen aufnehmen können. Daher wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die Zahl der zu uns kommenden Flüchtlinge zu reduzieren, besonders jener, die nicht schutzbedürftig sind. Die Flüchtlinge, die nun bei uns sind und bleiben, müssen so schnell wie möglich integriert werden. Dazu gehört auch, dass sie unsere Werte und Regeln kennenlernen. Das Grundgesetz ist die Grundlage des Zusammenlebens in Deutschland. Daran muss sich jeder halten. Wenn ich in Düsseldorf, Aachen oder in andern Städten bin, sagen mir die Leute vor Ort: Wir schaffen das!

Man fragt sich, warum immer noch nur sehr wenige Zuwanderer aufgefordert werden, Deutschland zu verlassen und gegebenenfalls nicht abgeschoben werden, wenn sie weder Asyl erhalten haben, als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden noch ein anderer besonderer Grund für ein Bleiberecht vorlag. Hier liegen doch parteiübergreifende Beschlüsse vor, entsprechend zu verfahren. Wenn danach gehandelt würde, verbliebe eine Anzahl, die unser Land nicht überfordert. 

Es gibt klare Regelungen des Bundes, die besagen, dass derjenige, der eine Ablehnung seines Asylantrags bekommen hat, innerhalb von vier Wochen ausreisen muss. Die meisten Menschen machen dies freiwillig. Wer das aber nicht freiwillig macht, wird abgeschoben. Dafür sind die Länder zuständig. Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, Abschiebungen zu vereinfachen. So sollen seit dem Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden. In Bayern werden die Beschlüsse konsequent umgesetzt. Nordrhein-Westfalen hat allerdings wieder Sonderregelungen eingeführt. Entsprechend besteht hier weiterhin die Möglichkeit, sich der Rückführung zu entziehen. Die CDU-Landtagsfraktion hat bereits im September einen Aktionsplan vorgestellt, um Rückführungen abgelehnter Asylbewerber zu erleichtern. Doch leider wurden unsere Vorschläge von der rot-grünen Landtagsmehrheit abgelehnt.

Das Bleiberecht für Kriegsflüchtlinge entfällt zudem grundsätzlich, sobald der Kriegszustand in ihrem Heimatland beendet ist. Kann man davon ausgehen, dass in diesem Fall in Deutschland die Aufforderung zur Rückkehr erfolgen wird, zumal dann die Flüchtlinge in ihrem Land zum Wiederaufbau sicher dringend gebraucht werden? 

Ja. So ist die Rechtslage. Die Genfer Flüchtlingskonvention gewährt nur so lange Schutz, wie der Krieg andauert. Viele werden zurückkehren und helfen, ihr Land wieder aufzubauen. So war es auch mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem früheren Jugoslawien in den 90er-Jahren.

Wenn man sich vor Augen führt, welch enorme Aufgaben führende Politiker meistern müssen und welch hohe Anforderung und Erwartungen an sie gestellt werden, muss doch politische Arbeit geradezu wie eine Droge wirken, sonst könnte man diese Tätigkeit nicht jahrelang durchhalten? 

Drogen lehne ich ab. Aber die Begegnungen mit so vielen unterschiedlichen Menschen in so vielen Terminen machen mir Spaß und daraus schöpft man auch viel Energie. Wenn meine Frau mich mal einen Tag lang begleitet, sagt sie oft: „Ich weiß nicht, wie du das alles schaffst, ohne müde zu sein.“ Dann spüre ich, wieviel Energie ich aus der Arbeit ziehe.

Bleibt Ihnen ausreichende Zeit für Erholung, Urlaub und Ihre Hobbys? 

Ja. Und die freie Zeit genießen wir, selbst wenn ich dann trotzdem manchmal über politische Fragen nachdenke.


Kurzvita

50CA9193 3D6F 47C9 94AB 81BD89F50194, , „Die CDU will in Nordrhein-Westfalen wieder zu einem Aufsteigerland machen"Achim Laschet wurde 1961 in Aachen geboren.  Nach dem Abitur Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, Staatsexamen,  anschließend journalistische Ausbildung und Tätigkeit bei Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen.  Chefredakteur- und Verlagsleiter der Kirchenzeitung Aachen.  1989 jüngster Ratsherr im Aachener Stadtrat, 15 Jahre Kommunalpolitiker,  1994-1998 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1999-2005 Mitglied des Europäischen Parlaments.  2005-2010 Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW im Kabinett Rüttgers,  seit 2012 Landesvorsitzender und seit 2013 Vorsitzender der CDU Landtagsfraktion,  gleichzeitig seit 2012 stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU Deutschlands  Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.


Ähnliche Beiträge